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Blut klebt an seinen Händen: Kevin Spacey als Frank Underwood in "House of Cards".

© Netflix

"Homeland", "Borgen", "House of Cards": Wie Polit-Profis von TV-Serien lernen können

Polit-Serien wie "Homeland" oder "House of Cards" zum Verständnis politischer Vorgänge - welche eignen sich besonders? Eine Leseliste.

Kevin Spacey ist überzeugt: 99 Prozent der Handlung von "House of Cards" treffen perfekt die politische Wirklichkeit – wenn auch vielleicht nicht jeder Fraktionschef im Deutschen Bundestag seinen Job so beschreiben würde, wie es Spacey als Frank Underwood tut: "Die Rohre durchzublasen, damit die Scheiße abfließen kann."

Underwood, der es vom Majority Whip der Demokraten im US-Kongress ins Amt des Präsidenten schafft, ist ein Manipulator, Strippenzieher und Zyniker erster Güte. Und trotzdem können Polit-Profis und solche, die es werden wollen, tatsächlich noch viel aus der Serie "House of Cards" lernen. Vorausgesetzt, sie starren nicht nur auf den Bildschirm, sondern lesen die zu den Serien passende Literatur. Das meint jedenfalls Kai Wegrich, Professor of Public Administration and Public Policy an der Hertie School of Governance. Er hat eine Leseliste für all jene zusammengestellt, die sich von Polit-Serien nicht nur unterhalten lassen wollen.

Glaubt man Wegrich, bietet "House of Cards" eine sehr gute Einführung in das US-Regierungssystem, besonders in Kombination mit dem Buch "The Politics of Presidential Appointments: Political Control and Bureaucratic Performance" (Princeton University Press, 2008) von David E. Lewis. "Die Lektüre ermöglicht es, Präsident Underwoods Arbeitsmarktprogramm ,America Works‘ und seinen Umgang mit der Katastrophenschutzbehörde FEMA in einen sinnvollen Zusammenhang zu stellen", erklärt Wegrich.

Intrigen, Machtspiele, Spin-Doktoren

Wer die Besonderheiten des öffentlichen Dienstes in den USA noch besser verstehen wolle, solle auch Hugh Heclos Klassiker "A Government of Strangers: Executive Politics in Washington" (Brookings Institution Press, 1977) lesen. Und "Homeland"-Fans können dazu viel erfahren über die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste in J. Q. Wilsons "Bureaucracy" (Basic Books,1989).

Ebenfalls um Machtspiele und politische Feldzüge dreht sich auch die dänische Serie "Borgen". Wegrich empfiehlt sie nicht nur "wegen ihrer hohen Qualität, sondern auch, weil sie einen speziellen skandinavischen Blick auf die Politik bietet". Hier gehe es nicht nur um einzelne Führungspersönlichkeiten, sondern um Koalitionsbildung und Kompromisse. Wer mehr lernen möchte über die spezielle Politik- und Verwaltungskultur der nordischen Länder, sollte Werner Janns "Die skandinavische Schule der Verwaltungswissenschaft: Neo-Institutionalismus und die Renaissance der Bürokratie" lesen (Politische Vierteljahresschrift 2006, Sonderheft 37).

Zynismus à la "Dr. House" als Form der Personalführung

Politik und Verwaltung finden aber nicht nur auf der großen Bühne statt – sondern auch auf der Straße, betont Wegrich. Die Serie "Dr. House", die zwischen 2004 und 2012 mit Hugh Laurie als Dr. Gregory House zu sehen war, mache die Herausforderungen des öffentlichen Dienstes anhand eines Krankenhauses deutlich. "Interessant wird die Serie vor allem, wenn man den Führungsstil von House aus einer Public-Management-Perspektive betrachtet", meint der Politikprofessor. " Zynismus und Konfliktorientierung sind nicht nur Charaktereigenschaften, sondern auch eine Form der Führung, die auf die Vermeidung von ,Group Think‘ gerichtet ist."

Beachtenswert sei, wie House während eines Assessmentcenters für Positionen in seinem Team dafür sorge, dass die Auswahlkriterien undurchschaubar blieben, sodass die Kandidaten sich nicht auf der Grundlage festgelegter Kriterien vorbereiten könnten. "All das könnte aus einem Public-Management-Handbuch fatalistischer Prägung stammen", wie Christopher Hoods "The Art of the State" (Oxford University Press, 2000).

Auch die mehrfach preisgekrönte Serie "Orange is the New Black", die vom Leben in einem US-Frauengefängnis erzählt, ermöglicht nach Wegrichs Auffassung "exzellentes Material", um "Bewältigungsstrategien öffentlich Bediensteter" zu studieren, die unter schwierigen Bedingungen arbeiten und kämpfen müssen mit "knappen Ressourcen, bürokratischen und widersprüchlichen Regeln, opportunistischen Vorgesetzten und feindseligen Klienten". In Kombination mit Wilsons "Bureaucracy" und Michael Lipskys "Street-Level Bureaucracy" (Russell Sage Foundation, 1979) vermittele "Orange is the New Black" ein "exzellentes Verständnis der Verhaltensmuster der Gefängnisbürokratie". Wer sich noch weiter in das Thema "einsehen" wolle, sollte die Serie "The Wire" schauen. Sie zeige im Kontext der Stadtverwaltung von Baltimore "die Perversionen von Leistungsmessung und -management in unterschiedlichen Bereichen lehrbuchartig auf".

"Yes, Minister": Pflicht für Verwaltungswissenschaftler

Pflichtprogramm für alle Verwaltungswissenschaftler und lohnenswert für Praktiker ist aus Wegrichs Sicht die BBC-Serie "Yes, Minister", die zwischen 1980 und 1988 lief, auch die Nachfolgeserie "The Thick of It" ermögliche, die radikalen Veränderungen im Inneren von "Whitehall", dem Londoner Regierungsviertel, seit den 80er Jahren auf unterhaltsame Weise zu studieren. Das Formate zeige, "wie sich die neue Welt von Spin-Doktoren und Special Advisors auf Politik auswirkt". Die ideale Lektüre hierzu sei "The Politics of Public Service Bargains" von Christopher Hood und Martin Lodge (Oxford University Press, 2006). "Das Buch analysiert in einzigartiger Weise die veränderten Beziehungen zwischen Politikern und Bürokraten, und das nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Deutschland", sagt Wegrich. "Leider fehlt uns hierzulande – noch, hoffe ich – die passende TV-Serie dazu."

Ob Barack Obama sich bereits in diese wissenschaftliche Literatur vertieft hat, ist nicht bekannt. Fest steht aber, dass er Fan von "House of Cards" ist – und als echter US-Präsident weiß er am besten, wie nahe Spacey mit Underwood dem Original kommt.

Der Text erschien in der "Agenda" vom 1. Dezember 2015 - einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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