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Eine Faust sagt manchmal mehr als ein Satz.

© dpa

Politischer Streit in Israel: Wenn der Gegner zum Feind wird

In Israel wurde einst leidenschaftlich und zivil debattiert. Die Leidenschaft ist geblieben. Doch eine kleine radikale Minderheit verbreitet zunehmend Angst und Schrecken. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

In der guten alten Zeit, als noch keine Terrororganisation, weder Hamas noch Hisbollah, den Staat Israel dazu zwingen konnte, regelmäßig Kriege gegen sie zu führen, die mit immer demselben Resultat enden – die Welt ist schockiert, die Terroristen rüsten wieder auf, alles geht von vorne los –, in dieser Zeit also wurden die meisten Zwistigkeiten über den Kurs des Landes mit großer Leidenschaft und noch größerer Zivilität ausgetragen. Zwei Zauberworte verhinderten ein Überkochen der Emotionen. Das erste hieß „bli yadayim“ (ohne Hände), das zweite „am echad“ (ein Volk). Gemeint war: keine Tätlichkeit, wir Juden sind ein Volk und müssen zusammenhalten.

Selbst die hitzige Brüllerei nach einem Verkehrsunfall konnte rasch heruntergekühlt werden, wenn sich die Beteiligten auf „bli yadayim“ und/oder „am echad“ verständigten. Durch einen ähnlichen Mechanismus mündete der Disput zwischen einem rechten Nationalisten und einem antizionistischen Ultraorthodoxen, der sich lieber von Jassir Arafat als von Jitzchak Schamir regieren lassen wollte, nicht automatisch in eine Schlägerei. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl wurde in seinen Grundfesten erschüttert, als im November 1995 der damalige Ministerpräsident Jitzhak Rabin von einem jüdischen Extremisten ermordet wurde. Seitdem erodiert es weiter.

Friedensdemonstranten werden verprügelt

Die Folge davon ist, dass Dissens schnell als Verrat verstanden wird, der politische Gegner zum Feind mutiert. Ihm wird vorgeworfen, Israel zu „dämonisieren“, zu „delegitimieren“ und mit „doppelter Moral“ zu messen – all das sind sowohl schwammige als auch interpretatorisch sehr dehnbare Begriffe.

Dies wird aus der jüngsten Vergangenheit berichtet: Gideon Levy, ein Kommentator der Tageszeitung „Ha’aretz“, erhält nach einem kritischen Artikel über den Gazakrieg so viele Morddrohungen, dass ihm sein Verlag einen Bodyguard zur Seite stellt. Die Schauspielerin Gila Almagor sagt in einem Interview, sie schäme sich, Israelin zu sein, wenn in ihrem Land Kinder bei lebendigem Leib verbrannt werden (jüdische Extremisten hatten zuvor den arabischen Jugendlichen Mohammed Abu Khdeir entführt und ermordet). Daraufhin wird auch sie mit dem Tode bedroht. In Haifa und Tel Aviv werden Teilnehmer von Friedensdemonstrationen verprügelt.

Der Menschenrechtsorganisation „B’Tselem“ wird verboten, im staatlichen Rundfunk einen Spot auszustrahlen, in dem die Namen von 150 Kindern aus dem Gazastreifen vorgelesen werden, die in den ersten 16 Tagen der Militäroffensive getötet wurden; die Zivildienstbehörde entschied, dass „B’Tselem“ wegen „anti-israelischer Aktivitäten“ nicht mehr von Zivildienstleistenden unterstützt werden darf. Eine Gruppe mit dem Namen „Lehava“ (Flamme), die zum Ziel hat, „Rassenmischung zu verhindern“, bedroht massiv die Hochzeitsfeier eines jüdisch-muslimischen Paares aus Tel Aviv. Eine andere Gruppe mit Namen „Im Tirtzu“ („Wenn ihr wollt“, eine Anspielung auf Theodor Herzls „Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen“) agitiert gegen Menschenrechtsorganisationen und missliebige Professoren.

Eine radikale Minderheit verbreitet Angst

Das sind Meldungen, die nicht den Mainstream widerspiegeln. Sie künden aber davon, dass eine radikale Minderheit zunehmend in der Lage ist, Angst und Schrecken innerhalb der israelischen Gesellschaft zu verbreiten. „Bli yadayim“ und „am echad“ waren einmal.

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