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Steinmeier umringt von den Musikern des Jugendorchesters von Sanità in Neapel.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Steinmeier in Italien: Verliebt in Deutschland

Bundespräsident Steinmeier wollte in Italien erfahren, wie der Süden tickt. Doch die Menschen erzählten ihm vor allem von ihrer Verehrung für Deutschland.

Das Wort Heimat bekommt einen eigenen Klang, wenn Franco und Giovanni Benatti deutsch reden. Sie haben es nämlich in Wiesbaden und Bad Schwalbach gelernt. Das Rhein-Main-Gebiet hat auch ihr Deutsch eingefärbt, das die beiden Brüder auch Jahrzehnte nach ihrer Rückkehr noch ausgezeichnet sprechen, die Satzmelodie, die Aussprache - und das Vokabular.

"Was ich bis heute vermisse, das sind eure Kaffeestückchen", sagt Giovanni. So heißt rings ums Rheinknie das Nachmittagsgebäck zur Kaffeestunde, das weiter im Norden als Teilchen bekannt ist.

Die Brüder Benatti waren an diesem Freitag mit einem halben Dutzend weiteren Migrantinnen und Migranten der Gastarbeitergeneration im Goethe-Institut in Neapel zu Gast, um einem weiteren Gast, dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, von damals zu erzählen und von dem, was von damals geblieben ist.

Das Institut wird selbst von einer deutsch-italienischen Re-Migrantin geführt: Maria Carmen Morese, in Deutschland promovierte Germanistin, war vor einigen Jahren die erste nichtdeutsche Goethe-Institutschefin weltweit.

Sogar die Rente aus dem Norden kommt pünktlich

Das Deutschlandgefühl der Benattis ist, wie das der andern "Gastarbeiter" an diesem neapolitanischen Vormittag, eines der Aufgehobenheit und Wertschätzung, die sie in den 1960er und 1970er Jahren in Deutschland erfuhren. Das hessische Kaffeestückchen, so erzählt es Giovanni später der Journalistin, steht auch für seinen deutschen Familienanschluss.

Er, der wie sein Bruder noch nicht zwanzigjährig nach Deutschland kam, sei von einer deutschen Familie praktisch wie ein Sohn aufgenommen worden, die ihn mit den Landessitten vertraut machte - eben auch mit dem Kaffeeklatsch am Nachmittag.

Die Geschichten, die Frank-Walter Steinmeier und First Lady Elke Büdenbender zu hören bekommen, sind alle positiv: Die Berufsausbildung, die Deutschland ermöglichte und die dann auch nach der Rückkehr in Italien ein Auskommen sicherte – Giovanni Benatti wurde Monteur für Kläranlagen, sein Bruder Elektriker – und die "wunderbaren Menschen", die man getroffen habe. Sie tauchen in allen Erzählungen auf. Auch dass die Rente aus Duetshcland immer pünktlich eintreffe, erzählt einer von ihnen, inzischen 73 Jahre alt, "auch wenn ich nicht allem im Rentenbescheid verstehe". Zusammen mit der italienischen Rente habe er sein Auskommen. "Wir sind Deutschland sehr dankbar."

Angela Cerreta nahm aus neun Jahren in Remscheid eine Ausbildung zur Friseurin mit. Auch nach der Rückkehr nach Italien arbeitete sie in diesem Beruf. Die andern Geschichten, die Soziologen und Historiker in langen Interviews aufgeschrieben haben, die von Rassismus und Heimweh in deutscher Kühle, nicht nur im Winter, gibt es in ihren Erinnerungen nicht, jedenfalls nicht in denen, die sie hier abrufen.

Auch die jüngeren setzen Hoffnungen auf Deutschland

Das positive Deutschlandgefühl teilen die Älteren mit den Auswandererinnen der Enkelgeneration. "Ich muss sagen, ich bin geradezu in Deutschland verliebt, sagt Federica Guidetti, die Literatur in Neapel studiert hat und jetzt eine Erzieherinnenausbildung in Deutschland machen will. Auch sie hat - in Regensburg, wo sie mit Deutsch anfing - Familienanschluss gefunden und schwärmt von den Deutschen, die sie aufgenommen und inspiriert haben.

Auch Maria Luisa Zona und ihr Partner Roberto Tozzi, beide studierte Veterinärmediziner, erwarten sich von Deutschland mehr Arbeitsmöglichkeiten. "Ich habe Deutschland immer geliebt, die Menschen, die Landschaften, sogar das Wetter", sagt Zona. Und sie fühlt sich auch im Beruf mehr geschätzt. Ihren Freund hat sie mit ihrer Liebe angesteckt.

Die 26-jährige Pia Lombardi, die einen Master als Fremdsprachenlehrerin hat und viel Erfahrung im Kulturmanagement, wünschte sich schon zum 18. Geburtstag einen Deutschkurs am Goethe-Institut. Deutschland empfindet sie als "offener als andere Länder, besonders als Italien". In Italien ist sie arbeitslos, auch sie zieht es nach Deutschland.

Es war erklärtes Ziel dieser dritten offiziellen Italienreise des Bundespräsidenten, den Süden besser zu verstehen. Einen Süden, aus dem einst die ersten derer kamen, die mit ihrer Arbeitskraft "den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands möglich gemacht haben". Der aber nach wie vor als Europas große Problemzone gilt, mit unterentwickelter Infrastruktur, Abwanderung, Arbeitslosigkeit. Jetzt hört sich das Präsidentenpaar die dankbaren Erinnerungen ans eigene Land.

Das Schlusswort hat die First Lady: Es habe sie "sehr berührt, dass sie Deutschland in so guter Erinnerung haben". Sie und ihr Mann liebten Italien, und auf das eigene Land schaue man gern auch selbstkritisch: "Es hat mir gut getan, mit Ihren Augen auf mein Land zu schauen. Dafür möchte ich mich bedanken."

Bücher für die Betonwüste, ein Symphonieorchester im Sanierungsviertel

Das Bild des Landes, dem das Präsidentenpaar diesen Besuch macht, erhält dann aber doch Konturen, als sie mit Kulturleuten aus dem Süden sprechen. Beim Aperitiv in einem Innenhof des monumentalen Klosterkomplexes von Santa Chiara erklärt der neapolitanische Schriftsteller und Aktivist Maurizio Braucci Steinmeier die Misere seines Südens: Schulen, die es aufgegeben hätten, ihren Schülern einen Weg in die Zukunft zu öffnen, weil sie die selbst nicht mehr sähen. Es gehe dort nur noch darum, "die Lage der Jugendlichen einigermaßen stabil zu halten". Selbst EU-Fonds, die genau für solche Kinder und Jugendlichen vorgesehen sind, riefen Politik und Verwaltung nicht ab.

Das will der Bildhauer und und Maler Lello Esposito, wie Braucci hier geboren und aufgewachsen, nicht so stehen lassen. Mit Hilfe Europas sei die Altstadt Neapels in den letzten Jahren renoviert worden, auch Neapels große Handwerkstradition sei wieder aufgeblüht. "Im Zentrum ja", gibt Braucci zurück, alles außerhalb bleibe sich selbst überlassen. Es werde von den politischen Eliten "einfach nicht gesehen": Das was entstehe, komme "von unten", aus bürgerlichem Engagement, ergänzt Rosario Esposito La Rosso, der in Scampia aufwuchs, der Betonwüste an der Peripherie von Neapel, in der lange Drogenbosse und die Camorra den Ton angaben und die durch Roberto Savianos Buch "Gomorrha" weltweit berühmt wurde. La Rosso ist Kleinverleger und hat vor genau zwei Jahren "La Scugnizzeria" eröffnet, die erste Buchhandlung von Scampia.

Konzert von Jugendlichen

Scugnizzi, wie Straßenkinder im neapolitanischen Dialekt heißen, spielen wenig später für Steinmeier und die andern Gäste aus Deutschland. Das Abschlusskonzert dieses Staatsbesuchs liefert sozusagen den hörbaren Beweis für die These, dass Gutes vor allem von unten wachse. Das Jugendorchester des innerstädtischen Viertels Sanità bestand anfangs aus zwei Dutzend Kindern, die Pater Antonio Loffredo, der Pfarrer der Kirche Santa Maria della Sanità, und der Dirigent Maurizio Baratta 2008 zusammenbrachten. Inzwischen ist das "Sanitansamble" auf Symphonieorchesterstärke gewachsen und hat auch schon vor dem Papst gespielt.

Die Kinder und jungen Leute zwischen 7 und 24 Jahren aus dem lange von Arbeits- und Perspektivlosigkeit geplagten Viertel, darunter viele Einwandererkinder, dürfen ins Orchester, sobald sie auch nur "eine Saite zupfen können", sagt Fausta Pasanisi. "Sie sollen sehen, dass ihr kleiner Beitrag etwas Großes erreicht, sobald er mit dem Beitrag der andern zusammenkommt."

Pasanisi, die das "Sanitansamble" managt, betont, dass dabei viel mehr als gute Musik entstehe: "Sich engagieren, Regeln beachten, zusammenarbeiten, aufeinander hören, das sind alles Dinge, die die Jugendlichen weitertragen: In ihre Familien, in die Schulen."

In Sanità folgt man dem venezolanischen Musikerziehungsprogramm El Sistema, aus dem auch der Star-Dirigent Gustavo Dudamel hervorging. Die Instrumente und den Unterricht für das Sanitansamble sponsort inzwischen ein Förderverein. Die Spenden kommen von Neapels Bürgerschaft, von Stiftungen und Banken, nicht vom Staat.

Dass bürgerschaftliches Engagement allein genügt, glauben allerdings auch die die Engagierten selbst nicht. "Wir müssen die bisherige politische Klasse ablösen", sagt der Buchhändler von Scampia. "Wir müssen kandidieren."

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