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Der Angeklagte Anwar R. war früher Offizier des syrischen Geheimdienstes.

© Thomas Lohnes/AFP

Update

Urteil in historischem Prozess um Folter in Syrien: Syrischer Ex-Geheimdienstler muss lebenslänglich in Haft

In Koblenz wurde ein ehemaliger Offizier des Assad-Regimes wegen Folter in Syrien verurteilt. Für die Überlebenden ist dieses Verfahren ein erster Schritt.

Der Prozess, der nun in Koblenz zu Ende ging, ist weltweit einmalig. Erstmals überhaupt verhandelte ein Gericht über Verbrechen im Zusammenhang mit der staatlich angeordneten Folter in Syrien. Das Oberlandesgericht Koblenz verurteilte am Donnerstag einen ehemaligen Offizier des syrischen Geheimdienstes wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft. Anwar R. war in den Jahren 2011 und 2012 Chef einer Vernehmungseinheit in der Haftanstalt Al Khatib, einem der berüchtigten Foltergefängnisse in Damaskus.

Zwar ging es in diesem Verfahren um die individuelle Verantwortung des Geheimdienstoffiziers Anwar R. Doch an den 108 Verhandlungstagen entstand ein drastisches Bild der systematischen Folter, die das Regime des syrischen Staatschefs Baschar al Assad nach dem Beginn des Bürgerkrieges anwandte, um die Opposition zu unterdrücken.

In der Abteilung 251 des Geheimdienstes, in der Anwar R. als Ermittlungsleiter tätig war, wurden die Gefangenen mit Kabeln und Stöcken geschlagen, mit Elektroschocks traktiert oder sie wurden an den Handgelenken aufgehängt. Vor Gericht hat der Angeklagte bestritten, Menschen selbst gefoltert zu haben oder dafür die Verantwortung zu tragen. Doch in der Zeit, in der Anwar R. dort das Kommando hatte, wurden mindestens 4000 Menschen allein in Al Khatib gefoltert.

Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Koblenz sah es als erwiesen an, dass der ehemalige Offizier für die Folter, für den Tod von mindestens 27 Gefangenen und für sexualisierte Gewalt verantwortlich war. Ein weiterer Angeklagter, auch er ein ehemaliger syrischer Geheimdienstler, wurde bereits im Februar 2021 wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt.

Vor dem Gerichtsgebäude in Koblenz wurde immer wieder an die syrischen Opfer erinnert.
Vor dem Gerichtsgebäude in Koblenz wurde immer wieder an die syrischen Opfer erinnert.

© Thomas Lohnes/AFP

Im Laufe des Prozesses kam die Bundesanwaltschaft außerdem zu der Einschätzung, dass auch mehrere Fälle von Vergewaltigung und sexualisierter Gewalt, die Anwar R. als zuständigem Offizier der Einheit zur Last gelegt werden können, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu werten sind. Das Verfahren gegen den ehemaligen Geheimdienstler hatte im April 2020 begonnen. In dem Prozess traten 24 Nebenkläger auf, Überlebende der Folter in der Abteilung Al Khatib.

Einer von ihnen ist Wassim Mukdad. „Ich suche Gerechtigkeit, ich fordere keine Rache oder Vergeltung“, sagt der syrische Überlebende, der im Prozess auch als Zeuge aussagte. Er sei „erleichtert“, dass Anwar R. einen Verteidiger habe, dass der Angeklagte würdevoll behandelt worden sei. „Wir wollen Rechtsstaatlichkeit auch in Syrien haben.“ Doch bis dahin sei es noch ein langer Weg. „Aber jeder lange Weg beginnt mit einem Schritt. Dieser Prozess ist der erste Schritt.“ Aus Sicht von Wassim Mukdad wird dieser Weg erst enden, wenn Assad selbst und andere hochrangige Verantwortliche vor ein Gericht gestellt werden.

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Solange diese Verbrechen weder von der syrischen Justiz noch vor einem internationalen Gerichtshof zum Thema gemacht werden, hoffen die Opfer auf Verfahren, die wie in Koblenz nach dem sogenannten Weltrechtsprinzip geführt werden. Laut dem Völkerstrafgesetzbuch von 2002 können in Deutschland Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen auch dann verfolgt werden, wenn die Taten in einem anderen Land begangen wurden und weder Täter noch Opfer einen Bezug zu Deutschland haben.  

Stimme für die Opfer, die keine Stimme haben

In Koblenz hätten viele Zeugen und Nebenkläger ihre Geschichte erzählen können, sagt Wassim Mukdad. Doch viele andere Menschen seien noch immer in Syrien hinter Gittern, seien getötet worden oder auf der Flucht nach Europa gestorben. Ihm ist es wichtig, auch denjenigen eine Stimme zu geben, die nicht oder nicht mehr für sich sprechen können.

Es war ein Überlebender der Folter, der den jetzt verurteilten Ex-Geheimdienstoffizier 2014 in Berlin erkannte. Der syrische Menschenrechtsaktivist Anwar al Bunni war beim Einkaufen in der Nähe seiner Flüchtlingsunterkunft, als er einen Mann sah, der ihm bekannt vorkam. Doch erst etwas später wurde ihm klar, wer ihm dort in Berlin-Marienfelde begegnet war. Auch Anwar R. war als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Der frühere Verhörspezialist war zuvor in Syrien desertiert, er schloss sich nach eigenen Angaben der Opposition an und verließ das Land. Doch in Berlin holte ihn seine Vergangenheit ein.

Das Verfahren in Koblenz sei für die Syrer von großer Bedeutung, sagt die syrische Anwältin Joumana Seif, die für das European Centre for Constitutional and Human Rights (ECCHR), eine Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Berlin, das Koblenzer Verfahren begleitet. Zum ersten Mal sei vor einem Gericht über die Verbrechen von Assads Regime verhandelt worden. „Diese Verbrechen dauern bis heute an.“ Deshalb gehe es in diesem Prozess nicht nur um die Vergangenheit Syriens, sondern auch um die Gegenwart und die Zukunft des Landes.

Weitere Prozesse sollen folgen

Erstmals sei gerichtlich festgestellt worden, „dass das, was in Syrien spätestens seit April 2011 passiert, ein Menschheitsverbrechen ist“, sagt der Rechtsanwalt Patrick Kroker, der für das ECCHR mehrere Nebenkläger vertreten hat.

Weitere Prozesse, auch in Deutschland, sollen folgen. Bereits ab der kommenden Woche muss sich in Frankfurt (Main) ein syrischer Arzt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten. "Es bleibt das Ziel, hochrangige Mitarbeiter von Assad, wie den ehemaligen Luftwaffengeheimdienstchef Jamil Hassan, für ihre Verbrechen vor Gericht zu bringen", sagt Kroker.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sieht das Verfahren als Vorbild für andere Staaten. In den Gefängnissen der Assad-Regierung sei „entsetzliches Unrecht“ geschehen, diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit dürften nicht straflos bleiben, erklärte der Minister. Er würde es daher begrüßen, wenn auch andere Staaten dem Beispiel dieses Prozesses folgen würden.

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