
© IMAGO/Political-Moments
Vormarsch der Rechtsradikalen: Wie schlimm wird es noch werden?
Nach dem Desaster der vergangenen Woche glaubte die AfD bereits an ein Ende der Brandmauer. Doch sie könnte, wie so oft, falsch liegen.

Stand:
Wenn der Tabubruch der vorigen Woche irgendetwas Gutes hatte, dann hoffentlich, dass er sich nie wiederholen wird.
Denn natürlich hat auch die CDU-Führung deutlich mitbekommen, welchen Schaden das von Friedrich Merz initiierte Manöver – die Mehrheitbeschaffung durch AfD-Stimmen – angerichtet hat: für ihn persönlich, für seine Partei, für das Miteinander der Demokraten und für die Gewissheit, dass Demokraten im Bundestag unter keinen Umständen mit Rechtsextremen zusammenarbeiten.
Beim CDU-Bundesparteitag am Montag gab sich Merz bereits viel Mühe, sich maximal von der AfD zu distanzieren. Die Umfrage von infratest dimap, die Merz sogar eine leichte Verbesserung seiner Werte attestierte, wurde an eben diesem Tag sowie an den beiden Folgetagen durchgeführt. Sie stand unter dem Eindruck seiner Kampfansage an die Rechtsextremen.
Einige Christdemokraten, mit denen ich gesprochen habe, empfinden derzeit vor allem Scham. Das sind Menschen, die den Tabubruch ihrer Partei nicht persönlich mitverantworten, sondern bloß in den Nachrichten mitbekamen.
Normalerweise sind sie stolz darauf, dieser Partei anzugehören: der Partei Adenauers, Erhards, Kohls und Merkels, der Partei des Wirtschaftswunders, der Westbindung und der Wiedervereinigung. Die Zusammenarbeit mit der AfD im Bundestag bedeutet auch eine massive Besudelung dieser Parteiengeschichte. Ich verstehe sehr gut, weshalb sie Scham empfinden.
Leugnen hilft nicht weiter
Es gibt unterschiedliche Strategien, mit Scham umzugehen. Eine besonders Unwürdige ist, das Geschehene einfach leugnen zu wollen. Also stur zu behaupten, es habe überhaupt keinen Tabubruch gegeben. Doch, das hat es, und das wissen auch alle.
Eine zweite unwürdige Strategie besteht darin, wild um sich zu schlagen und damit bloß weiteren Schaden anzurichten. Ein unschönes Beispiel dafür ist wieder mal Julia Klöckner. Ausgerechnet die Frau, die ohnehin ein stark zerrüttetes Verhältnis zur Wahrheit hat.
Wie sie am Montag auf dem Parteitag lospolterte und versuchte, Demonstrationen gegen Rechts zu verunglimpfen, das wirkte gruselig und unbeholfen zugleich. Wer Bürger wider besseres Wissen als „linksradikal“ diffamiert, nur weil sie den endgültigen Einsturz der Brandmauer fürchten, der hat allen Widerspruch verdient.
Zudem heißt es doch immer, man solle die Ängste der Bürger endlich ernst nehmen. Warum gilt das nicht für Bürger, die Angst vor einer Machtbeteilung der AfD haben?
Millionen Deutsche fürchten sich genau davor. Ich habe einmal nachgeschlagen, wie viele es sind: 61 Prozent aller Deutschen haben große oder sehr große Angst, dass die AfD in Deutschland das Sagen bekommt. Die Zahlen stammen aus dem Dezember und kommen direkt von der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Ich zähle auch zu diesen 61 Prozent. Und ich erwarte, dass unsere Ängste und Warnungen und Hilferufe nicht länger lächerlich gemacht werden.
Warum Friedrich Merz die AfD hasst
Nach dem Tabubruch im Parlament freuten sich ein paar Falschabgebogene wie Ulf Poschardt schon öffentlich auf eine kommende Minderheitsregierung. Also auf einen Kanzler Merz, der sich von der AfD ins Amt bringen und dann im Amt halten lässt. In der CDU gibt es sogar Kräfte wie die Brandenburgerin Saskia Ludwig, die sich nach der Wahl eine Koalition mit der AfD wünschen.
Ich denke, dass Friedrich Merz diese Idee aus tiefstem Herzen verabscheut. Er hasst die AfD, und das nicht aus machtpolitischen Erwägungen, sondern aufgrund seiner persönlichen demokratischen Überzeugungen.
Ich bin mir sicher, dass auch Konrad Adenauer die AfD gehasst hätte, genauso wie Ludwig Erhard. Bei Kurt Georg Kiesinger bin ich mir nicht ganz sicher. Aber bei Helmut Kohl auf jeden Fall und bei Richard von Weizsäcker sowieso.
Ich muss in diesen Tagen oft an die re:publica denken. Wer sie nicht kennt: Das ist eine Digital- und Gesellschaftskonferenz, die einmal pro Jahr in Berlin stattfindet. Dort sprechen einige der klügsten, vernünftigsten und konstruktivsten Stimmen, die unsere komplizierte Gegenwart zu bieten hat.
Vor ein paar Jahren überraschte dort Sascha Lobo mit einem Kompliment an Jens Spahn. Dem CDU-Mann komme im Kampf gegen autoritäre Antidemokraten eine essenzielle Rolle zu. Denn dieser sei zwar konservativ und in vielerlei Hinsicht „schwierig“, aber eben auch Demokrat. Die entscheidende Frage laute daher: „Wird er je helfen, die AfD an die Macht zu bringen – durch Koalition oder direkte Zusammenarbeit?“ Falls nicht, sei Jens Spahn „trotz seiner Spahnhaftigkeit gut für Deutschland.“

© IMAGO/Achille Abboud
Sascha Lobo nannte damals Spahns Namen, denn die Rückkehr von Merz war natürlich nicht absehbar. In Anlehnung an den US-amerikanischen Politikwissenschaftler Daniel Ziblatt erläuterte Lobo jedenfalls, konservative Demokraten wie Spahn gehörten, sofern sie autoritären Verlockungen widerstehen könnten, zu den „alles entscheidenden Kräften bei der Abwehr des Autoritären in diesem Land“.
Niemand will wie Gauland oder Maaßen enden
Sowieso geht es immer schlecht aus, wenn sich Christdemokraten mit der AfD einlassen. Zum Beispiel Alexander Gauland. Man kann es sich heute nicht mehr vorstellen, aber: Dieser Mann wurde mal respektiert.
Jetzt ist er die traurige Gestalt, die für ihre widerliche „Vogelschiss“-Äußerung in Erinnerung bleiben wird und bei der sich viele Menschen freuten, als sie ohne Klamotten vom Badesee abziehen musste. Soeben wurde Gauland mitgeteilt, dass er nun auch in seinem Stammhotel nicht mehr willkommen ist. Die Hotelbesitzerin sagt: „Wir haben ihm nahegelegt, nicht mehr zu uns zu kommen. Die Präsenz von ihm ist einfach nicht mehr erwünscht.“
Oder Max Otte, der sich von der AfD als Bundespräsidentenkandidat nominieren ließ und den heute zurecht keiner mehr ernst nimmt. Oder Hans-Georg Maaßen. So weit unten möchte doch wirklich niemand enden.
Eine „neue Queen“ im Bundestag
Der Tabubruch von Merz hat in Deutschland vieles ausgelöst, was der CDU überhaupt nicht in den Kram passt. Die Masseneintritte bei Grünen und Linken zum Beispiel. Deren steigende Umfragewerte. Oder dass der Ausschnitt von Heidi Reichinneks beherzter Bundestagsrede, in der sie Friedrich Merz schwere Vorwürfe macht, derart viral gegangen ist: „Herr Merz, allen politischen Differenzen zum Trotz hätte ich mir niemals vorstellen können, dass eine christlich-demokratische Partei diesen Dammbruch vollzieht und mit Rechtsextremen paktiert.“ Die Journalistin Doris Akrap nennt Reichinnek die „neue Queen im Bundestag“, das trifft es sehr gut.
Michel Friedman trat wegen des Tabubruchs aus der CDU aus und zeigte eindrucksvoll, dass das Übertreten roter Linien Folgen hat. Dazu die zahlreichen und sehr gut besuchten Bürgerproteste. Man sieht jetzt Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die auf Instagram „Alerta, alerta, antifascista“ posten.
Meine liebe Kollegin Aline von Drateln hat ein Video vom Heimspiel des FC St. Pauli hochgeladen. Auf der Anzeigentafel hatte der Club die Maxime „Kein Vergeben, kein Vergessen“ eingeblendet. Dazu sang das ganze Stadion im Chor: „Alle zusammen gegen den Faschismus.“
Und es gibt das beeindruckende Video des Fotografen und Filmemachers Sebastian Haenel, der die Menschenmenge der Berliner Brandmauer-Demo vom vergangenen Sonntag im Zeitraffer filmte:
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Haenel schrieb mir, diese Demonstration sei ihm als „scheinbar endlose Welle an Menschen“ erschienen. Seine Kamera hatte er auf dem ersten Stockwerk der Siegessäule postiert: „Nach einer Stunde habe ich mich gewundert, wie viele denn noch kommen.“ Später bemerkte er, dass die Menschen auch direkt aus dem Tiergarten zur CDU-Zentrale strömten sowie über den Spreeweg am Schloss Bellevue. Sein Video zeigt also nur einen Teil derer, die am Sonntag auf die Straße gingen.
Natürlich haben auch die Mitarbeiter des Konrad-Adenauer-Hauses realisiert, dass die Demonstranten eben keine Radikalen waren, sondern Demokraten in Sorge. Und wahrscheinlich hätten viele von ihnen lieber gemeinsam mit diesen Demokraten demonstriert, als sich schämen zu müssen, dass ihr Parteivorsitzender auf AfD-Stimmen setzte.
Ich meine nicht, dass es irgendeinen Anlass dafür gibt, Friedrich Merz jetzt zu vertrauen. Vertrauen muss er sich erst wieder verdienen. Ich meine, dass er und seine engsten Mitarbeiter gesehen haben, was für einen riesigen Fehler er begangen hat. Und dass sich der Tabubruch der vorigen Woche aus diesem Grund hoffentlich nie wiederholen wird.
Der scheidende CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz erzählte mir vergangene Woche, dass Merz übrigens, anders als oft behauptet, kein Gegner eines AfD-Verbotsantrags sei. Dass der Kanzlerkandidat vielmehr in einer Fraktionssitzung erklärt habe, offen für diesen Schritt zu sein. Dass der richtige Zeitpunkt allerdings nicht kurz vor, sondern kurz nach einer Bundestagswahl sei. Weil dann die Wahrscheinlichkeit, dass das Verbot vor der folgenden Wahl beschlossen und vollstreckt wird, logischerweise am größten sei. Ich hoffe, Marco Wanderwitz behält recht.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false