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Fethullah Gülen, Begründer einer Bewegung, die Kritiker als islamistisch bezeichnen.

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Nach dem Putsch in der Türkei: Wie mächtig ist Fethullah Gülen? Und was macht seine Bewegung in Deutschland?

Fethullah Gülen wird von Erdogan als Drahtzieher beschuldigt. Wer ist dieser Mann und was hat er vor – in der Türkei, in den USA und in Deutschland? Fragen und Antworten zum Thema.

Die türkische Regierung geht weiter gegen die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen vor. Präsident Recep Tayyip Erdogan macht Gülen für den Putschversuch verantwortlich und wirft ihm vor, staatliche Institutionen zu unterwandern. Gülens Bewegung ist aber auch in Deutschland aktiv. Eine Annäherung.

Wer ist Fethullah Gülen und wie groß ist seine Bewegung?

Gülen hat in der Türkei schätzungsweise eine Million Anhänger, doch es gibt keinen „Hizmet-Verband“ und keine offizielle Mitgliedschaft in der Hizmet-Bewegung – ob jemand ein Gülen-Gefolgsmann ist oder nicht, ist nicht ohne weiteres feststellbar. Die Schätzung der Anhängerschaft beruht auf der Abonnentenzahl der Zeitung „Zaman“, die lange das Flaggschiff der Bewegung war, inzwischen aber auf Regierungslinie gebracht worden ist.

Neue Anhänger erwarb Hizmet in den vergangenen Jahren vor allem durch die Schulen der Bewegung, die als exzellent galten. Kinder armer Familien erhielten dank der Hilfe der Bewegung die Chance auf eine gute Ausbildung – das schuf Loyalitäten, die sich beim späteren Aufstieg der Geförderten im Staatsapparat für Gülen auszahlten. Das war der Grund dafür, dass Erdogan nach dem Ende seiner Allianz mit Gülen vor drei Jahren zuallererst die Hizmet-Schulen ins Visier nahm.

Die Eigendarstellung der Bewegung und Erdogans Vorwürfe stehen in einem schroffen Gegensatz zueinander: Nach eigenen Angaben ist Hizmet ganz der Toleranz, der Friedfertigkeit und der Demokratie verpflichtet. Gülen selbst hat mehrmals eine Beteiligung an dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli dementiert. Dagegen sprechen Erdogan und seine Regierung von einem sektenähnlichen Kult mit strenger Hierarchie und einer zutiefst undemokratischen Ausrichtung: Demnach hat Gülen seinen Anhängern den Marsch durch die Institutionen befohlen, um der Macht in der Türkei an sich zu reißen.

Wie ist die Bewegung in Deutschland verankert?

Angesichts der großen Zahl türkischstämmiger Einwohner ist Deutschland sowohl für die Präsidentenpartei AKP als auch für die Gülen-Bewegung überaus wichtig. Beide Gruppen haben Stiftungen in Deutschland gegründet oder unterstützen Vereine, die Begegnungsstätten oder Schulen betreiben. Aber auch mit türkischen Medien- und Wirtschaftsunternehmen gibt es Verbindungen. Als Sprachrohr der Gülen-Bewegung fungiert die „Stiftung Dialog und Bildung“. Sie selbst schätzt die Zahl der Gülen-Anhänger in Deutschland auf 100.000 bis 150.000 Personen. Der Gülen-Bewegung stehen rund 300 Vereine, 24 Privatschulen und 150 Nachhilfeeinrichtungen nahe. Vor allem das Nachhilfeangebot gilt als effizient und hilft vielen Kindern mit türkischem Hintergrund offenbar, Defizite aus dem deutschen Schulsystem aufzuarbeiten. Die Schulen haben sich den Ruf erworben, gerade Migrantenkindern bessere Chancen auf einen guten Bildungsabschuss und auf ein Studium zu ermöglichen.

In einer Analyse für die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt der Türkeiexperte Günter Seufert, die Gülen-Bewegung sei die einzige türkisch-muslimische Gruppe, „die sich nicht nur aktiv für die Verbreitung säkularer Bildung unter den Muslimen einsetzt, sondern auch greifbare Erfolge vorzuweisen hat.“ Islamischer Religionsunterricht wird auf den Schulen nicht erteilt. Auch in Berlin gibt es einen Gülen-nahen Schulträger, die Initiative für Bildung und Erziehung. Seine fünf „Wilhelmstadt-Schulen“ werden nach Auskunft der Berliner Senatverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft wie alle Privatschulen von der Schulaufsicht besucht. „Pädagogische Beanstandungen gab es dabei bisher nicht“, sagte eine Sprecherin dem Tagesspiegel.

Welche Kritik gibt es an den Aktivitäten dieser Bewegung?

Kritiker bezeichnen die Gülen-Bewegung als einen islamistischen Wolf im demokratischen Schafspelz, der seine Ziele verschleiert. Die Bewegung locke junge, bildungsorientierte Migranten mit säkularen Bildungsangeboten, versuche dann aber ideologisch Einfluss auf sie zu nehmen, heißt es. Einige ehemalige Schüler Gülen-naher Einrichtungen sprechen sogar von „Gehirnwäsche“ und sektenähnlicher Verehrung des Bewegungsgründers. Die Aussagen beziehen sich vor allem auf das Leben in sogenannten Lichthäusern, das sind Studenten-Wohngemeinschaften, die von der Gülen-Bewegung betrieben werden. Dort müssten sich besonders junge Frauen strengen islamischen Regeln unterwerfen, so die Abtrünnigen. Auffällig ist zudem, dass sich Gülen-Organisationen meist nicht als solche zu erkennen geben. Sie heißen „Forum für interkulturellen Dialog e.V.“ (in Frankfurt am Main und Berlin), „Interkulturelles Dialogzentrum e.V.“ (Dortmund), „Süddialog e.V.“ (Baden-Württemberg). Bezüge zu Fethullah Gülen fehlen in den Selbstdarstellungen meist. Viele leugnen aber nicht, von Gülens Ideen zumindest inspiriert zu sein.

Wie stellt sich die Gülen-Bewegung selbst dar?

Einer der führenden Repräsentanten der Bewegung, die sich selbst „Hizmet“ (Dienst) nennt, weist den Verdacht auf radikale oder gar extremistische Tendenzen vehement zurück. „Wir sind eine reformorientierte Bewegung“, sagt Ercan Karakoyun, „wir sind nicht radikal“. Er betont zudem, die Anhänger Gülens seien pazifistisch. Deshalb würden sie sich gegen die Repression in der Türkei, die nach dem Putschversuch die Gülen-Bewegung noch härter trifft als vorher schon, nicht zur Wehr setzen. Das passt zu der betont friedfertigen Eigendarstellung in der Bundesrepublik. Die von Karakoyun geleitete Organisation mit Sitz in Berlin heißt „Stiftung Dialog und Bildung“. Der Untertitel lautet „Ansprechpartner für Hizmet in Deutschland“. Auf der Homepage wird neben einem Abbild Gülens in großen, violetten Buchstaben verkündet, „Wir verurteilen den Putschversuch in der Türkei aufs aller Schärfste!“

Die Rhetorik bewahrt die Gülen-Bewegung allerdings auch in Deutschland nicht vor massiven Anfeindungen durch nationalistische Türken. Karakoyun berichtet von zahllosen Beschimpfungen auf seiner Homepage und bei Facebook. Anhänger Erdogans in der Bundesrepublik verteufeln die Bewegung als terroristisch und rufen zum Boykott von Geschäften auf, die Sympathisanten Gülens zugerechnet werden. In Gelsenkirchen wurden Scheiben eines Jugendclubs eingeschlagen, in Augsburg flogen Steine auf das Gebäude eines Bildungsvereins.

Was sagen Verfassungsschützer?

Der Nachrichtendienst beobachtet die Strukturen der Bewegung in Deutschland nicht. Allerdings vornehmlich aus dem Grund, dass problematische Ansichten Gülens nicht auch einzelnen Vereinen und Institutionen zugeordnet werden können. Außerdem versuchen die Anhänger des Predigers nicht, in der Bundesrepublik öffentlichkeitswirksam als Verfassungsfeinde zu agitieren. Die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung kollidierenden Elemente in der Lehre Gülens fänden „keinen Ausdruck in politisch bestimmten Aktivitäten und Verhaltensweisen, die ziel- und zweckgerichtet darauf ausgerichtet sind, zentrale Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen“, schreibt Baden-Württembergs Verfassungsschutz. Er hatte 2014 angesichts von Fragen aus Politik und Öffentlichkeit geprüft, ob die Gülen-Bewegung beobachtet werden müsse. Auch wenn das in dem 60-seitigen Papier verneint wird, erscheint die Ideologie, die Gülen propagiert, doch zwiespältig. Die Gültigkeit demokratischer Prinzipien messe Gülen „an ihrer Vereinbarkeit mit den Grundprinzipien des Islam und nicht umgekehrt, wie es ein demokratischer Rechtsstaat verlangt“, heißt es.

Was deutet auf Extremismus hin?

Im Bericht werden Zitate Gülens aufgelistet. Eines lautet „Unglaube ist ein viel schwereres Verbrechen als Mord“. Ein weiteres: Der Islam erlaube die Anwendung von Gewalt, „wenn Ungläubige und Polytheisten oder jene, die Unruhe und Korruption auf der Erde verbreiten, dem Predigen des Islam Widerstand leisten und versuchen, seinen Weg der Eroberung des Verstandes und des Herzens der Menschheit zu blockieren“.

Und: „Grundlegende islamische Sachverhalte benötigen keine Rechtfertigung durch moderne wissenschaftliche Fakten, um glaubwürdig zu sein. Wer etwas anderes behauptet, liefert sich der Wissenschaft aus und gibt damit zu, dass er Zweifel an den Wahrheiten des Islam hegt (…) Koran und Hadith sind uneingeschränkt wahr. Wissenschaft und wissenschaftliche Fakten sind solange wahr, wie sie sich mit Koran und Hadith vereinbaren lassen.“ Der Begriff Hadith steht im Islam für überlieferte Sprüche des Propheten Mohammed und die von ihm stillschweigend gebilligten Aussagen seiner Anhänger. Ercan Karakoyun nennt den Bericht des baden-württembergischen Verfassungsschutzes „unfair“. Er unterscheide nicht zwischen alten und neuen Positionen Gülens. Auf eine Klage gegen den Verfassungsschutz sei aber verzichtet worden, „weil der Prozess viele Jahre gedauert hätte“.

Warum hält sich Gülen in den USA auf?

Als Gülen im Jahr 1999 vor Strafverfolgung aus der Türkei floh, ging er in die USA, unter anderem, weil sich der herzkranke Imam dort medizinisch behandeln lassen wollte. Er ließ sich in Pennsylvania nieder, wo er auf einem Anwesen seiner Hizmet (Dienst)-Bewegung zurückgezogen lebt. Aufmerksam wurde in der Türkei seitdem registriert, welcher Politiker am Rande von USA-Besuchen den Gelehrten in Pennsylvania besuchte.

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