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Politik: Was die Ministerin krank macht (Leitartikel)

Es ist eine gewaltige Branche. Pro Jahr setzt sie mehr als 550 Milliarden Mark um, fast jeder achte Beschäftigte arbeitet dort.

Es ist eine gewaltige Branche. Pro Jahr setzt sie mehr als 550 Milliarden Mark um, fast jeder achte Beschäftigte arbeitet dort. Mit den Ergebnissen des medizinisch-industriellen Komplexes sind die Menschen aber zusehends unzufriedener. Patienten klagen über Ärzte, die sie mit Rezepten abspeisen, statt auf sie einzugehen. Ärzte kritisieren sinkende Honorare und wachsende Bürokratie. Krankenpfleger jammern über Hektik auf den Stationen, Medizinstudenten beklagen das Ringen um Arbeitsplätze, Krankenkassen bekritteln den Wettbewerb und dessen Folgen. Die Ökonomen schließlich bemängeln die fehlende Effizienz des Systems. Sie sehen die überflüssigen Klinikbetten und unwirksamen Arzneien. Sie sehen den gewaltigen Gerätepark von Kernspintomographen und Linksherzkatheter-Messplätzen. Und sie kennen die Zahlen, wonach die Deutschen nicht länger und gesünder leben als Bürger anderer Staaten - obwohl sie, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, nach den USA am meisten Geld für die Gesundheit ausgeben.

Die Klagen über das deutsche Gesundheitswesen sind nicht neu. Schon frühere Minister, wie Norbert Blüm und Horst Seehofer, suchten nach Abhilfe und schnürten komplizierte Paragraphenwerke, die "Gesundheitsreformgesetz" oder "GKV-Neuordnungsgesetz" hießen. Doch deren Wirkung blieb gering. Die Kosten im Gesundheitswesen stiegen munter weiter, die Versicherten lieferten brav höhere Beiträge bei den Kassen ab. Seit einem Jahr nun versucht sich die Grüne Andrea Fischer an der Dauerbaustelle Gesundheitswesen. Heute will der Bundestag ihr Gesellenstück verabschieden. Ihre Reform zielt in die richtige Richtung. Die Ausgaben in der Medizinbranche sollen nur so stark steigen wie Löhne und Gehälter, die Arbeit zwischen niedergelassenen Praxen und Krankenhäusern soll besser koordiniert werden. Überflüssige, unwirksame Arzneien verbannt sie vom Rezeptblock, den Krankenhäusern verschafft sie eine neue Finanzgrundlage. Die Hausärzte sollen den Patienten künftig durch den medizinisch-industriellen Komplex lotsen. Alles vernünftige Ansätze, auch wenn einzelne Details die Bürokratie eher aufblähen als verringern dürften. Dennoch: Die Gesundheitsreform ist ein vergleichsweise verträgliches Menü der Koalition; rote und grüne Zutaten sind auskömmlich vermengt.

Das Ergebnis wird jedoch vermutlich nie aufgetischt. Die Union will die Reform im Bundesrat blockieren, CDU-Chef Wolfgang Schäuble hat die ostdeutschen Länder auf Kurs gebracht. Dabei entlastet die Reform auch die Ostländer. Ihre überschuldeten Allgemeinen Ortskrankenkassen erhalten eine Milliardenhilfe. Aber anders als Finanzminister Hans Eichel kann Andrea Fischer ihr Gesetz nicht aufschnüren. Sie ist auf den Bundesrat angewiesen, fast allen wichtigen Teilen ihres Gesetzes muss die Länderkammer zustimmen.

Die Blockade der Union ist kurzsichtig. Denn CDU und CSU sagen nicht, wie sie das Gesundheitswesen reformieren wollen. Sie sagen nicht, dass ohne eine Reform der Bürger künftig selbst mehr zahlen muss. Sie sagen nicht, dass dann die Krankenkassenbeiträge steigen werden. Sie sagen nicht, wie sie die überzähligen Betten in den Krankenhäusern abbauen wollen. Die Union sagt nur "Nein", weil es ihr nützt. Eine Reform im Gesundheitswesen begeistert keine Wähler, sondern verschreckt sie. Das musste schon der Ex-Gesundheitsminister Horst Seehofer erfahren. Der Bürger empfindet Reformen auf diesem Gebiet als Abbau sozialer Fürsorglichkeit, auch wenn nur der Überfluss eingedämmt werden soll.

Für Andrea Fischer ist die Blockade fatal. Ihr Stellenwert im Kabinett wird daran gemessen, ob ihr die Reform gelingt. Dafür hat sie Gerhard Schröder geholt, er braucht Erfolge als Modernisierungskanzler. Andrea Fischer wird ihm diesen Erfolg kaum bescheren können. Nach dem heutigen Donnerstag beginnt das Ringen um die Reform. Im Vermittlungsausschuss wird das Gesetz zwischen den Parteien zerrupft. Dort wird sich ihr sozialdemokratischer Gegenspieler Rudolf Dreßler als Kompromiss-Künstler profilieren wollen. Unangenehme Folge für die grüne Ministerin: Nicht sie, sondern Dreßler hätte dann ein tragfähiges Gesetz gezimmert. Fischers Ministerstuhl könnte dann heftig wackeln.

Andreas Hoffmann

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