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Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU, r) und Boris Pistorius (SPD), Bundesminister der Verteidigung, geben nach der 14. Kabinettssitzung der 21. Legislaturperiode im Bendlerblock des Bundesministeriums der Verteidigung eine Pressekonferenz.

© dpa/Britta Pedersen

Union und SPD auf Fraktionsklausur: Die schlecht gelaunte Koalition versucht den Neustart

Noch keine 120 Tage im Amt kriselt es schon bei Schwarz-Rot. In Würzburg wollen die Koalitionäre zusammenrücken, doch die Fliehkräfte nehmen zu.

Stand:

Vielleicht ist zwischen all den Terminen auch manchmal einfach gar keine Zeit, um zu hinterfragen, was bei ihm als Bundeskanzler und in seiner Regierungskoalition in 113 Amtstagen schon alles schiefgelaufen ist.

An diesem Mittwoch beispielsweise ist zwischen der Kabinettssitzung und dem Abflug zu einer weiteren Dienstreise so wenig Zeit eingeplant, dass ein Hubschrauber der Bundespolizei Friedrich Merz und sein Team zum BER bringen muss.

An der offensichtlichen Erkenntnis, dass Schwarz-Rot einen alles andere als optimalen Start hingelegt hat, kommt aber auch der Kanzler nicht mehr vorbei. Als es mit der gescheiterten Verfassungsrichterwahl in die parlamentarische Sommerpause ging, versuchte er noch, den Vorgang kleinzureden – „kein Beinbruch“.

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Direkt nach der Rückkehr aus seinem kurzen Urlaub stellte der CDU-Chef klar, „nicht zufrieden“ mit der bisherigen Regierungsperformance zu sein.

Das interne Gegrummel und die Sticheleien sind auch noch längst nicht weg. Merz hat ihnen selbst erst gerade wieder Nahrung gegeben, mit seinen klaren Ansagen zu anstehenden Sozialreformen, die seine Union neu an ihn binden sollten und gleichzeitig viele SPD-Leute empörten. Keine guten Voraussetzungen für die Klausurtagung der Fraktionsspitzen von Union und SPD, die am Donnerstag in Würzburg beginnt.

An diesem Mittwoch, nach der Kabinettssitzung im Verteidigungsministerium, gibt Merz den charmanten Versöhner und entschlossenen Optimisten, der das schwarz-rote Gezänk vergessen machen will. Er dankt seinen Ministerinnen und Ministern herzlich, für die Debatte und Beschlüsse zum Wehrdienst und einer neuen Sicherheitspolitik allgemein. Und scherzt, dass der viel beschworene „Herbst der Reformen“ doch auch schon jetzt, Ende August, beginnen könne, mit außen- statt mit sozialpolitischen Gesetzesnovellen.

Verteidigungsminister Pistorius findet auch, dass die Koalition mit dem neuen Wehrdienst „einen Riesenschritt voran“ geht. Nur erwähnt auch er nicht, dass die Regierungsfraktion von CDU und CSU der öffentlich zelebrierten Kabinettsharmonie widerspricht und Widerstand gegen das Gesetz in dieser Form ankündigt.

Vor allem in den Fraktionen herrscht Misstrauen

Überhaupt die Fraktionen. Dort ist sehr viel mehr Anspannung und gegenseitige Skepsis zu spüren als in der Regierung. Da kommt die gemeinsame Klausur gerade recht. „In Würzburg wird es sehr stark darum gehen, die atmosphärischen Störungen zu beseitigen“, sagt ein CDU-Abgeordneter dem Tagesspiegel.

Er hätte sich deshalb gewünscht, dass sein Fraktionschef Jens Spahn sehr viel klarer die Verantwortung für das Wahldesaster rund um Frauke Brosius-Gersdorf übernommen hätte: „Personalfragen kann man leichter lösen als inhaltliche Differenzen – die sind unser eigentliches Problem.“ Der Parlamentarier hofft, dass man in den Wochen danach bei Steuern und Sozialreformen zusammenfindet.

Die Klausurtagung soll auch dem besseren Kennenlernen dienen.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Union, Steffen Bilger, scheint die SPD-Kollegen noch nicht so gut zu kennen.

„Die Klausurtagung soll auch dem besseren Kennenlernen dienen“, sagt Unions-Parlamentsgeschäftsführer Steffen Bilger: „Wir wollen in Ruhe miteinander besprechen, wie wir die wichtigen Entscheidungen im Herbst gemeinsam anpacken.“ Die Richterwahl werde dort kein Thema sein, man wolle an Erfolge „anknüpfen und nach vorne schauen“.

Der Kanzler, am Donnerstag und Freitag beim deutsch-französischen Ministerrat in Toulon, wird in Würzburg nicht zugeschaltet sein, die Fraktionen sollen es selber schaffen, für eine bessere Stimmung zu sorgen. Für den Fall, dass es nicht gelingen sollte, sind für die nächsten Wochen schon zwei Grillabende der Fraktionen mit Merz geplant.

Die CDU-Abgeordneten Inge Gräßle und Melanie Bernstein, die beide schon mit ihren sozialdemokratischen Kollegen in den Haushaltsberatungen zugange sind, halten das Gerede über die angeblich miese Stimmung für übertrieben. Die Zusammenarbeit beim Etat verlaufe „ruhig und konstruktiv“, meint Bernstein. „Die Stimmung ist gut zwischen uns, viel besser als die mediale Berichterstattung“, sagt Gräßle, nur die SPD-Führung sei „martialischer unterwegs“.

Die SPD ist noch immer sauer wegen der abgesagten Richterwahl

In der SPD hofft man darauf, dass in Würzburg ein reinigendes Gewitter niedergeht. Das Vertrauen in den Koalitionspartner ist nach dem Drama um die Richterinnenwahl stark beschädigt, die Laune bei den Genossinnen und Genossen entsprechend schlecht.

Er gehe mit einer Mischung aus Besorgnis und Zuversicht in die Beratungen, sagt einer, der in Würzburg dabei sein wird. Die Herausforderungen seien groß, aber es gebe den Willen, „zusammenzufinden und zusammenzubleiben“.

Zum Vertrauensverhältnis in der Koalition gebe es „sicher Gesprächsbedarf“, das sei in einer lebendigen Demokratie aber auch normal. „Insbesondere die gescheiterte Richterwahl hat jedoch Fragen aufgeworfen, die beantwortet werden müssen“, sagt das Mitglied der SPD-Fraktionsführung.

So kann man das wohl sagen. Aus Sicht der SPD sind die Umstände, unter denen Brosius-Gersdorfs Kandidatur scheiterte, eine Zäsur in der politischen Geschichte der Bundesrepublik. Man sieht die Kandidatin als Opfer einer Kampagne von rechts, der sich manche in der Union nicht entgegengestellt, andere sogar aktiv beteiligt hätten.

Das Gefühl, vom Koalitionspartner im Stich gelassen worden zu sein, sitzt bei der SPD tief. Und das, obwohl man selbst in der noch jungen Geschichte dieser Koalition gestanden hat, wenn es für die eigene Seite schwierig war – insbesondere bei der Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte.

Die Frage, wer nun anstelle von Frauke Brosius-Gersdorf Richterin am Verfassungsgericht wird, ist zwischen den Koalitionspartnern noch nicht abschließend geklärt. Die Gespräche sind Geheim- und Chefsache, nur ein ganz enger Kreis ist beteiligt.

Aber auch inhaltlich wird es sehr viel zu besprechen geben. Das Themenfeld Sozialstaat steht auf der Liste weit oben, vom Bürgergeld über die Rente bis zur Pflege sind die Baustellen gewaltig und die Vorstellungen der Koalitionspartner sehr unterschiedlich.

Die ständigen Rufe aus der Union nach harten Einschnitten und dem schon sprichwörtlichen „Herbst der Reformen“ tragen eher nicht dazu bei, die Laune bei der SPD zu heben. In Würzburg, so die Hoffnung, soll die schlechte Stimmung abgeschüttelt werden.

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