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Das Denkmal des Sklavenhändlers Colston verschwindet im Hafenbecken.

© Keir Gravil, Reuters

Protest und Symbolpolitik: Warum das Stürzen von Denkmälern völlig sinnlos ist

Die Anti-Rassimus-Proteste machen auch vor den starren Zeugen der Geschichte nicht halt. Aber damit schreibt man Geschichte nicht neu. Eine Betrachtung.

Die Bilder sprechen für sich: In Bristol wird die Statue des britischen Sklavenhändlers Colston vom Sockel gestürzt und ins Hafenbecken geworfen. In London muss das Denkmal des Kolonialoffiziers Winston Churchill vor Vandalismus geschützt werden. Anderswo sind Statuen beschmiert worden. Die Rassismus-Debatte nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd in den USA hat eine Welle des Protestes ausgelöst, die auch vor starren Zeugen unbewältigter Geschichte nicht Halt macht. In Deutschland wird immerhin diskutiert, wie zeitgemäß solche Erinnerungsorte noch sind. Viele scheinen der Ansicht, es sei legitim, sich ihrer mit revolutionärer Gewalt zu entledigen. Allein, es ist ein völlig sinnloser Akt.

Polizei muss die Statue Winston Churchills sichern.
Polizei muss die Statue Winston Churchills sichern.

© Isabel Infantes/imago images/PA Images

Der Sturz von Denkmälern reaktionärer Ausprägung ist keineswegs eine Tat fortschrittlicher Umweltbereinigung. Aus Sicht der Bildenden Kunst ist die Sache sogar recht einfach: Völlig unabhängig vom künstlerischen Wert der Denkmäler ist ihre Beseitigung ein Akt der Zensur.

Falsche Gedanken

Denkmalstürme – revolutionäre wie reaktionäre gleichermaßen – gibt es seit Jahrhunderten. In den Angriffen auf die Plastiken schwingt eine Angst mit, die für das Mittelalter noch erklärbar ist, in radikal aufgeklärten Zeiten wie dem 21. Jahrhundert aber einigermaßen absurd erscheint: die Angst vor der Kraft von Götzen und Totems.

Der Sturz von Denkmälern ist keine Auseinandersetzung mit Geschichte, es täuscht sie nur vor. So wie schon ihre Errichtung ein Akt der Täuschung ist: Wer auf die Schnelle mit der Historie fertig werden will, der stellt eine Büste auf – oder er reißt sie nieder. Hinter beiden Akten steht der gleiche falsche Gedanke. Man kann mit einer Skulptur aus Bronze oder Stein ein Bild der Geschichte nicht in Ewigkeit festschreiben. Und man kann mit der Beseitigung dieser Skulptur die Geschichte auch nicht neu schreiben.

Spuren verwischen

Wer keine Vorstellungen von gesellschaftlichen Alternativen im realen Leben hat, der arbeitet sich dennoch gern an wehrlosen Bronzefiguren ab, die im Alltag oftmals weitgehend unbemerkt dastehen. Es ist ein Akt der Hilflosigkeit, ein Zeichen der Schwäche, nicht der Stärke. Man stürzt nicht das Herrschaftsdenken, indem man die Herrschaftsbilder aus der Öffentlichkeit verschwinden lässt. Im schlimmsten Fall geht es sogar um das Verwischen von Spuren, um das sich distanzieren von Mitschuld oder zumindest Mitverantwortung.

Für eine Ausstellung ist der Kopf des Lenindenkmals wieder ausgegraben worden.
Für eine Ausstellung ist der Kopf des Lenindenkmals wieder ausgegraben worden.

© Wolfgang Kumm, dpa

Vor fast 30 Jahren gab es eine hitzige Diskussion um das Lenindenkmal auf dem damals gleichnamigen Platz in Berlin (heute Platz der Vereinten Nationen). An sie lohnt es sich zu erinnern, schon weil sich viele kluge Leute mit vielen klugen Argumenten beteiligten. Mit etwas Glück sind die schmalen Sammelbändchen, die die Kontroverse um dieses Zeichen der Macht dokumentieren, antiquarisch zu ergattern.

Das Denkmal war eine Gewaltphantasie, die der sowjetische Bildhauer Tomski aus rotem Granit herausgehauen hatte. Ästhetisch eine ähnliche Zumutung wie das Thälmann-Denkmal an der Greifswalder Straße, das stehen blieb. Das entscheidende Argument deren, die damals gegen einen Abriss des Lenin-Denkmals waren, lautete – auf einen Nenner gebracht: Denk mal - das sei doch eine Aufforderung. Sie konnten sich nicht durchsetzen.    

Fast drei Jahrzehnte nach dem Abriss ist vor einigen Jahren der granitene Kopf Lenins ausgegraben worden, um ihn in einer Ausstellung zu zeigen. Vielleicht sollte das zeigen, dass von ihm jetzt keine Gefahr mehr ausgeht. Tatsächlich wurde jedoch etwas ganz anderes sichtbar. Denkmäler, die sich aus welchen Gründen auch immer im gesellschaftlichen Bewusstsein verhakt haben, verschwinden nicht. Selbst wenn man sie abreißt und verbuddelt. Irgendeiner gräbt sie wieder aus.

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