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Auf der Flucht. Im März floh dieser Vater mit seinem Kind aus der vom Regime belagerten Region Ost-Ghuta. O

© Sanadiki/Unicef

Acht Jahre Krieg: Wie Kinder unter der Gewalt in Syrien leiden

Der Syrienkrieg geht ins neunte Jahr: Für Kinder bedeutet das ein Leben mit Gewalt und Not, aber ohne Schulbesuch. Hilfswerken zufolge sind Millionen betroffen.

Lina weiß, was Krieg bedeutet. Vor vier Jahren starben die Eltern des syrischen Kindes bei einem Luftangriff. „Danach hoffte ich, dass ich ihnen folgen würde. Doch Allah hatte andere Pläne mit mir.“ Von ihrer Familie sind heute noch der Bruder, die Großmutter und ein versehrter Onkel am Leben.

Sie wohnen in Idlib, dem letzten Rückzugsgebiet der Regime-Gegner. Dort haust die 13-Jährige mit ihren Angehörigen in einem unbeheizten Verschlag mit Plastikplanen vor den kaputten Fenstern. Nach dem Tod von Mutter und Vater ging Lina drei Jahre lang nicht zur Schule – aus Angst vor den Bombardements.

Das alles hat die Jugendliche den Mitarbeitern von Save the Children erzählt. Die Hilfsorganisation hat im Februar 365 Mädchen und Jungen im Alter zwischen zehn und 18 Jahren in vier syrischen Provinzen befragt. Der jetzt erschienene Report mit dem Titel „A Better Tomorrow“ macht deutlich, wie sehr Kinder unter dem Krieg leiden - und worauf sie hoffen.

Demnach machen ihnen vor allem die anhaltende Gewalt, die schlechte Sicherheitslage, unzulängliche Wohnbedingungen und der fehlende Schulbesuch zu schaffen. Und diese Probleme haben eine riesige Dimension. Seit Dienstag findet deshalb eine Geberkonferenz in Brüssel statt, veranstaltet von der EU und den Vereinten Nationen. Sie endet am heutigen Donnerstag.

Fünf Millionen Kinder sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Viele, weil sie ihre Eltern verloren haben. Zweieinhalb Millionen sind zu Flüchtlingen geworden. Und vier Millionen kennen nichts anderes als Krieg. Frieden, Stabilität und Bildung – das wünschen sich Syriens Kinder.

Schutzbedürftig. Erst jüngst haben sich viele Eltern und ihre Kinder vor Gefechten in Sicherheit bringen müssen. Im Osten Syriens versuchen kurdische Einheiten, die letzte Bastion des "Islamischen Staat" zu erobern.
Schutzbedürftig. Erst jüngst haben sich viele Eltern und ihre Kinder vor Gefechten in Sicherheit bringen müssen. Im Osten Syriens versuchen kurdische Einheiten, die letzte Bastion des "Islamischen Staat" zu erobern.

© Delil Souleiman/AFP

Doch davon ist das Land nach wie vor weit entfernt. Dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) zufolge sind 2018 so viele Kinder getötet worden wie in keinem der acht Konfliktjahre zuvor. Mindestens 1100 Mädchen und Jungen haben ihr Leben kriegsbedingt verloren.

Die Zahl der Angriffe auf Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen erreichte im vergangenen Jahr mit 262 ein Rekordhoch. Auch würden Kinder unvermindert als Soldaten rekrutiert, entführt und verstümmelt; Kinderrechte werden tagtäglich massiv missachtet.

Mangelernährt, als Kinder verheiratet, bedroht von Blindgängern

Hinzu kommt extreme Armut. Schätzungsweise 70 Prozent der Syrer verfügen über weniger als zwei US-Dollar pro Tag. Die Ersparnisse der Familien sind längst aufgebraucht, es gibt keine Jobs.

Und die Not geht zu Lasten der Kinder: Sie müssen von klein auf zum Lebensunterhalt beitragen. Mädchen werden sehr früh verheiratet, Jungen wird gestattet, sich Milizen anzuschließen. Schon die Kleinsten werden zum Betteln geschickt. Mehr als 90.000 Heranwachsende sind akut mangelernährt.

Ganz zu schweigen von der Gefahr, die von Minen und Blindgängern ausgeht. 2018 wurden nach Informationen von Unicef 434 Kinder durch Sprengkörper schwer verletzt oder gar getötet, mehr als drei Millionen sind direkt bedroht.

Fatal dürfte sich vor allem auswirken, dass vielen syrischen Kinder der Zugang zu Bildung verwehrt ist. Zwei Millionen Mädchen und Jungen besuchen keine Schule.

Schutzsuchend. Ein Kind harrt während eines Bombardements der Provinz Idlib in einem Keller aus.
Schutzsuchend. Ein Kind harrt während eines Bombardements der Provinz Idlib in einem Keller aus.

© Oma Haj Kadour/AFP

Das liegt zum einen daran, dass jede dritte dieser Einrichtungen nicht nutzbar ist, weil sie völlig zerstört, stark beschädigt oder zweckentfremdet wurden. Und wer es dennoch zum Unterricht schafft, schwebt womöglich in Lebensgefahr. Allein im vergangenen Jahr sind 120 Schulen angegriffen worden.

Schuhe putzen statt schreiben lernen

Zum anderen bleiben die Klassen leer, weil Eltern ihre Kinder dringend als Zuverdiener benötigen. Das heißt: Schuhe putzen oder Papiertaschentücher verkaufen statt lesen und schreiben lernen.

Dabei sehnen sich die Kinder danach, ungestört neben ihren Klassenkameraden zu sitzen und zu lernen. Auch Lina. Die 13-Jährige aus Idlib will die Schule endlich beenden, Lehrerin werden und dann einen Beitrag leisten, ihr zerstörtes, geschundenes Land wieder mit aufzubauen.

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