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Touristen gerieten zwischen die Fronten bei den Straßenschlachten in Istanbul.

© AFP

Update

Türkei: Polizei setzt erneut Tränengas ein: Wieder Straßenschlachten in Istanbul und Ankara

Die Proteste in der Türkei gegen die konservativ-islamische Regierung gehen unvermindert weiter. Am Wochenende kam es erneut zu Zusammenstößen. Immer häufiger werden die Demonstranten nicht nur von der Polizei attackiert. Droht dem Land ein Rückfall in den Terror der 1970er Jahre?

Auch sechs Wochen nach Beginn der landesweiten Proteste gegen die islamisch-konservative Regierung kommt die Türkei nicht zur Ruhe. Am Samstag setzte die Polizei im Istanbuler Taksim-Viertel, wo die Proteste Ende Mai begonnen hatten, erneut Wasserwerfer, Tränengas und Gummigeschosse gegen friedliche Demonstranten ein. Die Proteste in Ankara und Istanbul dauerten bis in den frühen Sonntagmorgen. Zahlreiche Touristen, die sich in dem wegen seiner Hotels, Restaurants und Läden beliebten Viertel aufhielten, gerieten zwischen die Fronten und flüchteten. Auch aus dem südosttürkischen Hatay und aus der Hauptstadt Ankara wurden Zusammenstöße gemeldet. Dort soll es etwa 100 Verletzte gegeben haben. In sozialen Netzwerken berichteten Aktivisten ebenfalls von vielen Verletzten. Das harte Vorgehen der Polizei löste scharfe Kritik aus.

Immer häufiger werden die Demonstranten, die gegen den autoritären Führungsstil von Ministerpräsident Tayyip Erdogan und seine Islamisierungstendenzen protestieren, nicht nur von der Polizei attackiert. Fernsehbilder zeigten, wie auf der Istanbuler Einkaufsstraße Istiklal Caddesi Männer mit Schlagstöcken auf Demonstranten, aber auch auf Journalisten losgingen. Bereits vergangene Woche waren Demonstranten und Passanten in Istanbul und Ankara von Männern mit Macheten angegriffen worden. Die Polizei sah bei diesen Attacken untätig zu. In Istanbul wurde ein Angreifer zwar später kurzzeitig festgenommen, dann aber wieder freigelassen. Inzwischen hat ein Gericht Haftbefehl erlassen. Der Mann soll sich aber nach Marokko abgesetzt haben, berichten türkische Medien. Über die Identität der Angreifer und ihre Motive gibt es bisher nur Spekulationen: Handelt es sich um Erdogan-Anhänger, um Islamisten oder gar um Polizisten in Zivil?

Die Bilder beginnen jedenfalls an das bürgerkriegsähnliche Chaos Ende der 1970er Jahre zu erinnern. Damals lieferten sich rechts- und linksextreme Gruppen blutige Kämpfe in den türkischen Städten. Fast keine Nacht verging ohne Terroranschläge und Todesopfer. Die Unruhen führten schließlich zum Militärputsch vom 12. September 1980. Auch in den 1980er und 90er Jahren trieben paramilitärische Gruppen und Geheimbünde ihr Unwesen, entführten kurdische Aktivisten und linke Bürgerrechtler, ließen fast 900 Menschen spurlos verschwinden und verübten mehrere tausend politisch motivierte Morde. Die meisten dieser Gruppen hatten Verbindungen zu staatlichen Sicherheitsorganen und Geheimdiensten – man sprach vom „tiefen Staat“.

Solche Verbindungen scheint es auch jetzt zu geben. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls eine Expertengruppe, die den Tod des 19-jährigen Studenten Ali Ismail Korkmaz untersuchten. Korkmaz war am 2. Juni bei einer Demonstration in der zentralanatolischen Universitätsstadt Eskisehir von mehreren Männern mit Baseball-Schlägern angegriffen und zusammengeprügelt worden. Er starb am 10. Juni an seinen schweren Kopfverletzungen. Die Prügelattacke wurde zum Teil von Sicherheitskameras aufgenommen. Nach Feststellung der Expertenkommission fehlen aber in den Kameraaufzeichnungen entscheidende Szenen. Bei den Angreifern mit den Baseball-Schlägern handele es sich vermutlich „um Polizisten in Zivil oder Zivilisten, die im Einvernehmen mit der Polizei handelten“, stellt der Bericht fest. Die türkische Polizei bestreitet Vorwürfe, die Aufnahmen der Überwachungskameras manipuliert zu haben.

Der Verband der Fotojournalisten in der Türkei beklagte, zwischen dem 31. Mai und dem achten Juli seien in Istanbul und Ankara insgesamt 111 Fotojournalisten verletzt oder verhaftet worden. Die Tageszeitung „Hürriyet“ zitierte aus einem Bericht des Verbandes, der dokumentiere, dass die Fotografen vor allem von metallenen Reizgaskapseln und Plastikgeschossen verletzt wurden. (mit dpa)

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