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Sein Plan. Mit der neuen Verfassung könnte Erdogan bis 2029 als Präsident mit weitreichenden Vollmachten regieren.

© dpa

Die Türkei auf dem Weg zum Präsidialsystem: Volle Macht für Erdogan

Das türkische Parlament soll in dieser Woche über Erdogans Vorschläge für ein Präsidialsystem beraten. Läuft es nach Plan, werden die Türken im Frühsommer über die Abschaffung des parlamentarischen Systems abstimmen.

Die türkische Regierungspartei AKP will in den kommenden Tagen ihre Vorschläge für eine Präsidialrepublik ins Parlament einbringen. Mithilfe der Nationalistenpartei MHP will die AKP innerhalb eines halben Jahres eine Volksabstimmung über das Thema ansetzen. Präsident Recep Tayyip Erdogan soll weitreichende Vollmachten wie das Recht zur Auflösung des Parlaments erhalten.

Lediglich „Details“ seien noch zu klären, meinte Ministerpräsident Binali Yildirim nach einem Treffen mit Nationalistenchef Devlet Bahceli, dessen Rechtspartei MHP im Parlament der AKP zur Mehrheit für die Verfassungsänderung verhelfen soll. In dieser Woche soll der Entwurf ins Parlament kommen; die Beratungen sollen bis zum Frühjahr abgeschlossen sein. Läuft alles nach Erdogans Plan, werden die Türken im Frühsommer in einer Volksabstimmung über die Abschaffung des parlamentarischen Systems befinden.

AKP und MHP haben zwar keine Mehrheit für eine direkte Verfassungsänderung durch das Parlament, wohl aber genügend Mandate, um das Referendum ansetzen zu lassen. Erdogan könnte dann bis zum Jahr 2029 als Präsident mit weitreichenden Vollmachten regieren.

Noch aber gibt es keine vollständige Einigung zwischen AKP und MHP: Die „Details“ haben es in sich. Unter anderem geht es um die Forderungen der AKP, dem Präsidenten das Recht zur Auflösung des Parlaments und zur Umgehung der Volksvertretung mithilfe von Präsidialdekreten zu geben. Erdogan greift damit nach einer ähnlichen Machtfülle, wie sie Paul von Hindenburg als Präsident der Weimarer Republik hatte. Noch sperrt sich die MHP gegen diese Änderungen.

Nach dem AKP-Modell hätte das Parlament kaum Möglichkeiten, der Macht des Präsidenten etwas entgegenzusetzen – eine potenziell schwerwiegende Schwächung der Gewaltenteilung, sagen Kritiker. Zudem fehlen in der zentralisierten Türkei, anders als etwa in den USA, die Gegengewichte durch die Selbstverwaltung der Bundesstaaten oder eine unabhängige Justiz. Tausende von türkischen Richtern und Staatsanwälten sind in den vergangenen Jahren gefeuert und durch AKP-Anhänger ersetzt worden. Die Medien sind ebenfalls größtenteils auf Regierungslinie.

Das Amt des Ministerpräsidenten soll abgeschafft werden

Mit der weitgehenden Konzentration der Macht beim Präsidenten sollen diese Zustände festgeschrieben werden: Das Amt des Ministerpräsidenten wird demnach abgeschafft, der Präsident ist nicht nur Oberbefehlshaber der Streitkräfte, er leitet die Kabinettssitzungen und stellt den Staatshaushalt auf. Die Regierung soll lediglich dem Präsidenten verantwortlich sein, nicht mehr dem Parlament.

Alles kein Problem, sagt der AKP-Politiker Mustafa Sentop, Vorsitzender des Verfassungsausschusses im Parlament. Erdogans künftige Präsidialdekrete seien immerhin der Kontrolle durch das Verfassungsgericht unterworfen, betonte er. Zudem erinnerte Sentop daran, dass auch der scheidende US-Präsident Barack Obama vielfach per Dekret regiert hat, um den von den Republikanern dominierten Kongress zu umgehen.

Doch Obama kann den Kongress nicht einfach nach Hause schicken, wie Erdogan laut AKP-Plan das können wird. Auch fehlen im türkischen Entwurf wichtige Befugnisse des Parlaments, etwa die Bestätigung von Ministerkandidaten durch die Volksvertretung, mit denen in den USA die Macht des Präsidenten eingeschränkt wird.

In Ankara wird die AKP immer mehr zur Staatspartei, während die schwache Opposition – die Spitze der legalen Kurdenpartei HDP sitzt im Gefängnis – hilflos zuschauen muss. Noch ist unklar, ob es überhaupt Bremsen für Erdogan geben wird. Die MHP fordert, das Parlament müsse die Möglichkeit erhalten, mit absoluter Mehrheit ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten einleiten zu können. Bisher ist dazu eine Dreiviertel-Mehrheit nötig.

Die türkischen Wähler können sich laut Umfragen bisher nicht so recht für Erdogans Plan erwärmen. Auch unter den 317 AKP- und den 40 MHP-Abgeordneten dürfte es in geheimer Abstimmung über den Staatsumbau einige Abweichler geben. Zur Ansetzung der Volksabstimmung werden mindestens 330 Ja-Stimmen im Parlament gebraucht.

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