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Politik: Wie will Rot-Grün das noch schaffen, Frau Göring-Eckardt?

Die Grünen-Fraktionschefin über Reformen, Rentner – und die Amerikaner

Frau GöringEckardt, bleibt der Koalition angesichts der Irak-Krise überhaupt Zeit und Energie für die innenpolitischen Reformaufgaben?

Die müssen wir uns nehmen. Natürlich ist die öffentliche Aufmerksamkeit derzeit sehr auf die Außenpolitik konzentriert. Aber es ist zwingend, dass wir in den innenpolitischen Fragen weiterkommen. Wir haben uns vorgenommen, bis zum Sommer auf drei wichtigen Feldern Gesetzentwürfe vorzulegen: Gesundheit, Rente sowie Arbeitsmarkt und Wirtschaft. Das ist ein ambitioniertes, aber notwendiges Programm.

Belastet die Krise um den Irak Sie als Spitzenpolitikerin?

Da geht es mir als Politikerin wie den meisten Menschen in Deutschland und vielen anderen Ländern. Natürlich berührt mich der Gedanke an die Auswirkungen eines solchen Krieges und seine Folgen für die Menschen im Irak.

Verändert sich in der zugespitzten Krise die Haltung der Deutschen zu Amerika?

Wenn ich mir manche Äußerung von US-Präsident Bush oder Verteidigungsminister Rumsfeld anhöre, verstehe ich einerseits, warum Menschen wütend sind und sich fragen, wie wir mit dieser amerikanischen Regierung noch zurechtkommen können. Auf der anderen Seite glauben offenbar manche, sie müssten mit ganz Amerika brechen.

Machen Sie solche Erfahrungen vor allem in Ihrer eigenen Partei?

Es ist Unsinn, wenn manche behaupten, dieser Anti-Amerikanismus habe seine eigentliche Heimstätte bei den Grünen. Im Gegenteil: Diese Vorurteile finden sie bis weit in konservative Kreise hinein. Wir argumentieren differenziert und sagen mit klaren Worten, dass wir den Weg der Regierung Bush in der Irak-Krise für falsch halten. Aber trotzdem ist das transatlantische Verhältnis grundlegend für deutsche Politik – und das soll auch so bleiben. Wir haben gemeinsame Werte: Demokratie, Freiheit und Menschenrechte. Das ist ein festes Fundament .

Kanzler Schröder hat vor der SPD-Fraktion gesagt, es gehe in einer historischen Entscheidung darum, die drohende Hegemonialstellung einer unilateralen Supermacht USA zu verhindern. Sehen Sie das auch so?

Multilaterales Handeln war immer unser Ziel. Und gleichzeitig muss die transatlantische Partnerschaft weiterhin funktionieren. Der Kanzler hat vor der SPD-Fraktion gesagt: Die hegemonialen Tendenzen der Regierung Bush werden nicht dazu führen, dass die Welt sicherer und stabiler wird. Dem stimme ich voll zu.

Aber hat der Anti-Kriegs-Kurs der Koalition diese Partnerschaft nicht schon irreparabel beschädigt.

Nein, wir führen eine Auseinandersetzung in einer sehr grundsätzlichen Frage, nämlich der von Krieg und Frieden. Aber die US-Regierung hat diesen Streit selbst mit heftigen Worten angeheizt. Ich erwarte nicht, dass deshalb das deutsch-amerikanische Verhältnis in Frage gestellt wird. Man sollte auch nicht vergessen, dass jenseits der politischen Auseinandersetzung die Zusammenarbeit weiter hervorragend funktioniert – etwa im Wirtschaftsaustausch. Auch wenn nun viele Unkenrufe zu hören sind: Diese Bindungen sind sehr stabil, die werden von den derzeit aufwallenden Emotionen nicht wirklich tangiert.

Versuchen die Amerikaner, Europa zu spalten?

Das glaube ich nicht. Ich gehe davon aus, dass jedes Land in Europa und Europa als Ganzes selbstbewusst genug ist, seine Position selbst zu bestimmen und zu vertreten.

Gehört es zur Aufgabenteilung zwischen Gerhard Schröder und Joschka Fischer, dass der Kanzler ohne Absprache und Rücksichtnahme die große Trommel rührt und der Außenminister die Risse nachher zu kitten versucht?

Dass sich Kanzler und Außenminister in der Irak-Politik einig sind, hat doch die Irak-Debatte im Bundestag gezeigt. Beide haben das gleiche Ziel. Man kann die Debatte darüber, wann sich wer angeblich angeschrien oder angelächelt hat, allmählich beenden. An diesem Konflikt war und ist nichts dran. Sorgen macht mir viel mehr die Haltung der Opposition. Frau Merkel schuldet den Menschen noch die Erklärung, warum sie kritiklos Bush hinterher läuft. Das Inspektionsregime funktioniert – bei allen Defiziten – inzwischen gut. Das hat Chefinspekteur Hans Blix im Sicherheitsrat bestätigt. Warum also sollen wir jetzt aufhören? Warum jetzt ein Krieg mit all seinen Folgen für die Stabilität im nahen und mittleren Osten riskieren? Die Union versagt an dieser zentralen Frage.

Die Mehrheit der Bevölkerung findet die Irak-Politik der Koalition richtig. Bei den innenpolitischen Reformen erwartet Sie mehr Widerstand - treibt das die Partner auseinander?

Nein. Uns ist klar: In der Gesundheits-, Renten- und Arbeitsmarktpolitik haben wir sehr unbequeme Entscheidungen zu treffen. Eine der unbequemsten Entscheidungen etwa wird es sein, Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammen zu legen. Das betrifft sehr viel Menschen, mehr als eine Million, bringt manchen Verbesserungen und manchen Verschlechterungen. Der Grundsatz wird sein, dass wir nicht einfach Leistungen ausgeben, sondern auch etwas verlangen. Im Gegenzug bieten wir eine wirkliche Integration in den Arbeitsmarkt an. Wer es nicht annimmt, stellt sich schlechter .

Heißt fordern auch, Sanktionen zu verhängen?

Ja, die gibt es ja auch heute schon. Wir legen Arbeitslosen- und Sozialhilfe nicht nur zusammen, weil wir sparen wollen. Wir wollen fördern und fordern. Wer arbeiten kann, soll ein Angebot bekommen. Gerade die, die lange ohne Arbeit sind, haben doch immer geringere Chancen.

Das riecht nach mächtig viel Streit vor allem innerhalb der SPD, aber auch in der Union. Werden die neuen Machtverhältnisse im Bundesrat einen solchen Systemwandel befördern?

Das hat nicht in erster Linie mit den Machtverhältnissen zwischen Bundestag und Bundesrat zu tun. Entscheidend ist zunächst, dass die Koalition zusammenhält. In allen Reformthemen, die jetzt anstehen, gibt es Bereiche, da ist die Union uns Grünen näher und in anderen der SPD. Wenn wir uns da auf ein Pingpong-Spiel einlassen, sind wir geschwächt. Wir, das heißt die Koalition, werden Vorschläge für Reformen machen und diese mit der Opposition und den Ländern beraten. Die Menschen erwarten zurecht von uns, dass wir die Dinge gemeinsam voran bringen. Und nur so kann es auch zu den notwendigen Veränderungen kommen.

Wozu braucht man die Grünen noch? Kann der Kanzler nicht mit Frau Merkel eine informelle große Koalition eingehen?

Ich halte nicht viel von dem Gerede einer informellen oder faktischen großen Koalition. In beinahe allen Reformthemen, die jetzt anstehen, haben die Grünen weitergehende Vorstellungen als die beiden Volksparteien. Die Senkung der Lohnnebenkosten und die Generationengerechtigkeit sind doch Forderungen, bei denen wir bereits gezeigt haben, dass wir innerhalb der Koalition die Kraft haben, sie auch durchzusetzen. Mittlerweile weiß jeder, dass es nicht damit getan ist, jetzt nur an den verschiedenen Schrauben der Sozialsysteme ein wenig zu drehen. Die Reformen müssen so tief gehen, dass sie über viele Jahre hinweg Wirkung zeigen. Und wir werden da Taktgeber sein.

Beginnen wir mit der Krankenversicherung. Da gehen die Auffassungen zwischen SPD, Rürup-Kommission, Union und Sozialministerin ja schon durcheinander. Wie soll das alles bis zum Sommer überein gebracht werden?

Ich bin zuversichtlich, dass das nicht der Punkt ist. Viel wichtiger ist, dass wir uns bei der Debatte um die Reform immer wieder klar machen, was das Ziel ist. Es muss darum gehen, die Beiträge zu senken. Und zwar spürbar. Ob wir nun innerhalb des bestehenden Systems der Beitragszahlung bleiben oder etwa den Vorschlag von Rürup zu den Kopfpauschalen aufgreifen, ist erst einmal gleichgültig. Ich verspreche mir von dem Rürup-Modell, dass es mehr Freiheitsgrade bietet, bestehende Ungerechtigkeiten zu verändern. Zum Beispiel wäre es sinnvoll, dass man die teils sehr hohen Zuzahlungen beim Zahnersatz extra versichern kann. Die beitragsfreie Mitversicherung von Ehefrauen, die keine Kinder erziehen, ist nicht richtig.

Thema Rentenversicherung. Da sieht es zur Zeit so aus, dass sich die Beitragszahler auf 20 und mehr Prozent einstellen müssen.

Warten wir auch hier erst mal ab, welche Vorschläge die Rürup-Kommission vorlegen wird und ob es dann zu einem Systemwechsel kommt. Wir verfolgen den Gedanken einer Bürgerversicherung, in die alle einbezogen sind. Eines aber steht jetzt schon fest: Wir müssen auch die heutige Rentnergeneration stärker heranziehen, wenn wir die Ausgaben in den Griff kriegen wollen. Um es klar zu sagen: Es geht nicht darum, dass die Rentner künftig auf ihr Stück Kuchen im Cafe am Ku’damm verzichten sollen.

Sie wollen uns auf ein Aussetzen der Rentenanpassung vorbereiten?

Über solche Einzelmaßnahmen rede ich nicht. Aber inzwischen sollte klar sein: Aufgrund der dramatischen demographischen Veränderungen reicht das bisherige Rentensystem nicht mehr, um ein sorgenfreies Leben im Alter zu sichern. Wir brauchen einen höheren Anteil Privatvorsorge und das Einsehen der jetzigen Rentner, dass dieser Prozess an ihnen nicht spurlos vorbeigehen wird. Wir müssen den Rentenbeitrag kurzfristig wieder senken. Der Beitrag zur Rentenversicherung muss bis zum Ende der Legislaturperiode unter 19 Prozent sinken. Das ist das Ziel. Und er muss in den nächsten 30 Jahren deutlich unter 20 Prozent bleiben.

Berechnungsgrundlage der Riesterreform war ein Beitrag von 22 Prozent in 2030.

Das stimmt. Und wir wussten damals schon, dass das nicht reicht. Was die Grünen nicht mehr mitmachen, das sind kleinere Reparaturmaßnahmen, die uns über die nächsten Monate retten.

Genau dieses Bild gibt die Koalition aber zur Zeit ab. Und die nach den Wahlen in der SPD aufflammende Gerechtigkeitsdebatte lässt nicht auf großen Reformmut hoffen.

Umso mehr machen wir Grünen deutlich, dass die seligen achtziger Jahre vorbei sind. Es gibt eben keine gigantischen Umverteilungsmaschinen mehr, in die wir immer noch ein bisschen hineinlegen können, weil wir niemandem weh tun wollen. Nehmen Sie die aktuelle Diskussion um die Neuverschuldung des Staatshaushalts. Da wird schon im Februar darüber gesprochen, ob man nicht die Konjunktur mit kurzfristigen kreditfinanzierten Investitionsprogrammen ankurbeln sollte. Gerade als Ostdeutsche kann ich mich gut daran erinnern, dass solche Programme noch nie erfolgreich waren. Sie sind ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft. Der Staat muss seiner ureigensten Aufgabe nachkommen. Gerecht ist, sich um die zu kümmern, die sich nicht selber helfen können. Gerecht ist, Arbeitslosen eine Chance zu geben. Alle anderen müssen wir befähigen, sich selbst zu helfen. Gleichzeitig muss der Staat mehr Kreativität und Eigeninitiative ermöglichen. Deswegen bin ich sehr froh über die Bereitschaft von DGB-Chef Sommer, jetzt über eine grundlegende Reform des Arbeitsmarktes zu reden, auch über den Kündigungsschutz.

An diesem Ziel sind Sie ja schon bei solchen Peanuts wie der Erhöhung der Dienstwagensteuer gescheitert.

Womit wir es heute zu tun haben, ist eine massive Lobbyisten-Blockade. Und wir müssen lernen, notwendige Reformen auch an den Lobbyisten vorbei durchzusetzen. Ich sage das ganz bewusst an die Adresse der Ärzte-Vertreter und der Pharmalobby: Wenn es nicht mit euch geht, dann werden wir es ohne euch machen.

Woher nehmen Sie angesichts des Umfragetiefs die Zuversicht für eine solch starke Koalition?

Der Erfolg von Rot-Grün hängt davon ab. Wenn wir es nicht schaffen, bis zur Sommerpause . . .

. . . die für das Parlament mit dem Ende der letzten Sitzungswoche am 4. Juli beginnt . . .

. . . wenn wir es nicht schaffen, bis dahin die wichtigsten Reformvorhaben anzuschieben, dann kommen wir in eine sehr schwierige innenpolitische Situation. Ob wir bis Juli unsere Vorschläge in einen Kabinettsentwurf fassen oder einen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen, das hängt davon ab, wo die Union zu Verhandlungen bereit ist. Uns Grünen sind natürlich die Gespräche mit der Opposition im Bundestag am liebsten.

Das Gespräch führten Christian Böhme, Hans Monath und Antje Sirleschtov.

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