
Streit um Waldbrände am Amazonas: Wer den Hambacher Forst abholzt, darf sich über Brasilien nicht beschweren
In Brasilien brennt der Dschungel und in Europa ist die Aufregung groß. Doch Deutschland sollte erstmal selbst Klimaschutz ernst nehmen. Ein Kommentar.

Anfang August schrieb der Harvard-Professor Stephen Walt einen Text für die Zeitschrift „Foreign Policy“. Er fragte, was die Welt zu tun gedenke, wenn Brasilien den Amazonaswald zerstöre und die Zukunft der Menschheit gefährde. Der Titel des Aufsatzes: „Wer wird den Amazonas retten (und wie)?“
Die Frage ist aktueller denn je. In Brasilien brennt der Dschungel in nicht gekanntem Ausmaß. Die Gründe für die Feuer: zunehmende Trockenheit und Brandstiftung durch Rinderzüchter und Großbauern, die ihre Flächen vergrößern wollen. Ermutigt werden sie von Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, der klar gemacht hat, dass man den Amazonas ausbeuten werde.
Umweltschutz ist für ihn eine Sache sentimentaler Indio-Fans und Grünzeug fressender Veganer.
Vor allem in Europa ist die Aufregung jetzt groß. Der Amazonasdschungel produziert 20 Prozent unseres Sauerstoffs und ist ein unermesslicher Speicher von CO2. Zwar hat uns die Abholzung der vorangegangenen Jahre kaum interessiert, aber weil wir klima-sensibel geworden sind und Bolsonaro ein ideales Feindbild abgibt, starren nun alle nach Südamerika.

Deutschland und Norwegen haben schon Gelder für Brasilien gestrichen und Frankreichs Präsident Macron will auf dem G7-Gipfel über das Problemland sprechen.
Bolsonaros Gegner in Brasilien begrüßen das, während Bolsonaro und seine Minister hektisch twittern. Sie schreiben, dass die Norweger Wale jagen und die Franzosen mit ihren Atomtests die Südsee verseucht haben. Und die Merkel? Solle lieber Deutschland aufforsten.

Sie liegen damit nicht falsch. Die größten Klimasünder sind die USA, China und Europa. Brasilien war hingegen lange ein Klimachampion. Das Land reduzierte zwischen 2004 und 2012 die Rodungen um ein Sechstel und war drauf und dran, seine Klimaziele zu erreichen.

Hinzukommt: Brasilien gewinnt zwei Drittel seines Stroms aus Wasserkraft. Die 43 Millionen Autos auf Brasiliens Straßen fahren zu 65 Prozent mit Flexfuel-Motoren, zu zehn Prozent mit Erdgas. In Deutschland fahren hingegen fast alle 65 Millionen Autos mit Benzin.
Aufschlussreich ist auch der Vergleich des Pro-Kopf-Ausstoßes von Klimagasen: Jeder Brasilianer ist für 2,35 Tonnen verantwortlich. Der Durchschnittsdeutsche hat 9,7 Tonnen auf dem Gewissen und jeder Amerikaner 15,74 Tonnen. Und wer frisst eigentlich das Soja, das im gerodeten Dschungel angebaut wird? Es sind Europas Masttiere!
All das soll keine Entschuldigung sein, aber wer den Hambacher Forst für Kohle abholzt, der kann keine moralische Überlegenheit in der Diskussion mit Brasilien für sich beanspruchen. Und schon gar nicht den Amazonas retten. Es würde schon helfen, einfach weniger Fleisch zu essen.