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Ein Schild weist in der Münchner Innenstadt auf die Maskenpflicht hin.

© Tobias Hase/dpa

„Die Zahlen werden weiter steigen“: Virologe kritisiert Bund-Länder-Beschlüsse als unzureichend

Der Oster-Lockdown war nicht umsetzbar, Ersatz gibt es nicht. Was kommt auf Deutschland in den nächsten Wochen zu?

Stand:

Es war eine düstere Prognose, die das Robert-Koch-Institut vor zwei Wochen abgab: Die Fallzahlen der Corona-Infektionen könnten schon nach Ostern das Niveau von Weihnachten übersteigen. Die Sieben-Tage-Inzidenz könnte kurz darauf auf über 300 steigen – wenn sich die Trends fortsetzten.

Experten befürchten, dass das, was Bund und Länder in dieser Woche verabredet haben, nicht reicht, um die dritte Welle auszubremsen. Stand Donnerstag liegt die Sieben-Tage-Inzidenz im bundesweiten Schnitt bei 113. Zwar pochen Kanzlerin und Ministerpräsident:innen in ihrem Beschlusspapier auf die Einhaltung der „Notbremse“, wenn in einer Region die Inzidenz über 100 steigt. Doch der Oster-Lockdown fällt aus, weil er nicht umsetzbar ist. Viele fragen: Was soll stattdessen helfen?

Auch der Frankfurter Virologe Martin Stürmer hält die Beschlüsse der Bund-Länder-Runde für unzureichend. „Das, was jetzt an Maßnahmen auf dem Tisch liegt, reicht für eine Trendwende nicht aus“, sagt er dem Tagesspiegel. „Im besten Fall flachen wir so die Welle ab – aber die Zahlen werden weiter steigen.“

„Blauäugig und leichtsinnig“

Stürmer kritisiert die Anfang März beschlossenen Lockerungen scharf. Man habe damals gelockert „auf Basis von leicht steigenden Zahlen“. Es sei klar gewesen, dass sich die hochansteckende britische Variante B.1.1.7 schon verbreite. „Wir haben gesehen, was das in Großbritannien angerichtet hat“, sagt Stürmer. Es sei „blauäugig und leichtsinnig“ gewesen, zu öffnen – und die Reihenfolge falsch. „Man hätte bestimmte Bereiche durch Testen sicherer machen sollen und dann öffnen. Wir haben es umgekehrt gemacht.“

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Als Stürmer Anfang dieser Woche vom geplanten Oster-Lockdown hörte, war er konsterniert. „Der Oster-Lockdown hätte nicht viel gebracht. Die Idee, am Donnerstag zuzumachen und am Samstag die Supermärkte auf, war der blanke Wahnsinn.“

Der Virologe glaubt, jetzt müsse rigoros auf die Bremse getreten werden. Dazu gehöre, alle Lockerungen wieder rückgängig zu machen. „Schulen und Kindergärten müssten eigentlich geschlossen werden, bis wir eine gute Teststrategie etabliert haben“, sagt er. „Die vielen ,Kann‘-Optionen wie Ausgangssperren müssten tatsächlich gezogen werden.“

„B.1.1.7 verzeiht nicht die kleinste Nachlässigkeit“

Trotzdem sollte man aus Sicht von Stürmer auch parallel - bei geeignetem Hygiene- und Testkonzept sowie wissenschaftlicher Unterstützung - gezielt einzelne Bereiche öffnen, „um die Situationen des alltäglichen Lebens zu identifizieren, die man mit einem vertretbar kleinen Risiko wieder ermöglichen könnte.“

Klar müsse aber auch jedem in der Bevölkerung sein: „Die Variante B.1.1.7 verzeiht nicht die kleinste Nachlässigkeit.“ Viele Menschen, die ihr Verhalten noch an die Variante vom vergangenen Jahr angepasst hätten, müssten umdenken, sagt Stürmer. „Jetzt gilt mehr denn je: Kontakte vermeiden, wo es geht. Wo nicht gelüftet werden kann, in jedem Fall Maske aufsetzen. Testangebote wahrnehmen, wo es geht.“ Auch Kassierer in Tankstellen und Supermärkten müssten flächendeckend Maske tragen – das ist noch immer nicht überall der Fall. „Diese Plexiglasscheiben helfen einfach nicht genug“, sagt Stürmer.

An diesem Freitag will das RKI eine neue Extrapolation veröffentlichen. Dann wird sich zeigen, wie das Institut die Pandemie-Aussichten für die kommenden Wochen beurteilt.

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