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Entnervt oder verzweifelt? Der Bundespräsident appelliert dringend an alle Unentschlossenen, zur Impfung zu gehen.

© Wolfgang Kumm/dpa

Steinmeier appelliert an Impfgegner: "Was muss eigentlich noch geschehen, um Sie zu überzeugen?"

Der Bundespräsident klagt Impfverweigerer an. Und bittet Fachfrauen um Antworten, was aus der Krise zu lernen ist.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat einen emotionalen Appell an Ungeimpfte in Deutschland gerichtet: “Was muss eigentlich noch geschehen, um Sie zu überzeugen?” fragte Steinmeier in einer Rede, in der es eigentlich um Lehren aus der Krise ging und darum, was staatliches Handeln überhaupt könne.

“Wenn ich höre, dass Menschen, die im Krankenhaus mit dem Virus ringen, noch immer bestreiten, dass es dieses Virus gibt, dann erschüttert mich das zutiefst”. Da sei tragisch und zutiefst besorgniserregend. “Ich bitte Sie noch einmal: Lassen Sie sich impfen! Es geht um Ihre Gesundheit, und es geht um die Zukunft Ihres Landes!”

Das Krisengedächtnis, ein Kurzzeitgedächtnis

Es seien inzwischen vor allem Ungeimpfte, die sich infizierten und die auf Intensivstationen um ihr Leben kämpften. Alle die sich weigerten, „setzen ihre eigene Gesundheit aufs Spiel, und sie gefährden uns alle.“

Die Veranstaltung im Schloss Bellevue stand selbst im Zeichen rasch wachsender Ansteckungszahlen. Sie begann eine Viertelstunde später, weil einige der Gäste des „Forum Bellevue“, einem Format des Präsidenten zur Zukunft der Demokratie, noch getestet werden mussten. Der übliche Empfang danach war kurzfristig gestrichen worden.

Steinmeiers Kritik -  „Die vierte Welle trifft unser Land härter, als sie uns treffen müsste“ - verband er mit einem Vorwurf auch an die Politik: Politik wie Gesellschaft müssten sich fragen, „ob nicht der Wunsch, den Gedanken an die Seuche endlich zu verbannen, einer konsequenten Abwehr der vierten Welle im Weg stand“. Das Krisengedächtnis sei „ein Kurzzeitgedächtnis“ sagte Steinmeier. Um diese vierte Welle zu brechen, dürfe jetzt keine Zeit verloren werden, „wir müssen mehr tun.“

Ethikrats-Vorsitzende sieht "ein Bedürfnis nach Vorausschau"

Darüber hinaus, mahnte Steinmeier müssten auch jene „strukturellen Schwachstellen unseres demokratischen Staates“ in den Blick genommen werden, die es zuvor schon gab. Corona habe sie aber „schonungslos offengelegt“. Es fehle an Vorsorge und Vorausschau, in miteinander verbundenen Einrichtungen hakten die Abläufe und: „Der digitale Rückstand in Behörden, an Schulen, im Gesundheitssystem, dieser Rückstand ist nicht nur zu bedauern, er ist auch beschämend.“

Mit drei Fachfrauen diskutierte der Bundespräsident im Anschluss an seine Rede mögliche „Lektionen aus der Pandemie“: mit der Medizinprofessorin und Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats Alena Buyx, der Vizepräsidentin des Landtags von Schleswig-Holstein, Aminata Touré, und Laura Münkler, Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Greifswald.

Buyx plädierte für ein Mehr an Vorausschau dadurch, dass wissenschaftlicher Rat nicht erst in Krisenzeiten von der Politik angefragt werde, sondern auch im politischen Normalmodus, regelmäßig. In der Bevölkerung gebe es “ein Bedürfnis nach mehr Vorausschau“. Komme das zu kurz, verstärke das Demokratieskepsis, und selbst Menschen mit Vertrauen zur Demokratie fragten sich, warum immer wieder dieselbe Ratlosigkeit ausbreche.

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Skeptisch reagierte Buyx‘ Greifswalder Kollegin Münkler: Sie sei sich nicht sicher, ob eine Art wissenschaftlicher Pandemierat helfe. Es gebe eine „zu hohe Erwartung, was Expertise in einer Demokratie kann“, sagte Münkler, deren Habilitationsschrift sich der  „Expertokratie“ gewidmet hat.

Auch Steinmeier fragte zurück, ob rationales Argumentieren wirklich helfe. Buyx konterte mit Erkenntnissen von Kolleg:innen anderer Fächer: Die Gruppe der Impfgegner und Coronaleugnerinnen sei nicht homogen, man brauche vielfältige Ansprache, wo die Mainstreamaufklärung durch Massenmedien nicht hinkomme.

Touré: Parlamente dürfen sich nicht verzwergen

Eine erfolgreiche Impfstrategie müsse darauf aufbauen und den großen Schatz von nicht nur wissenschaftlicher Erkenntnis zu diesem Thema heben: „Es war schon vor Corona absehbar, dass Werbung fürs Impfen nicht bei allen ankommt.“ Schon dass die einen mit Trotz, die andern mit Angst auf das Virus und Impfappelle reagierten, „zwei völlig unterschiedliche Gefühle“, zeige, wie notwendig unterschiedliche Kommunikation sei.

Die Kieler Grünen-Politikerin Touré hat aus der Pandemie den Schluss gezogen, dass sich Parlamente nicht selbst „verzwergen“ dürften. Sie und ihre Kolleg:innen hätten der Exekutive, den Regierungen, zu oft die Oberhand gelassen und sich zurückgenommen, aus Angst, schnelle Entscheidungen zu behindern.

„Aber gerade in Krisenzeiten ist es nötig, Institutionen zu stärken.“ Dass eine Zeitlang alle Entscheidungen der Ministerpräsidentenkonferenz überlassen schienen, die im Grundgesetz gar nicht vorgesehen ist, sehe sie mit großer Skepsis.

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