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Aufmarsch in Berlin. Die Hamburger Islamistengruppierung "Muslim Interaktiv" demonstrierte im Oktober mit martialischem Gehabe am Brandenburger Tor.

© Michele Tantussi/REUTERS

Verfassungsschutz warnt vor neuer Islamistentruppe: Hetze und martialische Auftritte in Berlin und Hamburg

Der Hamburger Verfassungsschutz nimmt sich die Gruppierung "Muslim Interaktiv" vor. Die Islamisten wiegeln junge muslimische Männer auf.

Von Frank Jansen

Der Hamburger Verfassungsschutz warnt vor einer neuen islamistischen Organisation, die mit ihrer martialischen Agitation auf der Straße und im Internet vor allem junge muslimische Männer aufheizen will. Die Gruppierung „Muslim Interaktiv“ nutze die Reaktionen auf die Anschläge in Wien und Frankreich, „um Muslime öffentlich als angebliche Opfer staatlicher Repression darzustellen und die vermeintlich vorherrschende, generelle Islamfeindlichkeit in der westlichen Welt zu betonen“, heißt es in einer Mitteilung des Nachrichtendienstes vom Freitag.

Auch die Corona-Pandemie wird instrumentalisiert

Muslim Interaktiv instrumentalisiere auch die Corona-Pandemie oder das Thema Kindesmissbrauch „als Beispiele für das vorgebliche Versagen des von Menschen gemachten Systems“. Der Verfassungsschutz ordnet die Gruppierung dem Umfeld der international agierenden, extremistischen Vereinigung „Hizb ut-Tahrir“ (Islamische Befreiungspartei) zu. Im Januar 2003 verfügte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) ein Betätigungsverbot gegen Hizb ut-Tahrir. Die Islamisten sind allerdings weiter in Deutschland aktiv und versuchen, sich über Vorfeldorganisationen optisch zu modernisieren.

Martialische Auftritte in Berlin

Die Hamburger Truppe Muslim Interaktiv hat bereits mit größeren Aktionen in der Hansestadt und in Berlin Aufmerksamkeit erregt. Am 20. November demonstrierten etwa 100 Anhänger von Muslim Interaktiv in Berlin vor der österreichischen Botschaft. Die männlichen, mit dunklen Jacken gekleideten Teilnehmer trugen einheitliche schwarze Masken mit der Aufschrift „Muslim Interaktiv“. Protestiert wurde gegen den Plan von Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, als Reaktion auf den islamistischen Anschlag in Wien den „politischen Islam“ als Straftatbestand einzustufen.

Parolen wie bei den Coronaleugnern

Das Vorhaben ist auch jenseits des islamistischen Spektrums umstritten, doch Muslim Interaktiv nutzt den Unmut für antiwestliche Propaganda. Die Demonstranten zeigten Schilder mit der Aufschrift „Damals Juden, heute Muslime?“ und riefen „Nein zur Merkeldiktatur“. Die Parolen ähneln denen von Coronaleugnern, die westliche Regierungen wegen ihrer Maßnahmen gegen die Pandemie mit dem NS-Regime gleichsetzen.

Provokation am Brandenburger Tor

Zuvor hatte Muslim Interaktiv schon mit einem Aufmarsch am Brandenburger Tor provoziert. Am 30. Oktober traten etwa 70 junge Islamisten, alle mit schwarzen Kapuzenpullovern, in militärisch anmutender Formation an, um gegen einen islamfeindlichen Angriff auf zwei muslimische Frauen in Paris zu demonstrieren. Die französische Botschaft ist in Sichtweite des Brandenburger Tors, einen Tag zuvor hatten auf dem Platz vor der Vertretung 150 Menschen der Opfer des islamistischen Anschlags auf eine Kirche in Nizza gedacht. Die Aktion von Muslim Interaktiv nahe der Botschaft nur einen Tag nach dem Attentat, bei dem drei Menschen starben, wirkte wie eine grelle Antwort der Islamisten auf die stille Trauer um die Toten von Nizza. Die Aktivisten hielten Schilder hoch mit Aufschriften wie „Wertediktatur“ und, in Anspielung auf Frankreichs koloniale Vergangenheit, „Völkermord Algerien“. Bei der Berliner Staatsanwaltschaft sind Verfahren anhängig, weil die Demonstranten von Muslim Interaktiv gegen das im Versammlungsgesetz verankerte Uniformverbot verstoßen haben sollen.

Muslim Interaktiv wurde Anfang März gegründet. Schon wenige Tage später legte die Gruppierung mit einem groß angelegten Autokorso in der Hamburger Innenstadt den Verkehr zeitweise lahm. Protestiert werden sollte gegen den rassistischen Anschlag in Hanau. Der machohafte Auftritt mit PS-starken Fahrzeugen diente aber offenbar mehr der Werbung um junge muslimische Männer.

Rechtsextreme Anschläge werden für Propaganda verwertet

Die Gruppierung rumort im Internet, laut Verfassungsschutz präsentiert sich Muslim Interaktiv bei Facebook, Instagram und YouTube. Bei Instagram habe die Gruppierung 4000 Abonnenten. Auf der Facebook-Seite fällt auf, dass mehrfach versucht wird, rechtsextreme Anschläge auf Muslime in Deutschland für die eigene Propaganda zu verwerten.

Der Nachrichtendienst vergleicht Muslim Interaktiv mit ähnlichen Vereinigungen wie „Generation Islam“ und „Realität Islam“. Solche informellen Netzwerke seien für Hizb ut-Tahrir „zweckdienlich, wenn es um die Gewinnung neuer Anhänger im Sinne ihrer Ideologie geht“. In Hamburg werden Hizb ut-Tahrir 300 Anhänger zugerechnet. Damit ist die Hansestadt der Schwerpunkt der Aktivitäten, bundesweit zählt der Verfassungsschutz 430 Personen zu Hizb ut-Tahrir.

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