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Die Klimaschützer der „Letzten Generation“ lassen sich schlecht von der Straße lösen.

© Christian Mang

Urteil zum Protest der „Letzten Generation“: Wer sich festklebt, muss haften

Die Straßenblockaden von Klimaschützern sind illegal und eine Zumutung. Aber sie sind auch ein Freiheitsgebrauch von Menschen, denen es stinkt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Als Jahr des „Großen Gestanks“ gilt 1858, als es in London, der damals größten Stadt der Welt, so entsetzlich stank, dass die Politik entschied: Eine Kanalisation muss her. Die Themse war zur Kloake geworden. Als großer Gestank, ja Riesendreck darf ebenfalls gelten, was der mit fossilen Brennstoffen befeuerte Straßenverkehr in den heutigen Millionenstädten anrichtet.

Der Unterschied: Den Leuten stinkt es nicht. Jedenfalls nicht genug. Weshalb es Sympathie verdient, wenn Klimaschützer der „Letzten Generation“ auf Fahrbahnen sitzen. Automobilität, der Fortschrittsfetisch der vergangenen Jahrzehnte, wird, unter den gegenwärtigen Bedingungen, zunehmend zur schlechten Gewohnheit.

Trotzdem ist dieser Protest nicht zu rechtfertigen. Das Amtsgericht Tiergarten hat jetzt einen jungen Mann aus der „Letzten Generation“ zu 60 Stunden Freizeitarbeit verurteilt. Einschlägiger Tatbestand ist Paragraf 240 des Strafgesetzbuchs, die Nötigung. Es ist verboten, Menschen „mit Gewalt“ zu etwas zu zwingen, was sie nicht wollen. In diesem Fall: im Straßenverkehr anhalten zu müssen.

Psychischer Zwang ist keine Gewalt, sagte das Bundesverfassungsgericht

Lange wurde in der Demo-Republik Deutschland angesichts von Protestblockaden um diesen Tatbestand gerungen. Kann Sitzen strafrechtlich eine Sünde sein? Nein, sagte das Bundesverfassungsgericht, weil bloßes Sitzblockieren psychischer Zwang, aber keine Gewalt ist. Ja, sagte daraufhin der Bundesgerichtshof, weil jedenfalls der Sitzprotest im Straßenverkehr zum Abstoppen zwingt und die anhaltenden Autos damit zur physischen Blockade werden, über die der Sitzblockierer verfügt. Also doch Gewalt.

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Das Verfassungsgericht hat diese so genannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung ausdrücklich akzeptiert. Aus gutem Grund, denn das, was da veranstaltet wird, sieht aus wie eine Nötigung, hat Effekte einer Nötigung und ist als Nötigung beabsichtigt. Nur die erfolgreiche Nötigung – Stau plus Polizeieinsatz plus Medienberichte – erzeugt, was die „Letzte Generation“ will: Aufmerksamkeit.

Die Grenzen der Strafbarkeit sind fließend wie Sekundenkleber

Gleichwohl gelten die Grundrechte. Hier vor allem Artikel 8 des Grundgesetzes, die Versammlungsfreiheit. Ihr Schutz gilt auch, wenn ein Protest nicht angemeldet oder sogar, wie hier, illegal ist. Das Grundrecht verlangt, den Bezug zwischen dem Inhalt des Protests und seiner äußerlichen Form in Beziehung zu setzen. Eine vielbefahrene Autobahn ist kein falscher Ort, um Beachtung für den menschengemachten Klimawandel einzufordern.

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Die Gerichte müssen abwägen, ab welchem Punkt legitimer Sitzprotest in eine strafbare Blockade umschlägt.

Die Grenzen sind dabei so fließend wie Sekundenkleber, wenn er aus der Tube tritt. Der wird dann aber hart und härter. Und das ist das Problem der Selbstfixierung, sie fixiert auch die strafrechtliche Bewertung. Freisprüche dürften somit eher selten sein. Die Verurteilten sollten das tapfer hinnehmen. Wer festklebt, der haftet – auch ein starkes Symbol.

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