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Gazastreifen: Unterirdische Lebensadern

Ägypten verschließt die Schmugglertunnel in den Gazastreifen. Für die Bewohner dort ist das dramatisch.

Noch merkt man nichts in „Port Said“ – dem Schmuggelmarkt im Zentrum der ägyptischen Grenzstadt Rafah, spöttisch benannt nach dem wichtigsten Mittelmeerhafen des Landes am Ausgang des Suezkanals. Unter freiem Himmel reihen sich die Kühlschränke aus ägyptischer und japanischer Produktion, Herde, Grillöfen sowie Generatoren aus China. Vorne an der Ecke verkauft ein junger Mann vom Eselskarren aus schmierige Plastikflaschen mit geschmuggeltem Benzin. In den umliegenden Straßen bieten Händler Großpackungen von Schokolade, Bonbons und Kartoffelchips feil, aber auch Babywindeln, Kinderspielzeug und Mehlsäcke. Fast alles, was die 1,5 Millionen Bewohner des Gazastreifens zum täglichen Leben brauchen. Von hier wird es durch die Tunnel in das abgeriegelte Palästinensergebiet gebracht.

Die fünf offiziellen Grenzübergänge in Israel lassen viel zu wenig Waren durch, um ein menschenwürdiges Leben in dem verarmten Küstenstreifen zu führen. Seit dem Krieg vor einem Jahr kam kein einziger Sack Zement mehr herein, auch keine Glasscheiben, Ersatzteile, Computer und vieles andere mehr. Überall sieht man in den Straßen Gazas Plastikfolien in den Fensterrahmen. Ausgebombte Familien leben auch zwölf Monate nach Ende der Kämpfe bei eisiger Winterkälte in Zelten, andere hausen in drangvoller Enge bei Verwandten.

Deswegen ist in Rafah „ein kompletter Grenzübergang unter der Erde entstanden“, sagt Bürgermeister Issa al Nashar, Gründungsmitglied der Hamas. 15 000 meist junge Menschen verdienen hier nach seinen Angaben ihren Lebensunterhalt. Jeden Tag schleppen sie Güter im Wert von einer Million Dollar durch die unterirdischen Stollen. Doch damit könnte bald Schluss sein. Zum ersten Mal macht Ägypten Ernst mit einer Barriere, offenbar beraten durch amerikanische Fachleute und ausdrücklich unterstützt von Großscheich Mohamed Tantawi, der obersten religiösen Autorität am Nil. Seitdem steigen die Spannungen. Am Mittwoch schossen beide Seiten aufeinander. Ein ägyptischer Soldat wurde auf seinem Wachturm tödlich getroffen, sieben Palästinenser verwundet. Hunderte aufgebrachte Hamasanhänger bestürmten daraufhin die Grenzmauer, bewarfen das ägyptische Militär mit Steinen.

Nun werden eilig Hundertschaften der Polizei in die Grenzregion verlegt, weil Ägypten einen neuerlichen Massenausbruch der Bevölkerung aus Gaza befürchtet. Schon einmal, Anfang 2008, trampelten an einem Tag 700 000 Menschen die Grenzbarriere nieder, um sich auf dem Sinai mit Lebensmitteln einzudecken. Zudem wissen die Verantwortlichen in Kairo, dass ihre Aktion auch die eigene Bevölkerung empört. Einen Vorgeschmack gab es bereits am Dienstagabend in der kleinen Küstenstadt Al Arish, 30 Kilometer von der Grenze entfernt. Die halbe Nacht lieferten sich aufgebrachte Gazaaktivisten und Spezialeinheiten Straßenschlachten rund um das kleine Fußballstadion. 40 Demonstranten und 17 Polizisten mussten anschließend ins Krankenhaus.

Von palästinensischer Seite aus sind die gewaltigen Kranfahrzeuge gut zu sehen, welche Ägypten zum Bau eines unterirdischen Grenzzauns einsetzt. Das eine drillt mit einem riesigen Bohrer Löcher in die Erde, das andere rammt anschließend 18 Meter lange Spundwände in den Boden, die miteinander verschweißt werden. Zehn der insgesamt 14 Kilometer des Grenzstreifens will Präsident Hosni Mubarak auf diese Weise abriegeln lassen. Die eiserne Sperre reicht hinab bis zu den rund 400 normalen Transporttunneln, nicht jedoch bis zu den speziellen Tiefentunneln, durch die Waffen hinein- und Kämpfer herausgeschmuggelt werden. „Die denken wohl, wenn sie eine Mauer aus Eisen bauen, könnten sie unseren Willen brechen“, schimpfte Hamas-Innenminister Fathi Hamad. „Aber wir werden weder nachgeben noch aufgeben.“ Die ersten Tunnelbetreiber haben derweil schon begonnen, die neue Sperre zu untergraben. „Alles andere wäre für Gaza der Tod“, meint einer der Arbeiter.

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