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„Aber er gab keine Antwort.“ Ismail Yozgat mit einem Foto des kleinen Sohnes. Halit Yozgat wurde mit zwei Schüssen in seinem Kasseler Internetcafé getötet. Foto: Gebert/dpa

© dpa

Politik: „Warum haben Sie meinen Sohn getötet?“

Im NSU-Prozess sagt Ismail Yozgat aus Kassel aus, der Vater des neunten Opfers der Terrorgruppe.

„Ich bin Ismail Yozgat, der Vater des 21-jährigen Halit Yozgat, des Märtyrers, der am 6. April 2006 durch zwei Schüsse in den Kopf erschossen wurde und in meinen Armen gestorben ist.“ So beginnt Ismail Yozgat am Dienstag seine Aussage vor dem Oberlandesgericht München. Sein Sohn ist das neunte Mordopfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU).

Mit zitternder Stimme berichtet der 58-jährige Yozgat von dem Tag, als er seinen Sohn sterbend in seinem Internetcafé in Kassel fand. Es war der Tag vor Ismail Yozgats Geburtstag. Halit hatte ihm Geld gegeben und in die Stadt geschickt, um sich ein Geschenk zu kaufen. Zwei Stunden später, kurz nach 17 Uhr, kam er zurück. „Da sah ich meinen Sohn im vollen Blut.“ Yozgat weint. „Am nächsten Tag, am 7. April, habe ich mir meinen Geburtstag verboten. Bis zu meinem Tode wird mein Geburtstag nicht mehr gefeiert“, sagt er. Ein Dolmetscher übersetzt seine Worte aus dem Türkischen ins Deutsche. Am Tag nach Ismail Yozgats Geburtstag wurde die Leiche seines Kindes in die Türkei überführt.

„Mit meinen Händen habe ich meinen 21-jährigen Sohn ins Grab gelegt“, sagt er. Ismail Yozgat guckt zur Anklagebank, wo Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben und die anderen drei Angeklagten starr in seine Richtung blicken. „Warum haben Sie meinen Sohn getötet?“, fragt er sie: „Was hat er für eine Tat begangen?“ Yozgat weint. Seine Frau streichelt ihm über den Rücken. „Mit welchem Recht haben Sie das getan, warum haben Sie mein Lämmchen getötet?“

Als Yozgat damals gegen kurz nach 17 Uhr das Internetcafé seines Sohnes betrat, sah er Halit am Boden liegen. Er habe ihn ablösen wollen, weil er in die Abendschule musste. Der 21-Jährige habe in seinem Blut hinter dem Empfangstisch des Cafés gelegen. Er ging zu ihm, bettete den Kopf des Jungen auf seinen Arm. Er sprach zu ihm. „Aber es kam kein Laut.“ Ismail Yozgat springt von seinem Stuhl, schreit seinen Schmerz in den Saal. „Keine Antwort, keine Antwort, er hat keine Antwort gegeben!“

Auf den Tod des Sohnes folgten Jahre der falschen Verdächtigungen. Bis zum November 2011, bis zum Auffliegen des NSU. „Fünfeinhalb Jahre haben wir uns nicht getraut, als Familie hinauszugehen, alle haben uns feindselig angeschaut“, sagt der Vater. „Alle fragten: Warum haben sie deinen Sohn getötet?“ Es habe Gerüchte gegeben. Drogen? Mafia? Zum Teil wohl auch lanciert durch die Fragen der Polizei. „Ich konnte das alles nicht ertragen“, sagt er. In der Folge habe er einen Herzinfarkt erlitten.

Alles, was seine Familie und er nun wollten, ist, „dass die Justiz gut funktioniert und die Gerechtigkeit ihren Platz bekommt“, sagt Vater Yozgat. Als der Vorsitzende Richter Manfred Götzl allen eine Pause gönnt, will Carsten S., der einzig umfassend geständige Angeklagte, den Saal verlassen. Er kommt wieder und bittet seinen Anwalt dringlichst um eine Zigarette. „Heftig“, sagt ein Zuhörer. Selbst Zschäpe kramt nicht in ihrer Bonbondose, sucht nicht das Gespräch mit ihren Anwälten, blickt sie nicht einmal an. Auch Zschäpe wirkt mitgenommen.

Für den Nachmittag war auch der Zeugenauftritt eines früheren Verfassungsschützers geplant. Er saß zur Tatzeit im hinteren Raum des Kasseler Internetcafés der Yozgats, hatte sich aber nicht als Zeuge gemeldet.

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