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Für Frauen freiwillig: Wie gerecht ist der neue Wehrdienst?
Im Bundestag gibt es viele, die für mehr Geschlechter- und Wehrgerechtigkeit gern das Grundgesetz ändern würden. Die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit dafür aber fehlt.
Stand:
Nächstes Jahr erhalten alle 18-Jährigen Post von der Bundeswehr – vorausgesetzt, der Bundestag stimmt dem Wehrdienst-Gesetzentwurf zu, den die Regierung gerade im Kabinett verabschiedet hat.
Die Truppe will ganz generell in Kontakt mit möglichen neuen Rekruten treten, über die Antworten aber auch erfahren, wie es um Fitness und die Bereitschaft zum Dienst in den Streitkräften bestellt ist. Wer sich dafür interessiert oder besonders geeignet wäre, wird dann gemustert.
Zu etwas verpflichtet werden dabei allerdings nur die etwa 350.000 jungen Männer eines Jahrgangs. Nur sie müssen den Onlinefragebogen ausfüllen, nur sie müssen zur Musterung, wenn sie vorgeladen werden. „Natürlich können auch Personen anderen Geschlechts Wehrdienst leisten“, schreibt das Bundesministerium der Verteidigung: „Für sie sind jedoch alle Schritte freiwillig.“
Bestätigt wurde diese unterschiedliche Behandlung höchstrichterlich noch im Jahr 2006. Die Klage eines jungen Mannes, dass nur er und seine Geschlechtsgenossen zur Bundeswehr müssen, wurde abgewiesen. Als Argument diente, dass Frauen allzu häufig bei der Kinderbetreuung oder der Angehörigenpflege stärker belastet seien als die Männer – sie von der Wehrpflicht auszunehmen, daher legitim.
Die „Ungleichbehandlung“ steht im Gesetz
Was im Jahr 2025 bei der einen oder dem anderen das Gerechtigkeitsempfinden stört, hat mit der Verfassung zu tun. Die „Ungleichbehandlung“, die auch im Gesetzentwurf selbst thematisiert wird, leitet sich aus Grundgesetz-Artikel 12a ab, wonach eine allgemeine Wehrpflicht nur für Männer besteht.
„Männer können vom vollendeten 18. Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden“, heißt es dort im ersten Absatz. Aus dem vierten ergibt sich eine speziellere Pflicht auch für Frauen: Sie können im Alter zwischen 18 und 55 zu Sanitätsdiensten in Krankenhäusern oder Lazaretten herangezogen, falls es dort im Verteidigungsfall nicht genug Freiwillige gibt.
Die Daten genau dieser weiblichen Altersgruppe müssen Einwohnermeldeämter künftig zur Verfügung stellen – so steht es im aktuellen Gesetzentwurf, damit die Verfassungslage notfalls umgesetzt werden könnte. So wie bei den Männern seltsamerweise die sogenannte Wehrerfassung mit dem Aussetzen der Wehrpflicht 2011 endete, obwohl diese für den Verteidigungsfall auch weiterhin galt und gilt, werden nun auch von Frauen wieder Daten erfasst.
Das Grundgesetz stellt jedoch ausdrücklich klar: „Sie dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden.“ Vor einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2000 hatte die Passage noch etwas anders gelautet und Frauen ganz generell untersagt, Dienst an der Waffe zu leisten.
Wer nun auch eine weibliche Wehrpflicht einführen oder auch nur eine Fragebogen-Ausfüllpflicht für Frauen im aktuell geplanten Wehrdienst-Modell möchte, müsste also die Verfassung ändern. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wäre wohl gar nicht einmal dagegen. Sehr nüchtern stellt sein Ministerium fest: „Für eine Verpflichtung von Frauen wäre eine Grundgesetzänderung nötig.“
Die Linke sagt ganz klar Nein
Die dafür notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit im Deutschen Bundestag ist aktuell nicht gegeben. Für sie bräuchte es beispielsweise auch die Zustimmung der Linkspartei, die den Pflichtenkatalog nicht erweitern, sondern eingrenzen will.
„Der Grundgesetzartikel 12a ist als solcher nicht zeitgemäß und sollte nach unserer Meinung abgeschafft werden“, sagt Desiree Becker, für die Linksfraktion im Verteidigungsausschuss und ihre Sprecherin für Friedens- und Abrüstungspolitik, dem Tagesspiegel.
Ausgerechnet bei einem Zwangsdienst die Gleichstellung zu bemühen, empfindet sie als „ziemlich zynisch“: „Gleichstellung bedeutet gleiche Rechte und gleiche Chancen – nicht die Ausweitung staatlicher Pflichten durch Zwang auf weitere Bevölkerungsgruppen.“ Die Linke argumentiert bei ihrem Nein ähnlich, wie das Bundesverwaltungsgericht 2006, als es die Nichtverpflichtung von Frauen mit Mehrbelastungen rechtfertigte.
Ich persönlich finde, alle Jahrgänge und alle Geschlechter sollten – wenn es hart auf hart kommt – gleichermaßen in die Pflicht genommen werden.
Sara Nanni (Grüne) will eine Wehrpflicht für Frauen im Verteidigungsfall
„Frauen verdienen noch immer weniger, sie tragen den Großteil der Sorgearbeit, arbeiten häufiger in Teilzeit und haben deshalb geringere Renten“, sagt Becker: „Wer Gleichstellung ernst meint, bekämpft diese Ungerechtigkeiten und entzieht Frauen nicht auch noch ein weiteres Jahr ihrer eigenen Lebensgestaltung.“
Mit der AfD will keine andere Fraktion kooperieren – käme es zur Abstimmung über die Frage, könnte die als rechtsextrem eingestufte Partei aber zum Faktor werden. Sie fordert trotz Skepsis ihrer ostdeutschen Landesverbände eine sofortige Wiedereinführung der Wehrpflicht – freilich nur für Männer.
In einer offiziellen Parlamentsanfrage aus dem Jahr 2019 hatten AfD-Abgeordnete mit Blick auf die Bundeswehr-Bemühungen um einen höheren Frauenanteil einen „Widerspruch zwischen erwünschter Quote und tatsächlichen Bewerberzahlen sowie Anforderungen und körperlicher Leistungsfähigkeit“ ausgemacht.
Wenn Mehrheiten dafür absehbar sind, gehen wir auch die dafür nötige Grundgesetzänderung an.
Thomas Erndl, verteidigungspolitische Sprecher der Union
Da ist man auch bei der Union deutlich weiter. Persönlich wäre er schon jetzt „für die Heranziehung von Männern und Frauen“, berichtet Thomas Erndl (CSU), der verteidigungspolitische Sprecher der größten Regierungsfraktion. In deren Wahlprogramm findet sich der Wehrdienst perspektivisch als eine Säule eines verpflichtenden Gesellschaftsdienstes für alle.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte erst am Freitag betont, die Konsequenz daraus sei, auch Frauen zu verpflichten: „Das müssten wir dann eigentlich tun.“
Erndl kündigt an: „Wenn Mehrheiten dafür absehbar sind, gehen wir auch die dafür nötige Grundgesetzänderung an.“ Er stellt aber sogleich klar, dass das aus seiner Sicht kein Projekt für die nächsten drei Jahre ist: „Da aber diese Mehrheit in dieser Wahlperiode nicht vorhanden ist, müssen wir beim Wehrdienst das vorhandene rechtliche Gerüst nehmen.“
Dieses aktuelle Gerüst hält auch Sara Nanni für reformbedürftig. „Es ist kein gutes Signal, wenn nun nur Männer zurückmelden müssen“, sagt die Grünen-Politikerin zur eingeschränkten Fragebogen-Antwortpflicht.
Nanni ist nicht für die Frauen-Wehrpflicht in Friedenszeiten, im Spannungsfall aber wohl: „Ich persönlich finde, alle Jahrgänge und alle Geschlechter sollten – wenn es hart auf hart kommt – gleichermaßen in die Pflicht genommen werden.“ Der Krieg in der Ukraine zeige, „nur, wenn sich alle zivil und militärisch einbringen, ist ein Land zu verteidigen“.
So wie die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen in dieser Frage für sich spricht, hat sich auch die SPD mit Nannis Amtskollegen Falko Droßmann noch keine abschließende Meinung zu dem Thema gebildet.
Er selbst ist für gleiche Pflichten und lehnt das Argument geringerer körperlicher Leistungskraft ab: „Wir haben bereits viele fähige Frauen in den Streitkräften, die uns jeden Tag beweisen: Sie stehen mindestens ihren Mann.“ Sie nun auch bei den Pflichtelementen eines Wehrdienstes einzubeziehen, hielte Droßmann „aus Gleichheitsgrundsätzen geboten“. Nur realistisch ist es für ihn nicht, es gebe „keinerlei Aussicht auf eine ehrliche Diskussion oder gar verfassungsändernde Mehrheiten“.
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