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Was muss der Stahlgipfel leisten?: „Wenn wir weiter nur diskutieren, dann platzt uns bald der Kessel“
Die deutsche Schwerindustrie kämpft mit Energiepreisen, Zöllen und der Billigkonkurrenz. Nun gibt es bald einen Stahlgipfel im Kanzleramt – und eine Idee aus der Kanzlerpartei.
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Wann das Krisentreffen genau stattfindet, ist unklar. An einem Termin arbeitet das Kanzleramt noch, wie es am Freitag in Regierungskreisen auf Anfrage hieß. Geben aber soll es den „Stahlgipfel“, den Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) nach dem Koalitionsausschuss am Mittwoch angekündigt hatte, möglichst bald.
Schließlich drängt die Zeit – zumindest, wenn man Branchenvertretern glauben darf. „Herr Bundeskanzler, wenn es weiterhin deutsche Stahlwerke geben soll, brauchen wir einen nationalen Stahlgipfel“, schrieb etwa André Körner, der beim Stahlriesen ArcelorMittal als Manager arbeitet, zu Beginn des Sommers in einem viel beachteten Social-Media-Beitrag: „Nicht im September. Nicht im August. Jetzt. Bevor auch bei uns ein Ofen nach dem anderen aus geht.“
Die offiziellen Zahlen stützen die Behauptung, dass es um den klassischen Industriezweig nicht gut steht. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl, der Dachverband der Branche, vermeldete gerade für die ersten sieben Monate des Jahres „erneut eine schwache Bilanz: Mit rund 19,8 Millionen Tonnen lag die Rohstahlproduktion 12,1 Prozent unter dem bereits niedrigen Vorjahresniveau“.
Stahlproduktion auf Rezessionsniveau
Mit 37 Millionen Tonnen im gesamten vergangenen Jahr war Deutschland im globalen Vergleich immerhin noch der siebtgrößte Stahlproduzent der Welt. Die aktuelle Produktionsmenge ist auch nicht die geringste jemals – sowohl im Finanzkrisenjahr 2009 wie nach dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 lag sie noch darunter. Der Verband spricht trotzdem von einem „Rezessionsniveau“, weil bis auf wenige Ausnahmen seit den Siebzigern stets mehr, oft deutlich mehr als 40 Millionen Tonnen jährlich hergestellt wurden.
Regierungsseitig hat nicht erst der sozialdemokratische Vizekanzler Lars Klingbeil den Handlungsbedarf erkannt, als er vor knapp zwei Wochen einen Stahlgipfel forderte. „Die Stahlindustrie ist von zentraler strategischer Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland“, heißt es bereits im Koalitionsvertrag: „Wir werden sie erhalten und zukunftsfähig machen und sie bei ihrer Umstellung der Produktionsprozesse auf dem Weg zur Klimaneutralität unterstützen.“
Wirklich konkret aber sind die Ideen zu ihrer Rettung darin noch nicht ausformuliert. Die Speicherung von CO2 im Boden, um die Klimaziele auf anderem Wege zu erreichen, wird ebenso genannt wie „das konsequente Recycling von Stahlschrott“.
Die milliardenschwere Subventionierung, beispielsweise aus dem Klima- und Transformationsfonds, mit der der vorherige Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) den Weg in die Zukunft ebnen wollte, spielt im Koalitionsvertrag eine genauso untergeordnete Rolle wie die aktuellen Probleme der Branche, über die Merz am Mittwoch nach dem Koalitionsausschuss sprach.
Der Kanzler weiß, dass es sich um eine gefährliche, wirtschaftspolitisch potenziell tödliche Mischung handelt, wenn zu den hohen Energiepreisen, der schwachen heimischen Nachfrage und chinesischen Konkurrenzprodukten zu Dumpingpreisen auch noch US-Zölle hinzukommen. Diese schon länger geltenden branchenspezifischen Zusatzkosten seien, so Merz, „nicht hinreichend beachtet“ worden, als die EU-Kommission zuletzt mit Washington den Zolldeal aushandelte.
Wenn wir weiter nur diskutieren, statt zu liefern, dann platzt uns bald der Kessel!
CDA-Chef Dennis Radtke
„Unsere Stahlindustrie steht von zwei Seiten unter Druck: Durch subventionierten Billigstahl aus China – und durch Strafzölle, die den Zugang zu wichtigen Märkten erschweren“, sagt der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke, der zudem dem Arbeitnehmerflügel CDA der Kanzlerpartei vorsteht: „Zwölf Prozent weniger Rohstahlproduktion – das ist ein Alarmsignal, das niemand mehr überhören darf.“
Über einen „Gipfel der Planlosigkeit“ lästert dagegen der Grünen Fraktionsvize Andreas Audretsch: „Es wird Zeit, dass der Kanzler und seine Wirtschaftsministerin sich mit der Realität der wirtschaftlichen Lage befassen.“
Wer im Land unterwegs sei, so Vizekanzler Klingbeil am Mittwoch, spüre die Sorgen der Beschäftigten, den Wettkampf gegen China oder andere Regionen zu verlieren. Man kann das als Hinweis lesen, dass Habecks bisherige Förderpolitik auf dem Weg zum grünen Stahl in der Vorgängerregierung mit der SPD nicht wirklich erfolgreich war. Am selben Tag, als das Bundeskabinett auch einen Gesetzentwurf zur Senkung der Strompreise durch niedrige Steuern und Netzentgelte verabschiedete, sagte der SPD-Chef: „Unsere Top-Priorität ist die wirtschaftliche Stärke dieses Landes und die Sicherheit von Arbeitsplätzen.“
Ein neuer Rettungsfonds für die Branche?
Das hat zumindest Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft so noch nicht gemerkt. „Ein Gipfel mehr oder weniger hat noch niemandem geschadet“, sagt er zu der Ankündigung, der aber nun Taten folgen müssten, habe doch gerade die Stahlbranche „eine politische Antwort verdient, wie die Bundesregierung den industriellen Wirtschaftsstandort Deutschland erhalten will“.
Von einem guten Signal, das allein aber nicht reiche, spricht auch das CDU-Vorstandsmitglied Radtke aus dem Stahlstandort Nordrhein-Westfalen: „Wenn wir weiter nur diskutieren, statt zu liefern, dann platzt uns bald der Kessel!“
Der Gipfel, an dem neben dem Bund, auch die Länder, die Unternehmen sowie die Tarifpartner teilnehmen sollen, muss aus seiner Sicht daher viel Geld in die Hand nehmen: „Wir brauchen bis 2035 einen Transformationsfonds, der den industriellen Umbau endlich auf solide Beine stellt.“ Ohne massive Unterstützung werde es keine klimaneutrale Stahlproduktion made in Germany geben.
Den Unterschied zur „reinen Subventionspolitik à la Habeck“ ist ihm zufolge, dass der Fonds „mit einer klugen Kombination aus öffentlicher Förderung und privater Investition“ als sogenanntes Public Private-Partnership-Modell angelegt werden soll. Billig wird das nach Ansicht Radtkes aber dennoch nicht, zugleich handele es sich um eine sinnvolle Investition: „Wer beim Stahl spart, der zahlt bald doppelt – mit dem Verlust von Arbeitsplätzen und dem Ausverkauf unserer Industrie.“
Die Branche freut sich indes auch ohne bereits konkret erkennbare Schritte, dass ihre Anliegen im politischen Berlin ganz oben angekommen sind. „Stahl ist nicht nur Rückgrat nahezu aller Wertschöpfungsketten, sondern auch ein Eckpfeiler unserer Demokratie und Freiheit“, erklärt Kerstin Maria Rippel, die Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl: „Diese Grundlage gilt es zu sichern, denn es geht um Europas Verteidigungsfähigkeit, Wettbewerbsstärke und wirtschaftliche Stabilität für die kommenden Jahrzehnte – und wir freuen uns, dass Bundeskanzler Merz dies ebenfalls so sieht und zu einem Stahlgipfel einlädt.“
Der kaum versteckte Hinweis, dass mit ihrem Produkt auch Panzer und sonstige Waffensysteme gebaut werden, hat offenbar in diesen Zeiten zu beeindrucken gewusst. Dass die Sicherung der Stahlindustrie Rippel zufolge „nicht allein eine wirtschaftspolitische Aufgabe, sondern Kernbestandteil der Sicherheits- und Resilienzpolitik der Bundesrepublik Deutschland“ ist, spielt tätsächlich auch in den Überlegungen von Militärs eine Rolle, wenn es um eine größere Unabhängigkeit Europas von den Vereinigten Staaten in der Zukunft geht.
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