zum Hauptinhalt
Zwei ukrainische Soldaten im Donbass. Russland hat von dort Truppen in den Süden verlegt.

© REUTERS/Ammar Awad

„Wir werden sehen, wie weit wir kommen“: Was bisher über den Angriff der ukrainischen Truppen im Süden bekannt ist

Am Montag haben die Ukrainer in der Region Cherson auf breiter Front die Russen attackiert. Viele Fragen zu dem Vorstoß sind aber offen.

Stand:

Was sich im Laufe des Montags zu einem Angriff auf breiter Front im Süden der Ukraine entwickeln sollte, begann einige hundert Kilometer weiter im Osten. Im Donbass hätten ukrainische Truppen eine Reihe von Dörfern angegriffen und die russischen Kräfte, vor allem in der Luft, gebunden, erklärte ein Mitglied des ukrainischen Militärs gegenüber dem britischen „Economist“.

In der Nacht zu Montag hätten dann die ukrainischen Truppen in der Region Cherson russische Lager, Kommandoposten und Flussübergänge mit US-Raketenwerfern angegriffen. Auch russische Verteidigungspositionen direkt an der Front seien mit Himars beschossen worden. Dann, am Montagmittag, schlugen die ukrainischen Bodentruppen an mehreren Stellen zu.

[Alle wichtigen Nachrichten zum Krieg in der Ukraine können Sie werktäglich jeden Abend als Newsletter direkt in ihr Postfach bekommen - unter diesem Link können sie sich kostenlos anmelden.]

Wie ein ukrainischer Soldat in einem Video berichtete, führte der Weg teilweise durch vermintes Gelände. Russische Drohnen hätten sie auf dem Weg bombardiert. Bis auf die Kommunikation der einzelnen Truppenteile habe aber alles gut geklappt, erzählt er. Fotos und Videos, die sich am Montag in den sozialen Netzwerken verbreiteten, zeigen ukrainische Infanterie wie sie von Panzern unterstützt vorrückt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

In der Folge kam es entlang der Front wohl zu zahlreichen Durchbrüchen der ersten russischen Verteidigungslinie. So zum Beispiel nordwestlich der Stadt Cherson. Dort sollen prorussische Truppen aus dem Donbass geflohen sein, nachdem sie von einer Einheit russischer Fallschirmjäger keine Unterstützung bekamen.

Der ukrainische Abgeordnete Dmytro Natalukha berichtete auf Twitter von vier erfolgreichen Durchbrüchen; insgesamt sei an zwölf Stellen der Front attackiert worden.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Am Tag nach dem Angriff der ukrainischen Truppen bleibt allerdings vieles unklar. Wie weit konnten die Einheiten vorrücken? Wie viele Dörfer konnten sie erobern? Haben sie einzelne russische Einheiten entscheidend geschwächt?

Wie ukrainische Medien und der US-TV-Sender CNN noch am Montag berichtet hatten, konnten die ukrainischen Truppen sieben Ortschaften erobern. Fünf davon im Norden von Cherson, zwei aber auch in direkter Nähe zur Stadt Cherson, unter anderem Tomyna Balka, das 30 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegt sowie Pravdyne. CNN zitierte seinen Informanten mit den Worten: „Wir werden sehen, wie weit wir kommen. Unser Ziel ist Cherson.“

Die Karte zeigt die möglichen Gefechten entlang der Frontlinie in Cherson:

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Andere Medienberichte widersprachen dieser Darstellung; Tomyna Balka zum Beispiel sei immer noch umkämpft. Russische Militärblogger berichteten wiederum von einem ukrainischen Vorstoß von rund sechs Kilometern an einer Stelle der Front, was ein vergleichsweise großer Geländegewinn wäre.

Nachschublinien der Russen sind gestört

Wolodymyr Selenskyj richtete sich in der Nacht zu Dienstag mit folgenden Worten an die russischen Besatzer: „Wenn sie überleben wollen, dann ist es für die russischen Soldaten jetzt Zeit zu fliehen."

Der ukrainische Präsident kündigte an, dass es von offizieller Seite keine Details der Operation geben werde. So gab auch das tägliche Lagebriefing des ukrainischen Generalstabs am Dienstag keine Hinweise auf mögliche Geländegewinne.

Wo Fragen zur konkreten Situation an der Front noch unklar sind, ergibt sich doch ein konsistentes Bild der militärischen Gesamtlage in Cherson.

Nach wochenlangen Angriffen durch die Ukrainer sind die zwei großen Brücken über den Fluss Dnipro unpassierbar. Auch Behelfsübergänge haben die Ukrainer zerstört. Nur Fähren versorgen die russischen Truppen auf der Westseite des Flusses noch halbwegs zuverlässig.

Bis zu 25.000 russische Soldaten sollen sich aktuell im Gebiet Cherson auf der Westseite des Flusses befinden. Allerdings sind die einzelnen eingesetzten russischen Bataillone laut Experteneinschätzungen stark ausgedünnt.

Mehr zum Ukraine-Krieg auf Tagesspiegel Plus:

Ein interessantes Detail: Die Truppen, die vor den Ukrainern laut den Berichten am Montag flohen, gehörten zum 109. Regiment der prorussischen Separatistenarmee aus dem Donbass. Das Regiment hatte Ende Juni einen Appell an den russischen Präsidenten Wladimir Putin veröffentlicht, in dem es sich als zwangsmobilisierte Einheit bezeichnete, sich darüber beklagte, dass es keine Ruhepausen gebe und die Versorgung schlecht sei. Die Moral der prorussischen Truppen, die außerhalb des Donbass kämpfen, gilt schon länger als mies.

Kiews Kalkül scheint aufzugehen

Wie genau die Rückeroberung von Cherson aussehen soll, ist bisher unklar. Laut dem US-Verteidigungsministerium sind die ukrainischen Kräfte im Süden ähnlich stark wie die russischen; etwas, das im Donbass im Osten bis heute nicht der Fall ist. Dass die Ukraine im Süden an ihre Stärke glaubt, zeigt sich auch daran, dass sie ihre Offensive vor mehr als vier Wochen offen angekündigte. Daraufhin verlegte Moskau zahlreiche Truppen aus dem Osten in den Süden.

Wie das britische Verteidigungsministerium in seiner Lageeinschätzung am Dienstag schreibt, „ist es bisher nicht möglich, die Größe der ukrainischen Offensive zu beurteilen“. Auch das US-Verteidigungsministerium wollte sich nicht festlegen, ob eine Offensive stattfindet, oder es nur einzelne Vorstöße sind. In einem Pressbriefing wurde nur die Zunahme von „kinetischen Aktivitäten“ im Süden bestätigt, ein anderes Wort für Kampfhandlungen.

Rauch steigt über einem Sonnenblumenfeld im Süden der Ukraine auf.

© Dimitar DILKOFF / AFP

Dass die Rückeroberung von Cherson nun sehr schnell geht, halten Experten für nahezu ausgeschlossen. Denn hinter der ersten russischen Verteidigungslinie liegen zwei weitere, die zudem noch stärker ausgebaut und mit besser ausgerüsteten Einheiten besetzt sind, als die Stellungen an vorderster Front.

Auch die Aussagen ukrainischer Militärs in den vergangenen zwei Tage lassen vermuten, dass es eine klassische Gegenoffensive im großen Stil nicht geben wird. Dafür, so glauben die meisten Beobachter, fehlen der Ukraine Soldaten und Material.

Auf der anderen Seite ist die Lage der russischen Truppen inzwischen prekär. Denn nicht nur nach Osten sind die Truppen abgeschnitten. Auch auf der westlichen Uferseite des Dnipro sind sie in einen südlichen und einen nördlichen Teile getrennt, die sich nicht mehr unterstützen können, da die Ukrainer die einzige Brücke über den Fluss Inhulez zerstört haben. Mit anderen Worten: Die russischen Truppen sitzen in der Falle.

Weitere Angriffe am Dienstag

Auch am Dienstag gab es Kämpfe in der Region. Auf Videos aus Cherson vom Dienstagmorgen sind Schüsse zu hören, was auf Gefechte entweder in der Stadt oder in Stadtnähe hindeutet. Berichte sprechen von Angriffen durch Partisanen auf russische Truppen. Partisanen sollen auch das Auto eines lokalen Polizeichefs in die Luft gesprengt haben.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Auch der Raketenbeschuss durch ukrainische Truppen hielt am Dienstag an. Ziele in der Stadt Cherson wurden getroffen, inklusive der Antoniwka-Brücke über den Dnipro.

Inzwischen scheint es auch unter den russischen Besatzern Zweifel zu geben, dass Moskau das Territorium im Süden halten kann. So floh der von Russland eingesetzte Verwalter für die Region Cherson, Kirill Stremoussow, nach Russland, wie ein von ihm aufgenommenes Video nahe legt.

Die Stadt und Region um Cherson ist von zentraler Bedeutung für die Ukraine. Sie war die erste und ist bis heute die einzige Regionalhauptstadt, die russische Truppen erobern konnten. Die Gegend um die Stadt ist der Brückenkopf in die Hafenstadt Odessa und dann weiter in das russisch besetzte Transnistrien.

Gleichzeitig funktioniert der Fluss Dnipro wie eine natürliche Verteidigungslinie. Würden die ukrainischen Truppen das Westufer des Dnipro zurückerobern wären tausende Truppen für weitere Offensiven im Süden verfügbar.

In den russisch besetzten Teilen Chersons und der benachbarten Region Saporischschja betreibt der Kreml eine Politik der Russifizierung mit Blick auf eine mögliche Annexion. Moskau hat dort den Rubel als Währung eingeführt und ermutigt die Bewohner, sich einen russischen Pass ausstellen zu lassen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })