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AfD-Chef Tino Chrupalla im Kristallsaal, der für das Verfahren zum Gerichtssaal umgewandelt wurde.

© dpa / Federico Gambarini

Offiziell rechtsextremer „Verdachtsfall“: Was das Urteil für die AfD bedeutet

Das Urteil ist weitreichend: Der Verfassungsschutz darf die AfD als rechtsextremen „Verdachtsfall“ beobachten. Was das konkret verändert - ein Überblick.

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Der Kristallsaal auf der Kölner Messe ist ein gediegener Ort. Der dicke rote Teppich schluckt die Schritte, an der Decke hängen überdimensionierte Kronleuchter, die Wände schimmern golden. Für die AfD wurde dieser Saal am Dienstag zum Schauplatz einer schweren Niederlage.

Zehn Stunden hatte das Verwaltungsgericht Köln verhandelt, bis um kurz vor 20 Uhr die Urteile in den vier von der AfD angestrengten Klageverfahren verkündet wurden. Die wichtigste Nachricht: Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf die AfD als rechtsextremen „Verdachtsfall“ einstufen. Parteichef Tino Chrupalla, der für den Prozess angereist ist und auch selbst das Wort ergriffen hat, erklärt hinterher, er sei überrascht und enttäuscht.

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang spricht dagegen von einem „guten Tag für die Demokratie“. Viele Teile der AfD stünden für „Hass und Hetze", sagt Haldenwang am nächsten Morgen im ZDF. Er verweist auch auf gewaltorientierte Rechtsextreme, die sich „auf diesem Nährboden“ bewegten. Teile der AfD „peitschen eben diese gewaltorientierte Szene auch noch auf und geben ihnen praktisch die Ideologie für ihre Taten“, sagt Haldenwang.

Strenge Regeln für die Beobachtung

Aber was bedeutet das Urteil für die AfD? Die größte Änderung ist: Die Partei darf jetzt in Gänze vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Das schließt nachrichtendienstliche Mittel wie den Einsatz von V-Männern mit ein, unter Umständen auch das Abhören von Telefonen oder Mitlesen von Nachrichten.

Der Verfassungsschutz muss sich hier an strenge Regeln halten. So darf er beispielsweise keine Mandatsträger oder hochrangige Parteifunktionäre als V-Männer anwerben. Letzteres soll verhindern, dass sich ein Desaster wie 2003 wiederholt. Damals scheiterte das Verbot der NPD, weil V-Leute des Verfassungsschutzes auch in der Führungsebene der Partei tätig waren.

Wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz Abhörmaßnahmen einleiten will, muss es vorher die Genehmigung der sogenannten G10-Kommission des Bundestages einholen. Dabei handelt es sich um ein kleines Gremium, das nach Artikel 10 des Grundgesetzes benannt ist, das das Post- und Fernmeldegeheimnis schützt. Vier ehrenamtliche Mitglieder hat die Kommission, die im Geheimen tagt.

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Loslegen könnte der Verfassungsschutz mit seinen Maßnahmen aber ohnehin noch nicht. Im Verfahren zum Verdachtsfall ist noch ein Eilverfahren anhängig, bis zu dessen Ende das BfV stillhalten muss. Auch gegen die Entscheidung in diesem Eilverfahren könnte die AfD laut einem Gerichtssprecher noch Beschwerde einlegen. Bis zur tatsächlichen Beobachtung der AfD werden Monate vergehen.

Probleme für Beamte in der AfD

Die Spannungen innerhalb der Partei könnten aber schon jetzt steigen. Neben Parteichef Jörg Meuthen hat in den vergangenen Wochen eine ganze Reihe an Parteimitgliedern die AfD verlassen – zuletzt trat die Barnimer AfD-Kreistagsfraktion geschlossen aus. Für Beamte und Beschäftigte im öffentlichen Dienst in der AfD könnte es demnächst ungemütlich werden. Zwar kann niemand pauschal wegen seiner AfD-Mitgliedschaft entlassen werden. Verfassungsschutzpräsident Haldenwang erklärte aber, er rechne damit, dass es jetzt bei vielen Personen Einzelfallprüfungen geben werde, ob diese im öffentlichen Dienst verbleiben könnten.

Innerhalb der AfD dürfte zudem das Misstrauen zunehmen. Schon länger hat man sich hier gegenseitig im Verdacht. Der sei doch sicher ein V-Mann, wird da über unliebsame Parteikollegen geraunt. Anlass kann sowohl ein auffällig gemäßigtes Auftreten genauso wie besonders radikale Äußerungen sein. Bei einigen Rechten macht sich Paranoia breit.

Mit Teil-Erfolgen kann sich die AfD kaum trösten

Die beiden Teilerfolge, die der AfD vor Gericht errungen hat, dürften der Partei unterdessen wenig nutzen. So hatte das Gericht entschieden, der „Flügel“ um Björn Höcke dürfe nicht mehr als „gesichert extremistische Bestrebung“ eingestuft werden. Die Gruppierung hatte sich Ende April 2020 selbst aufgelöst. Dass sie trotzdem weiter fortbestehe, dafür hatte das BfV aus Sicht des Gerichtes nicht genügend Belege vorgelegt. Auch dass der „Flügel“ zum Zeitpunkt seiner Auflösung 7000 „Mitglieder“ gehabt habe, darf das Bundesamt nicht mehr behaupten. Die Zahl war Ergebnis einer Schätzung auf Basis von Angaben von Parteimitgliedern gewesen. Das reichte dem Gericht nicht.

Die AfD kann sich mit diesen Beschlüssen aber nicht wirklich trösten. Womöglich hat die Auflösung des „Flügels“ die Beobachtung der AfD sogar erleichtert, weil er nun in die Partei „hineindiffundiert“ ist und seine Protagonisten weiter ihre Ziele durchsetzen.

Könnte die AfD noch weiter hochgestuft werden?

In Sicherheitskreisen ist man nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts jedenfalls erleichtert. Bei aller Ungewissheit vor Richtersprüchen sei doch zu erwarten, dass sich die AfD auch in den nächsten Instanzen nicht gegen das BfV durchsetzen werde, heißt es. Experten nennen vor allem zwei Gründe: das 1001 Seiten umfassende Gutachten des BfV mit zahlreichen Belegen für die Bestrebungen in der AfD gegen die demokratische Grundordnung und den Abgang von AfD-Chef Jörg Meuthen wegen der rechtsextremen Tendenzen in der Partei. Damit seien offenkundig die Kölner Richter überzeugt worden und das müsste auch den weiteren Gerichten reichen.

Stephan Kramer, der Chef des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, sieht die Kölner Entscheidung als „einen schönen Erfolg für die Kollegen des BfV und eine Bestätigung unserer gemeinsamen Einschätzung der AfD“. Für den Thüringer Verfassungsschutz habe die Entscheidung des Verwaltungsgerichts keine Auswirkungen. Die Behörde hatte den AfD-Landesverband Ende 2021 wegen der Dominanz von Höcke und dem scheinbar aufgelösten „Flügel“ als erwiesen rechtsextremistisch eingestuft. Der Thüringer Verfassungsschutz schaue sich aber die kritischen Anmerkungen des Gerichts zum Thema „Flügel“ an und prüfe „etwaige Bezüge zu unseren Bewertungen“, so Kramer.

Nun, da die Kölner Richter das BfV weitgehend bestätigt haben, wird in Sicherheitskreisen schon der weitere Weg diskutiert. Zwar hatte das BfV vor Gericht zu Protokoll gegeben, eine Höherstufung der AfD als „gesichert extremistische Bestrebung“ sei „derzeit“ nicht beabsichtigt. Die Prognose von Sicherheitsexperten lautet aber: Bei anhaltender Radikalisierung der AfD wäre in ein, zwei Jahren die Einstufung als erwiesen rechtsextremistisch fällig und anschließend ein Verfahren zum Verbot der Partei. Ob es soweit kommt, liegt nun auch an der AfD selbst.

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