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„Wo soll die Euphorie denn herkommen?“: Merz bereitet CDU auf Koalition mit SPD vor
Ohne Begeisterung stimmt der kleine CDU-Parteitag für Schwarz-Rot. Der Vorsitzende Friedrich Merz verteidigt die Kompromisse – und sieht sich doch mit Ärger über seine Ministerriege konfrontiert.
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Die Unruhe in seiner Partei, die die Koalitionsverhandlungen begleitet hat, spricht Friedrich Merz gleich zu seiner Rede an. „Ich verstehe die Enttäuschung vieler Wählerinnen und Wähler in Deutschland nur allzu gut“, sagt der CDU-Chef zu seiner Kehrtwende bei der Schuldenbremse, doch hätte die internationale Lage ihm „keine andere Wahl“ gelassen. Für diese „Führungsentscheidung“ habe der viel Kritisierte „im übertragenen Sinn einen hohen Kredit in Anspruch genommen“.
Der designierte Regierungschef, der nach einem positiven SPD-Mitgliedervotum in einer Woche zum zehnten deutschen Bundeskanzler gewählt werden könnte, weiß um den Ärger, der in seiner Partei existiert und auch in der Aussprache zum Koalitionsvertrag zum Ausdruck gekommen ist.
Johannes Winkel etwa, der Vorsitzende der Jungen Union, kritisiert, dass er wie in früheren Koalitionen mit der SPD „niemandem wehtut“ – will heißen, dass Kredite zu Lasten der nächsten Generation aufgenommen werden, aber an anderer Stelle kaum gespart wird.
Merz versucht zu erläutern, warum der versprochene Politikwechsel tatsächlich im Koalitionsvertrag steckt. Eine Wirtschaftswende verspricht er. Der US-Regierung von Präsident Donald Trump bietet er an, mit den Zöllen „auf null“ zu gehen und dass technische Standards in Amerika und Europa gegenseitig anerkannt werden sollten. In der europäischen Politik, nicht zuletzt in der Frage der Migration, werde Deutschland fortan nicht mehr „im Bremserhäuschen“ sitzen.
Mit guten Gewissen für den Koalitionsvertrag
Der Kanzlerkandidat versucht den weniger als 200 Delegierten auch zu erklären, warum sich keine Begeisterung einstellen will, obwohl man doch die Wahl gewonnen hat und nach nur dreieinhalb Jahren wieder die Regierung übernehmen kann. „Woher soll die Euphorie denn kommen?“, lautet die rhetorische Frage des Parteichefs, wo doch Union und SPD im Wahlkampf ausdrücklich darauf hingearbeitet hätten, kein Bündnis miteinander eingehen zu müssen.
Dass unser großer Landesverband bei den Ministerämtern komplett leer ausgeht, macht viele bei uns unglücklich.
Aus Kreisen von CDU-Bundestagsabgeordneten aus Niedersachsen
Nun aber habe man sich in den Koalitionsgesprächen „in großer Ernsthaftigkeit“ auf „historische Schritte“ und eine gemeinsame „Pflicht vor unserer Geschichte“ verständigt, um die Probleme des Landes zu lösen und den weiteren Aufstieg der AfD zu verhindern, führt Merz aus. Deshalb könne er „mit gutem Gewissen“ die Zustimmung zum Koalitionsvertrag empfehlen.
Der kleine Parteitag folgt dieser Empfehlung auch mit großer Mehrheit. Der Jubel fällt freilich eher spärlich aus. Es ist vielleicht bezeichnend, dass ausgerechnet Carsten Linnemann den größten Applaus bekommt – weil er nicht in die Regierung wechselt, sondern Generalsekretär der CDU bleibt, also „kein Anhängsel“ der neuen Regierung werden soll.
Unmut über die regionale Unwucht
Das liegt auch daran, dass einige Delegierte, Landesverbände und Vereinigungen der Partei die Präsentation der Ministerriege ziemlich unglücklich verfolgen. Von sieben Ministerinnen und Ministern, die der Nordrhein-Westfale Merz nominiert hat, stammen je zwei aus Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein, eine kommt aus Brandenburg, einer aus Rheinland-Pfalz, der als Digitalisierungsminister vorgesehene Wirtschaftsmann Karsten Wildberger ist gebürtiger Hesse.
Ganz glücklich ist deshalb auch der Düsseldorfer Ministerpräsident Hendrik Wüst nicht – allen Unkenrufen zu einem angeblichen NRW-Überschuss zum Trotz kam nur Jens Spahn als künftiger Fraktionschef zum Zug. Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann war gehandelt worden, nun klagte CDA-Chef Dennis Radtke öffentlich, dass der Sozialflügel der Partei nicht vertreten sei – auch wenn etwa der designierte Außenminister Johann Wadephul diesem angehört.
Vor allem im großen niedersächsischen Landesverband ist der Ärger über die Nicht-Berücksichtigung im Kabinett groß. „Dass unser großer Landesverband bei den Ministerämtern komplett leer ausgeht, macht viele bei uns unglücklich“, heißt es unter CDU-Bundestagsabgeordneten aus Niedersachsen: „Wir kehren jetzt mit leeren Händen nach Hause, das ist ein Problem.“
Hätte Merz allein auf Fachkompetenz gesetzt, wäre eine Nicht-Berücksichtigung der regionalen Ansprüche verständlich gewesen, sagt ein CDU-Abgeordneter. Bei den für Gesundheit und Verkehr nominierten Ministern sei die Expertise aber nicht erkennbar.
Gefordert wird nun, dass die Unterbesetzung bei der Wahl der neuen Fraktionsspitze kompensiert wird. In Parteikreisen heißt es allerdings, der CDU-Europaabgeordnete und frühere Hannoveraner Ministerpräsident David McAllister habe Merz‘ Angebot, Außenminister zu werden, abgelehnt, Fraktionsvize Mathias Middelberg aus Niedersachsen den Staatsminister im Außenamt.
Friedrich Merz aber ficht das an diesem Tag, da die nächste Hürde auf dem Weg zu seiner Kanzlerschaft genommen ist, nicht an: „Ich verabschiede mich hiermit als Vorsitzender der Opposition“, sagt er, als der Bundesausschuss nach nur drei Stunden endet.
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