zum Hauptinhalt
Der Ausbau der Erneuerbaren geht in Deutschland voran. Doch der Strom ist bislang nicht billiger geworden.

© dpa/Sina Schuldt

Exklusiv

Vorschlag vor Parteitag: Grüne wollen 600 Stunden Gratis-Strom für alle

Im Sommer müssen häufig Solarfelder und Windräder abgestellt und die Betreiber entschädigt werden. Die Grünen wollen mit einem „Solarbonus“, dass in dieser Zeit der Strom künftig kostenlos ist.

Stand:

Der Satz gehört zur Folklore auf jedem Parteitag der Grünen: „Die Sonne schickt keine Rechnung“, heißt es von Grüner-Seite immer wieder als Argument für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Wind- und Sonnenkraft sollen das Land nicht nur von fossilen Autokratien abhängig und klimafreundlicher machen, sondern auch die Geldbeutel der Kunden entlasten.

Doch bislang hat sich die Energiewende für viele Deutsche noch nicht bezahlt gemacht. Wer sich keine eigene PV-Anlage aufs Dach schrauben kann, profitiert oft nicht von den vielen Windrädern und Solaranlagen, die im ganzen Land gebaut werden. Denn die meisten Stromtarife für Verbraucher sind starr und der Preis auf dem gesamten Strommarkt bemisst sich nach der teuersten Quelle – meist Kohle oder Gas.

Doch bei den Grünen gibt es nun eine Idee, die die Akzeptanz für die Energiewende steigern und die Stromrechnung senken soll. Konkret geht es um einen sogenannten „Solarbonus“, der im Sommer 600 Stunden Gratis-Strom für alle Haushalte verspricht. Das Konzept, das der frühere Direktor des Thinktanks Agora Energiewende, Simon Müller, erarbeitet hat, soll auf dem Grünen-Parteitag in Hannover in zwei Wochen beschlossen werden.

Simon Müller war drei Jahre Direktor bei Agora Energiewende, davor war der gelernte Physiker bei der Internationalen Energieagentur.

© Scarlett Werth für den Tagesspiegel

„Im Sommer haben wir wegen des erfolgreichen Ausbaus der Erneuerbaren inzwischen tagsüber zu viel Strom und zu wenig Verbrauch“, sagt Müller im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Die Folge: der Strom muss abgeregelt werden. Die Besitzer von Windanlagen und Solaranlagen, die ihren Strom nicht ins Netz leiten können, werden auf Grundlage der EEG-Vergütung entschädigt.

Müller will das ändern, indem die Netzentgelte in den Sommermonaten in der Tagesmitte auf Null gesenkt werden. Stromkunden sollen so dazu animiert werden, in den Mittagsstunden viel Strom zu nutzen und auch mögliche Batteriespeicher zu füllen. Damit sollen nicht nur die Netze entlastet, sondern auch der Strombedarf in den Morgen- und Abendstunden reduziert werden. Denn da ist die Produktion bislang besonders teuer und klimaschädlich.

Nur wenige Kunden haben dynamische Stromtarife

Diesen Effekt will der Energieexperte Müller noch vergrößern, indem er für Menschen mit privaten Solaranlagen einen neuen „Booster-Tarif“ einführt. Dieser soll private Stromerzeuger dazu motivieren, dass sie vor allem in den Abendstunden ihren gespeicherten Strom in den Markt bringen. Durch das steigende Stromangebot würden dann insgesamt die Strompreise sinken.

„Die Systematik der Netzentgelte kommt aus dem letzten Jahrhundert, da ist viel Spielraum, um Kosten zu sparen“, sagt Müller. Mit seinem Konzept will er den Trend zu dynamischen Netzentgelten und Strompreisen unterstützen. Zwar sind die Stromlieferanten schon jetzt verpflichtet, flexible Stromtarife auch für Privatkunden anzubieten, doch bislang ist die Nachfrage für solche Tarife, für die es einen intelligenten Stromzähler (Smart Meter) benötigt, noch überschaubar.

Für Lieferanten und Netzbetreiber würde das Konzept, die ihren Strom an Sommertagen bislang trotz Überproduktion zum Standardpreis verkaufen, jedoch finanzielle Einbuße bedeuten. Laut Müller eine Summe von rund zwei Milliarden Euro für 400 Stunden Gratis-Strom. Eine Summe, die man mit Steuergeld erstatten könne, findet er.

Das nutzt dem System und schafft Akzeptanz.

Grünen-Vize Sven Giegold lobt den Solarbonus.

Er fordert von der Branche aber auch Erneuerungen. „Stromlieferanten müssen innovativer werden“, sagt Müller und verweist auf neue Geschäftsmodelle. So würden mit seinem Konzept etwa Speicher auch für Menschen attraktiv, die keine PV-Anlagen besitzen. Für die Hersteller eine Chance.

Auf dem Grünen-Parteitag Ende November in Hannover hat Müller für seinen „Solarbonus“ einen Antrag eingebracht. Unterstützung erfährt er schon jetzt von Vize-Parteichef Sven Giegold. „Im Moment zahlen wir im Sommer dafür, dass die Erneuerbaren nicht laufen“, sagt er und lobt den „Solarbonus“. „Das nutzt dem System und schafft Akzeptanz.“

Der Vorschlag passt zum Leitantrag, den die Grünen-Spitze zum Thema Energie und Klima für den Parteitag eingebracht hat. Dort will man weitere Maßnahmen vorschlagen, um die Energiewende noch mehr aus Verbrauchersicht zu gestalten. Der Klimaschutz „wird aber nur dann breite gesellschaftliche Akzeptanz erfahren, wenn er gerecht gestaltet wird, wenn es sich alle leisten können und etwas davon haben“, heißt es darin.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })