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Beate Zschäpe mit ihren Anwälten beim NSU-Prozess in München.

© dpa

NSU-Prozess in München: Was machte der Verfassungsschützer am Tatort?

In einem Internetcafé in Kassel ermordeten die NSU-Terroristen 2006 den deutschtürkischen Betreiber. Die Umstände sind mysteriös - auch ein Verfassungsschützer soll damals vor Ort gewesen sein. Beim NSU-Prozess steht ein ungeheuerlicher Verdacht im Raum.

Von Frank Jansen

Der Fall ist mysteriös und setzt den Opferfamilien stark zu. Gleich acht Nebenkläger sind am Dienstag im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München erschienen, um sich einen weiteren Verhandlungstag anzutun, in dem das dubios erscheinende Verhalten des einstigen Verfassungsschützers Andreas T. im Mittelpunkt steht. Soviele Hinterbliebene von Mordopfern der rechtsextremen Terrorzelle kommen nur selten. Aber der Fall Andreas T. nährt bei manchen Opferfamilien den Verdacht, der Staat sei in die Mordserie des NSU verstrickt gewesen und wolle eine komplette Aufklärung verhindern. Was die Nebenklägern dann am Dienstag erleben, wird sie weiter aufwühlen.

Zunächst lässt der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ein kurzes Video aus dem Jahr 2006 zeigen, in dem Andreas T. auftritt. Der große Mann mit dem beinahe kahlen Schädel hatte sich im Juni des Jahres nochmal in Kassel zu dem Internetcafé begeben, in dem die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, damals noch unerkannt, zwei Monate zuvor den deutschtürkischen Betreiber Halit Yozgat erschossen hatten. Kurz vor und mutmaßlich auch während des Mordes hielt sich Andreas T. in dem Lokal auf. Er behauptet bis heute, weder die Todesschüsse mitbekommen noch den sterbenden Yozgat gesehen zu haben.  Mit dem Video wollte die Polizei, die im Jahr 2006 den damaligen Beamten des hessischen Verfassungsschutzes als Tatverdächtigen ansah, sein Verhalten während der ungefähren Tatzeit rekonstruieren.

Ex-Verfassungsschützer Andreas T. - sah er das blutende Opfer?

In dem Video, das nur eine Minute und 27 Sekunden dauert, sitzt Andreas T. zunächst in einem hinteren Raum des Internetcafés an einem PC. Dort hatte er sich am Tattag bei einer Website eingeloggt, die zum Flirten mit Frauen einlädt. Im Film steht Andreas T. auf, geht zum Vorderraum und guckt durch die Eingangstür auf die Straße. Er kommt zurück, geht kurz in den hinteren Raum, dann wieder nach vorne und legt ein Geldstück auf den Tresen. Anschließend verlässt Andreas T. das Internetcafé und steigt in seinen Wagen.

Obwohl sich Andreas T. in dem Video ruhig und natürlich gibt, verstärkt es noch den Verdacht, er habe den stark blutenden Halit Yozgat hinter dem Tresen liegen gesehen. Der ist nur so hoch wie ein Schreibtisch – und Andreas T. ist ein Hüne. Dass er Yozgat übersehen haben könnte, erscheint nun noch weniger vorstellbar. Richter Götzl hat T. auch bereits mehrmals als Zeugen geladen und ihn mit Fragen traktiert. Es war nicht zu überhören, dass Götzl die Version des früheren Verfassungsschützers bezweifelt. Doch Andreas T. blieb stets bei seiner Geschichte.

Kurz nach der Vorführung des Videos will der Vater des Ermordeten eine Erklärung abgeben. Er beginnt mit kräftiger Stimme, auf Türkisch die Prozessbeteiligten zu begrüßen, darunter die „Familien der Märtyrer“, wie er die Angehörigen der Mordopfer nennt. Ein Dolmetscher übersetzt. Doch Ismail Yozgat kommt nicht weit. Richter Götzl unterbricht ihn, der Ton ist energisch. Götzl will wissen, wozu der Vater etwas erklären möchte. Der Hamburger Anwalt Thomas Bliwier, er vertritt mit zwei Kollegen die Familie Yozgat, schaltet sich ein. Der Vater wolle seine Gefühle in diesem Prozess schildern und habe dafür mit seiner Frau die beschwerliche Anreise aus Kassel auf sich genommen. Der Richter möge Yozgat die Gelegenheit zur Stellungnahme geben, „soviel Zeit muss sein“.

Götzl sagt, er wolle nicht kleinlich sein, doch er verweist auf die Strafprozessordnung. Dort ist geregelt, wann Erklärungen vorgetragen werden können. Notwendig ist ein konkreter Bezug zu einem Beweisthema. Anwalt Bliwier kontert sarkastisch, die Erklärung wäre schon längst beendet, wenn nicht . . . Götzl fährt dazwischen, „so brauchen Sie mir nicht zu kommen, das ist ungehörig!“ Bliwier bleibt eher leise und spricht von den Schmerzen der Familie Yozgat, die der Vater darstellen wolle. Es gehe auch um den Stand des Verfahren und um das Versprechen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Taten des NSU aufzuklären. Götzl gibt nicht nach, bittet aber die anderen Prozessparteien um Stellungnahmen.

"Absolute Kälte" zwischen Verteidigern und Opferfamilien

Bundesanwalt Herbert Diemer zeigt Verständnis für den Wunsch von Vater Yozgat, verweist aber ebenfalls auf die Strafprozessordnung. Sie sei „bindendes Recht“. So sieht es auch Beate Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer. Anwalt Bliwier ist empört: die Verteidiger Zschäpes sollten „sich was schämen“. Empörung bei den Verteidigern. Götzl tut das, was er in solchen Situationen meistens tut: Er unterbricht die Verhandlung, damit sich die Gemüter abkühlen können.

Wie erhitzt sie sind, ist auch Barbara John anzumerken. Die von der Bundesregierung berufene Ombudsfrau der Opfer des NSU-Terrors ist ebenfalls  nach München gekommen und beklagt in der Pause, die Angehörigen würden von Götzl und der Verteidigung „ausgebremst“. Das sei ein „unerträglicher Zustand“. John spricht von einer „absoluten Kälte“ zwischen den Verteidigern und den Opferfamilien.

Für die Ombudsfrau ist der Wunsch der Hinterbliebenen nach Aufklärung, gerade im Fall Andreas T., mehr als verständlich. Es sei doch eine „unerhörte Begebenheit“, dass genau in dem Moment, in dem Halit Yozgat ermordet wurde, sich ausgerechnet ein Verfassungsschützer im Internetcafé befunden habe, „ein Staatsdiener, ein Beamter!“ Und John betont, die Opferfamilien „hoffen so sehr, dass die Angeklagten, die mutmaßlichen Täter, bestraft werden“.

Nach der Pause, das hat Götzl wieder einmal hinbekommen, haben sich die Gemüter halbwegs beruhigt. Anwalt Bliwier verkündet, Vater Yozgat werde erst morgen seine Erklärung vortragen. Es wird wieder ein bewegender Moment sein. Ismail Yozgat war im Oktober 2013 bei seiner Aussage als Zeuge im Prozess beinahe zusammengebrochen. Weinend rief  er den Angeklagten zu, „warum haben Sie meinen Sohn getötet?“

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