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Der türkische Geheimdienst steht in Kontakt mit PKK-Chef Öcalan.

© dpa

Zeitungsberichte: Türkischer Geheimdienst spricht mit PKK-Chef Öcalan

Der türkische Geheimdienst spricht mit dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan - das bestätigte jetzt Premier Erdogan. Nach Zeitungsberichten bestehen die Kontakte seit Jahren. Die nationalistische Opposition ist außer sich vor Wut.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat bestätigt, was viele im Land ahnten und manche als Verrat anprangern: Ankaras Geheimdienst spricht mit dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan. Nach Zeitungsberichten bestehen die Kontakte bereits seit Jahren. Entgegen aller offizieller Dementis gesteht Ankara dem Rebellenchef damit indirekt eine Rolle bei der Suche nach einer Lösung des Kurdenkonfliktes zu. Die nationalistische Opposition ist außer sich vor Wut, doch Erdogans Eingeständnis war nicht zuletzt ein taktischer Schachzug vor dem wichtigen Referendum am 12. September: Der Ministerpräsident will die kurdischen Wähler auf seine Seite ziehen.

Öcalans Rebellen kämpfen seit 1984 gegen den türkischen Staat. Mehrere zehntausend Menschen sind seitdem getötet worden, Millionen flohen vor Krieg und Elend in die großen Städte im Westen der Türkei oder nach Europa. Auch wenn das türkische Militär inzwischen zugibt, dass die Rebellen mit militärischen Mitteln allein nicht zu besiegen sind, lehnt Ankara Verhandlungen mit der PKK strikt ab.

Intern hätten einige wichtige Leute im Staat aber längst erkannt, dass in der Verehrung der Kurden für den seit 1999 inhaftierten Öcalan eine Chance liege, enthüllte die Journalistin Asli Aydintasbas am Dienstag in der Zeitung „Milliyet“. Über die Jahre versuchten demnach hochrangige Vertreter des türkischen Geheimdienstes MIT mehrmals, in Gesprächen mit Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali bei Istanbul die Möglichkeiten für ein Ende des Kurdenkrieges zu sondieren. Zuvor hätten Gutachter nach Untersuchungen des Häftlings bestätigt, dass Öcalan zwar narzisstische und paranoide Züge aufweise, aber nicht übergeschnappt sei.

Erst kürzlich habe Öcalan eine durchaus positive Rolle gespielt, schrieb der Erdogan-Berater Yalcin Akdogan in einem Beitrag für die Zeitung „Star“. So habe sich der Rebellenchef für den jüngsten Waffenstillstand der PKK eingesetzt, den die Terrororganisation vor zehn Tagen ausgerufen hatte.

Öcalans Worte haben noch immer großes Gewicht

Der Rebellenchef kann einmal pro Woche bei Treffen mit seinen Anwälten auf Imrali seine Botschaften an die Kurden und die PKK loswerden. Obwohl Öcalan die PKK vom Gefängnis aus nicht direkt steuern kann, hat sein Wort doch immer noch großes Gewicht. Um dies zu nutzen, setzen die türkischen Behörden auch unkonventionelle Mittel ein. In Zeiten, in denen Ankara lieber keine Botschaften Öcalans in der Öffentlichkeit sehen will, gibt es merkwürdig häufig Pannen an dem Schiff, das die Anwälte des PKK-Chefs nach Imrali bringt.

In den Kontakten mit dem Staat sei Öcalan nie die Freilassung versprochen worden, schrieb Aydintasbas. Erdogan betonte in einer Fernsehsendung ebenfalls, es gebe keinen Tauschhandel mit dem PKK-Chef. Auch stünden nicht seine Regierung, sondern „staatliche Behörden“ wie der Geheimdienst mit Öcalan im Dialog. Einige Kommentatoren fordern Ankara seit langem auf, nach dem Vorbild der britischen Verhandlungen mit IRA-nahen Politikern zur Lösung des Nordirland-Problems „mit dem Teufel zu reden“.

Für die türkische Opposition ist Erdogans feine Unterscheidung zwischen ‚Regierung’ und ‚Staat’ jedoch reiner Humbug. Sie wirft dem Ministerpräsidenten vor, mit Terroristen gemeinsame Sache gemacht zu haben.

Der Streit ist Hauptthema im Wahlkampf

Der Streit um die Kontakte zwischen Ankara und Öcalan ist derzeit das Hauptthema im Wahlkampf vor der Volksabstimmung am 12. September, bei der Erdogan ein Paket von Verfassungsänderungen vom Wähler absegnen lassen will. Das Referendum wird zudem als Vertrauensabstimmung über die Erdogan-Regierung gesehen, doch der erfolgsverwöhnte Premier muss laut Umfragen um eine Mehrheit bangen.

Eine Schlüsselrolle könnte den kurdischen Wählern zukommen. Sagen sie Ja zu Erdogans Verfassungsvorschlag, dürfte dem Ministerpräsidenten der Sieg sicher sein. In dieser Lage kann es für Erdogan nicht schaden, Kontakte des Staates zu dem von vielen Kurden als Anführer betrachteten Öcalan publik zu machen. Der Premier umwirbt auch die legale Kurdenpartei BDP. Für das kommende Jahr stellte Erdogan jetzt die Ausarbeitung einer völlig neuen Verfassung in Aussicht, was die BDP seit langem verlangt.

Öcalans Hoffnung, selbst offiziell als Gesprächspartner Ankaras anerkannt zu werden, hat sich bisher nicht erfüllt. Der „Milliyet“-Journalistin Aydintasbas zufolge hat sich der PKK-Chef darüber schon oft bei den türkischen Geheimdienstlern beschwert. Die eigene Rolle ist dem PKK-Chef demnach sehr wichtig. Als ein hochrangiger Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes dem Häftling auf Imrali mögliche Schritte zur Lösung des Kurdenproblems darlegte, soll Öcalan erwidert haben: „Und was wird dann aus mir?“

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