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Moloch Großstadt. Medellin hat viele Aufgaben vorbildlich gelöst.

© Mauritius

UN-Siedlungskonferenz Habitat III: Klimawandel, Landflucht, Kriminalität, überforderte Verwaltungen

Megacities stehen vor entscheidenden Problemen. In Quito berät die UN-Siedlungskonferenz Habitat III. Was muss getan werden? Was kann Berlin lernen? Fragen und Antworten.

Schon immer hat es die Menschen in die Städte gezogen, weil sie sich dort mehr Freiheit, mehr wirtschaftliche Möglichkeiten und mehr Chancen für ihre persönliche Entfaltung erhofften. Aber seit den 1980er Jahren ist aus diesem Drang in die Städte eine Massenbewegung geworden. Insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern sind Megastädte entstanden, die eine Vielzahl an sozialen Problemen und einen hohen Ressourcenverbrauch mit sich bringen. Wie aus Städten lebenswertere Orte für alle werden können – das ist das Thema der „Neuen urbanen Agenda“, die bei der dritten UN-Siedlungskonferenz Habitat III in den nächsten Tagen in Quito beantwortet werden sollen. Delegierte aus 160 Ländern sind da, 45.000 Menschen haben sich zum Gipfel angemeldet.

Was müssen die Megastädte bewältigen?

Als Megastädte werden Agglomerationen bezeichnet, die mehr als zehn Millionen Einwohner haben. An der Spitze liegt Tokio mit 37 Millionen Bewohnern, gefolgt von Jakarta mit knapp 30 Millionen, Delhi mit 24 Millionen und Seoul, Manila und Schanghai mit jeweils 22 Millionen. Städte, die mit großer Geschwindigkeit wachsen, müssen Herausforderungen bewältigen, die gigantische Anstrengungen erfordern: Die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser. Ein Abwassersystem. Eine effiziente Müllabfuhr. Eine stabile Stromversorgung. Wohnungen, Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Polizei, Feuerwehr. Und schließlich eine funktionierende Verwaltung, die ihre Bürger erfasst, Bau-, Gewerbe- und andere Genehmigungen erteilt und in der Lage ist, Infrastrukturprojekte in absehbarer Zeit umzusetzen. Eine Stadt, die seit geraumer Zeit ebenfalls sehr stark wächst, ist Berlin (siehe diesen Artikel). Im Folgenden soll es beispielhaft um die Stadt Medellín gehen.

Was ist das Problem mit großen Städten?

Die meisten Städte haben klein angefangen – und ihre Planung ist auch klein geblieben. Medellín, die zweitgrößte Stadt Kolumbiens, ist in den 1950er Jahren für eine Einwohnerzahl von 600.000 geplant worden, sagt Stadtplanungsdirektor César Hernández. Inzwischen leben dort aber gut 2,5 Millionen Menschen und in ihrem Umland sind es weitere 1,5 Millionen. Und täglich kommen weitere aus den ländlichen Regionen, die vor der Gewalt der Guerilla-Kämpfer oder der paramilitärischen Milizen flüchten.

Wie lassen sich Wachstumsprobleme bekämpfen?

Medellín ist ein gutes Beispiel dafür, wie solche Themen angepackt werden können. Die Stadt war in den 1970er Jahren Kolumbiens wichtigste Industriestadt. In den 1980er und 1990er Jahren war Medellín berüchtigt als Drogenmetropole, die Stadt von Pablo Escobar. César Hernández berichtet, dass es 2003 einen besonders berüchtigten Stadtteil, Popular, gab, wo Escobar seine Killer hatte ausbilden lassen, wo 484 Morde pro 100.000 Einwohner im Jahr gezählt wurden. Die Lebenserwartung der jungen Männer, die an den Konflikten beteiligt waren, habe bei 21 Jahren gelegen, rechnet er vor. In den frühen 2000er Jahren waren die Straßen nach 18 Uhr leergefegt. Heute gehen die jungen und älteren Leute wieder aus, sie haben keine Angst mehr im Dunkeln nach draußen zu gehen. Medellín hat das mit einem intelligenten Planungskonzept geschafft. 2004 ging die Stadtverwaltung nach Popular – und die Polizei ging auch dort hin. In einer groß angelegten Polizeiaktion wurden Drogenbosse und Gangster in großer Zahl verhaftet und die kriminellen Strukturen gestört. Die Stadtverwaltung suchte das Gespräch mit Bewohnern. Da ging es um die Frage: Was braucht ihr? Und: Was wollt ihr, um hier besser zu leben?

Der Stadtteil entstand aus einer zunächst illegalen Siedlung. Inzwischen gehören den Menschen nicht nur ihre Behausungen, sondern auch das Land, auf dem sie stehen. Eine Seilbahn auf den Hügel hinauf und oben eine große, öffentliche Bibliothek waren die ersten materiellen Veränderungen in dem armen Stadtteil. Dazu gekommen sind Kindergärten, Schulen und Sportstätten. Die Mordrate liegt seit 2012 bei zehn bis zwölf auf 100.000 Einwohner. Die Lebenserwartung von in Gewaltkonflikte verwickelte junge Männern ist auf 33 Jahre gestiegen.

Warum gelang es Medellín, sich neu zu erfinden?

Die Strategie, in den problematischen Stadtteilen, wo die Angst vor Gewalt am größten ist, öffentliche Einrichtungen wie Bibliotheken und öffentliche Verkehrsmittel zu bauen, hat sich bewährt. Mit der Öffnung der Problemviertel zur Stadt macht die Verwaltung aber noch eine Vielzahl weiterer Angebote. Damit sich die Jugend statt in eine Gewaltspirale mit kreativeren Dingen beschäftigt, wird ein Netz von Musikschulen aufgebaut. Auch die Fußballplätze und Grüngürtel dienen dem Zweck, Beschäftigung und Erholung zu bieten.

Medellín hat eine Vielzahl von Fördermöglichkeiten für Kleinunternehmer zu bieten, und auch für Unternehmen, die schon etwas gewachsen sind und nun den Sprung zu einem größeren Unternehmen machen wollen. Das Geld für den Ausbau der Infrastruktur, die Wirtschaftsförderung und die Bildungsoffensive kommt überwiegend aus der Stadtkasse. Die wird durch Steuern gefüllt, die auch die Armen auf ihre Grundstücke zahlen. Und sie wird aus Gewinnen des regionalen Versorgungsunternehmens EPM gefüllt. Ein Drittel der Gewinne aus den Einnahmen aus dem Verkauf von Trinkwasser, der Abwasserentsorgung, der Versorgung mit Breitbandkabeln, Strom und anderen öffentlichen Dienstleistungen fließen in die Stadtkasse. Für den Bau einer riesigen Kläranlage, die ab kommendem Jahr etwa 70Prozent des städtischen Abwassers reinigen soll, hat die Interamerikanische Entwicklungsbank einen großen Kredit ausgereicht. 572 Millionen US-Dollar kostet die Anlage, die den Medellín-Fluss sauberer machen soll.

Werden lebenswertere Städte unbezahlbar?

Medellín hat wie viele Großstädte die Erfahrung gemacht, dass die Mieten steigen, sobald das Umfeld verbessert wird. In der kolumbianischen Stadt gibt es eine Mietpreisbremse, über deren Wirksamkeit sich die Experten nicht ganz einig sind. Aber zu Beginn jeder Aufwertung wird zunächst einmal ein Mieterhöhungsverbot erlassen. Frankreichs Hauptstadt Paris hat ein solches Modell in einem neuen Stadtteil auf einem ehemaligen Rangiergelände der Bahn mit harten Auflagen für die Investoren versucht. Ein bestimmter Prozentsatz der Wohnungen im neu errichteten Stadtteil sind Sozialmietern vorbehalten. Ein weiterer Prozentsatz muss zu ortsüblichen Durchschnittsmieten angeboten werden. Außerdem mussten die Investoren eine Schule bauen und eine Grünanlage.

Warum sind Städte entscheidend für die Erreichung von Klimazielen?

Bis 2050 rechnet das UN-Programm Habitat damit, dass weltweit etwa 70 Prozent der Menschheit in Städten leben wird. Wenn das Ziel, die globale Erwärmung unter zwei Grad im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung zu halten, erreicht werden soll, dürfen die Städte nicht unbegrenzt Ressourcen verbrauchen und müssen viel weniger Kohlendioxid in die Atmosphäre blasen. Die Infrastrukturen, die jetzt gebaut werden, bestimmen den CO2-Ausstoß der Zukunft. Häuser, die einen hohen Wärme- und/oder Kältebedarf haben, sind ein Klimaproblem. Sie müssen schon beim Bau so errichtet werden, dass auf energieintensive Heizung und Kühlung weitgehend verzichtet werden kann.

Je mehr öffentlicher Verkehr möglich ist, desto geringer fällt der CO2-Ausstoß aus. In Medellín sollen weitere Straßen unter die Erde verlegt werden. Die „Neue urbane Agenda“, die in Quito verabschiedet werden soll, soll eine Leitschnur für eine nachhaltige Stadtentwicklung bieten. Vorschreiben kann die Weltgemeinschaft den Städten aber nichts.

Was kann der Regierende Bürgermeister Michael Müller für Berlin lernen?

Die Habitat-Konferenz ist auch eine Leistungsschau von Lösungen für Probleme wie steigende Mieten, Verkehrsprobleme, eine bessere Lebensqualität auf öffentlichen Plätzen und die Schaffung von Jobs. Von Medellín könnte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), der Leiter der deutschen Delegation in Quito ist, lernen, wie man Infrastrukturprojekte inklusiv plant, also mit weitgehender Zustimmung der Betroffenen, und wie man sie schnell abschließt. Tramlinien werden in Medellín in ein bis zwei Jahren fertig gebaut, die Seilbahnen innerhalb eines Jahres. Inzwischen ist die Geschäftsführung der Metro Medellín in ganz Südamerika ein gefragter Ratgeber bei der Entwicklung von Nahverkehrskonzepten. Er könnte auch Ideen dafür mitnehmen, wie in Stadtteilen, in die sich – angeblich oder tatsächlich – auch die Polizei nicht mehr traut, die Ordnung wieder hergestellt werden kann.

Die Recherche in Medellín ist von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen ermöglicht worden. Die Recherche in Paris wurde vom französischen Thinktank IDDRI unterstützt.

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