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Der Mannschaftsbus des BVB nach dem Anschlag am Dienstag.

© Reuters/ Kai Pfaffenbach

Bomben gegen BVB: Welchen Hintergrund könnte der Anschlag von Dortmund haben?

Islamisten, Rechtsextreme oder ein fanatischer Außenseiter: Nach dem Anschlag auf den BVB-Bus in Dortmund ermitteln die Sicherheitsbehörden weiter in alle Richtungen. Die möglichen Szenarien.

Von Frank Jansen

Das ist offenkundig neu für die deutschen Sicherheitsbehörden: nach dem Anschlag in Dortmund ist trotz der islamistisch klingenden Parolen im Bekennerschreiben eine perfide „False-Flag“-Aktion denkbar. Bislang kam bei Islamismusverdacht üblicherweise kein Rechtsextremist oder ein anderer Fanatiker als Tatverdächtiger in Frage. Das ist nun anders. Einige Sicherheitsexperten sagen, die Waage neige sich mal in Richtung „Islamisten“, mal in Richtung „rechts“ oder zumindest „Hooligans“. Was spricht nun für einen islamistischen Anschlag, was dagegen? Warum könnte auch ein Rechtsextremist oder eine rechtsextreme Gruppierung für die Tat verantwortlich sein? Und wer sonst noch?

Die islamistische Spur

Die islamistische Spur ist jedenfalls so lange nicht „kalt“, wie kein Täter aus einem anderen Milieu gefasst wird. Das Bekennerschreiben ist auch nicht per se unglaubwürdig, weil es nicht zu den bekannten Mustern passt. Den holprigen Text könnte ein intellektuell schlichter Salafist verfasst haben, sagen Sicherheitskreise. Der erste Satz, „Zwölf ungläubige wurden von unseren Gesegneten Brüder in Deutschland getötet“, bezieht sich offenkundig auf den Anschlag von Anis Amri in Berlin, bei dem ein Dutzend Menschen ums Leben kam. Das schlechte Deutsch könnte ein Hinweis auf einen ausländischen Dschihadisten sein. Oder aber ein deutscher Rassist formulierte einen Text im Radebrech-Stil, um muslimische Migranten als dumm-brutale Terroristen zu diskreditieren.

Für einen islamistischen Hintergrund könnte jedoch sprechen, dass die drei Sprengsätze offenbar professionell gebastelt und mit mindestens einem militärischen Zünder versehen waren. Außerdem war die Sprengwirkung enorm, wie Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger am Donnerstag im Düsseldorfer Landtag betonte. Demnach wäre ein Täter denkbar, der bei der Terrormiliz IS in Syrien oder Irak trainiert wurde im Umgang mit Sprengstoff und Waffen. Also ein Rückkehrer aus dem Bürgerkrieg. Dass solche Leute in Deutschland Anschläge begehen, befürchten die Sicherheitsbehörden schon lange.

Ein Rückkehrer würde sich aber vermutlich anders zum Anschlag bekennen. Zu erwarten wäre ein selbstaufgenommenes Video, das dem IS geschickt wird, der es dann über eine seiner Medienagenturen im Internet verbreitet. Ein Bekennerschreiben auf Papier sei hingegen untypisch für den IS und „oldschool“, sagen Sicherheitskreise. Außerdem fehle das klassische IS-Symbol, die schwarze Flagge mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die hätte mühelos in das Bekennerschreiben hineinkopiert werden können. So jedoch wird der IS lediglich in Verbindung mit einer ominösen „Todesliste“ erwähnt, auf der jetzt angeblich „alle ungläubigen Schauspieler, Sänger, Sportler und Sämtliche prominente in Deutschland und anderen Kreuzfahrer-Nationen“ (Fehler wie im Original) stehen. Das soll so bleiben, solange zwei Forderungen nicht erfüllt werden: „Tornados aus Syrien abziehen“ und „Ramstein Air Base muss geschlossen werden“. Dass der IS etwas verlangt, ist allerdings unüblich. Die Terrormiliz schießt, bombt, foltert und mordet. Eine Option für Verhandlungen oder gar Kompromisse erscheint im Weltbild des IS unvorstellbar.

Der kaltblütige Rassist

So wirkt das Bekennerschreiben wie das Machwerk eines Fanatikers, der Versatzstücke aus Medienberichten über den IS, den Krieg in Syrien und die deutschen Beteiligung an Militärschlägen sowie über die amerikanische Militärpräsenz in Deutschland zusammengeklaubt hat. Das wäre einem geistig primitiven Salafisten zuzutrauen, auch einem ebenso unterbelichteten Rechtsextremisten, aber eben auch einem hinterhältigen, eiskalt agierenden  Islamhasser. Welcher dieser drei Typen würde am ehesten zur professionellen Machart der Sprengsätze passen? Theoretisch wohl der kaltblütige Rassist.

Dem militanten Spektrum der rechtsextremen Szene sind durchaus Sprengstoffanschläge zuzutrauen. Die Terrorzelle NSU verübte drei Angriffe mit selbstgebastelten Bomben. Im Juni 1999 explodierte in einem türkischen Lokal in Nürnberg eine Taschenlampe, die Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt präpariert hatten. Ein Angestellter erlitt Verletzungen. Im Dezember 2000 stellte einer der beiden NSU-Terroristen in Köln in einem iranischen Lebensmittelgeschäft einen Geschenkkorb mit versteckter Bombe ab. Sie befand sich in einer Christstollendose. Im Januar 2001 ging der Sprengsatz hoch, als die Tochter des Einzelhändlers die Dose öffnete. Die Frau wurde schwer verletzt. Der härteste Sprengstoffanschlag war allerdings der, den Mundlos und Böhnhardt im Juni 2004 in Köln in der türkisch dominierten Keupstraße verübten. Dort explodierte mit großer Wucht eine mit Nägeln gespickte Bombe. Mundlos und Böhnhardt hatten den Sprengsatz in einer Box auf einem Fahrrad deponiert und das dann vor einen türkischen Friseurladen geschoben. Bei der Detonation erlitten mehr als 20 Menschen Verletzungen, das Friseurgeschäft wurde zerstört.

Ein Fanatiker, der den Club ablehnt

Welchen Grund könnten allerdings Rechtsextremisten oder zumindest islamhassende Hooligans haben, ausgerechnet die Mannschaft von Borussia Dortmund anzugreifen? Der BVB hat eine beachtliche, schlagkräftige Minderheit rechtsextremer Fans. Sie würden einen Anschlag auf ihre Idole wohl kaum gutheißen, selbst wenn die verhassten Muslime stigmatisiert werden sollen. Deshalb sei auch ein rechter Außenseiter als Täter denkbar, sagen Sicherheitsexperten. Womöglich einer, der bei Borussia Dortmund ein Stadionverbot bekommen hat – oder auch ein rechter Fanatiker, der den Verein ablehnt, weil er für Schalke oder einen anderen Club schwärmt.

Wie auch immer – es sei notwendig, sich nicht nur auf die klassischen Muster extremistischer Täter zu verlassen, sagen Sicherheitsexperten. Schon im Fall des Berlin-Attentäters Anis Amri habe sich gezeigt, dass potenzielle Terroristen sich atypisch verhalten können und dennoch hochgefährlich bleiben. Amri hatte sich phasenweise keineswegs ultrareligiös gegeben. Er dealte mit Drogen und der Fastenmonat Ramadan war ihm nicht ganz so wichtig. Möglicherweise zeigt der Fall Dortmund, dass sich Polizei und Nachrichtendienste auf weitere Tätertypen einstellen müssen – den diffus anpolitisierten Terroristen, den intellektuell minderbemittelten Sprengstofffreak, den perfiden Rassisten, der einen Anschlag unter falscher Flagge begeht, und, und, und. Womöglich driften auch Linksextremisten in verschiedene Stadien des Irrsinns ab. Die Sicherheitsbehörden ermitteln nach dem Anschlag auf den BVB-Bus in Dortmund weiter in alle Richtungen.        

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