Chronologie: Von der Koranschule ins Folterlager
Der aus Bremen stammende Türke Murat Kurnaz saß mehr als vier Jahre lang im US-Gefangenenlager Guantanamo - und das, obwohl die USA schon früh seine Auslieferung angeboten haben sollen. Ist der ehemalige Kanzleramtschef Steinmeier dafür verantwortlich zu machen?
Berlin - Folgende Chronologie gibt einen Überblick zu dem Fall:
3. Oktober 2001: Der 19-jährige Kurnaz fliegt wenige Wochen nach den Anschlägen vom 11. September nach Pakistan, um dort eine Koranschule zu besuchen. Weil ihn die Schule nicht aufnimmt, reist er durch das Land. In Bremen nimmt die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen ihn auf, weil er sich womöglich den Taliban anschließen wolle. Das Verfahren wird 2002 eingestellt.
1. Dezember 2001: Kurnaz wird von pakistanischen Sicherheitskräften festgenommen und später an die US-Behörden übergeben.
Ende 2001: Kurnaz kommt in das US-Gefangenenlager im südafghanischen Kandahar. Bereits dort wird er nach eigenen Angaben schwer misshandelt und gefoltert. Deutsche KSK-Elitesoldaten sind vor Ort und haben Kontakt zu ihm. Gegen sie läuft in Tübingen ein Ermittlungsverfahren, weil Kurnaz den Vorwurf erhebt, auch ein Deutscher habe ihn misshandelt.
9. Januar 2002: Die Bundesregierung erfährt nach eigenen Angaben erstmals von der Festnahme.
2. Februar 2002: Kurnaz wird in das US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba verlegt. Dort wird er nach seinen Angaben geschlagen, stundenlang gefesselt und in Isolationshaft gefoltert - durch Kälte, Hitze und Sauerstoff-Entzug.
23. und 24. September 2002: Zwei Beamte des Bundesnachrichtendienstes (BND) und ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz befragen Kurnaz in Guantanamo. Sie kommen später zu dem Schluss, der Mann sei harmlos.
Oktober/November 2002: Die USA kündigen an, dass Kurnaz wegen erwiesener Unschuld in den nächsten sechs bis acht Wochen freigelassen werden solle. Im Kanzleramt wird unter Beteiligung des Innenministeriums über den Fall beraten. Doch die Bundesregierung lehnt die Wiedereinreise ab. Dies geht unter anderem aus einer internen BND-Mitteilung hervor.
24. Februar 2003: Der CIA-Verbindungsbeamte in Berlin teilt nach Angaben des Tagesspiegels dem deutschen Verfassungsschutz mit, zum gegenwärtigen Zeitpunkt werde einer Verlegung von Kurnaz aus Guantanamo nicht zugestimmt.
19. November 2003: Der damalige Außenminister Joschka Fischer (Grüne) spricht mit seinem US-Kollegen Colin Powell über den Fall.
April 2004: Kurnaz wird nach seinen Worten erneut von einem BND-Mitarbeiter vernommen. Die Bundesregierung hat diese Vernehmung bisher nicht bestätigt.
12. Mai 2004: Auf Veranlassung des Bundesinnenministeriums wird die Einreise für Kurnaz verweigert. Zuvor hatten sich das Ministerium und das Bundeskanzleramt den Vorwürfen der Opposition zufolge darum bemüht, die Aufenthaltserlaubnis des in Bremen geborenen Kurnaz zu löschen. Dazu erhielt die Bremer Innenbehörde eine Anweisung. Außerdem wurde bei den US-Behörden versucht, an den Pass von Kurnaz zu kommen.
26. Oktober 2005: Die rot-grüne Bundesregierung soll Zeitungsberichten zufolge noch nach der Bundestagswahl versucht haben, einen Terrorverdacht bei Kurnaz nachzuweisen. Auch Steinmeier soll die Wiedereinreise verhindert haben.
30. November 2005: Das Verwaltungsgericht Bremen hebt die Entscheidung der Innenbehörde auf, die Aufenthaltserlaubnis von Kurnaz zu löschen.
13. Januar 2006: Nach dem Regierungswechsel spricht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Fall bei ihrem Besuch bei US-Präsident George W. Bush an. Es folgen Verhandlungen mit den USA über die Bedingungen einer Freilassung.
24. August 2006: Kurnaz wird freigelassen und kommt nach fast fünf Jahren zurück nach Deutschland.
17./18. Januar 2007: Kurnaz sagt erstmals vor den Untersuchungsausschüssen des Bundestags aus.
1. Februar 2007: Der BND-Untersuchungsausschuss bestellt Steinmeier für den 8. März ein, um ihn zum Fall Kurnaz zu befragen. (tso/AFP)