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Hinweisschild in Passau

© dpa/Lino Mirgeler

Mehr als eine Million Corona-Infizierte: Wo steht Deutschland in der Pandemie?

Am Freitag meldet das Robert-Koch-Institut mehr als eine Million bestätigte Corona-Infektionen seit dem Frühjahr. Die Höchstmarke ist kein Zufall.

Von Robert Birnbaum

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Am Freitag früh sprang der Corona-Zähler auf der elektronischen Anzeigetafel um eine Dezimalstelle weiter: Mehr als eine Million Infizierte hat das Robert-Koch-Institut (RKI) seit dem Frühjahr amtlich registriert. Wie viele Deutsche sich das Virus wirklich eingefangen haben, ist unklar; die Dunkelziffer der Symptomlosen lässt sich nach wie vor nur grob schätzen. Die Höchstmarke – genau sind es 1.00.6394 – wird aber nicht ganz zufällig jetzt durchbrochen.

Denn der Verlauf der Pandemie zeigt ein geradezu klassisches Muster.

Seit das neue Virus am 28. Januar zum ersten Mal in Deutschland bei einem Mitarbeiter der Firma Webasto nachgewiesen wurde, folgt auf eine erste Welle die viel stärkere zweite. Für Epidemiologen war das keine Überraschung. Sie hatten es genau so vorhergesagt: Im ersten Anlauf setzt sich das Virus nur in Hotspots fest. Inzwischen ist es breit gestreut. Immer mehr Bürger fangen sich Corona ein, auch solche, die eigentlich vorsichtig sind.

Die Ausbreitung wird begünstig dadurch, dass viele Menschen die Infektion gar nicht bemerken und die anderen zu spät. Sars-Covid-19 ist ausgerechnet in den Tagen vor den ersten Symptomen besonders ansteckend. Darum hecheln selbst ausgefeilte Teststrategien der Ausbreitung praktisch immer hinterher. Dieses tückische Infektionsmuster ist ein entscheidender Unterschied etwa zur Grippe.

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Der gemäßigte Lockdown seit Anfang November hat verhindert, dass die zweite Welle sich exponentiell zum Tsunami auftürmt. Doch auf diesem Plateau bleiben die Tageszahlen mit 22.806 Neuinfizierten sehr hoch. Der aktuelle R-Wert bestätigt den Stillstand: Er liegt etwa bei 1, jeder Infizierte steckt im Schnitt also einen weiteren an.

Nur noch wenige Landkreise sind nicht Problemgebiet

Ein zweiter zentraler Messwert, die Sieben-Tage-Inzidenz der Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner in einer Woche, liegt bundesweit im Schnitt jetzt bei 136. Im letzten RKI-Lagebericht fanden sich nur fünf Kreise unter dem 25er-Wert, ab dem erste zusätzliche Maßnahmen angezeigt sind. Höchstwerte melden der Landkreis Hildburghausen in Thüringen mit 629 und die niederbayerische Stadt Passau mit 439 Fällen in einer Woche.

Einen neuen traurigen Rekordwert registrierte das RKI auch bei den Toten. Zwischen Donnerstag und Freitag starben 426 Menschen mit Covid-19. Insgesamt sind bisher 15.586 Menschen dem Virus zum Opfer gefallen, knapp 700.000 gelten als genesen. Die Zahl, die zur Million fehlt, beschreibt die aktuell Infizierten: Rund 300.000 Menschen, auch das ein Höchstwert.

Schon diese Tagesdaten lassen erahnen, dass die Lage deutlich ernster ist als im Frühjahr. Zwei weitere Zahlen belegen das noch klarer. Das Intensivbetten-Register meldete am Freitag, dass von den insgesamt rund 22.000 Betten auf Intensivstation noch rund 5300 frei waren. Corona-Patienten belegten 3854 Betten; 60 Prozent müssen dort beatmet werden. Im Frühjahr waren es selbst auf dem Höhepunkt gut 1000 Patienten weniger.

Die zweite Welle kommt bei den Älteren an

Dazu steigt der Anteil der über 60jährigen an den Infizierten weiter. In dieser Altersgruppe liegt die Sieben-Tage-Inzidenz derzeit bei etwa 110, nicht allzu weit vom Gesamtdurchschnitt.

Für die Kliniken heißt das: Es wird immer schwieriger. Denn obwohl viele anfängliche Vermutungen über das Virus sich als falsch erwiesen, ein Zusammenhang ist inzwischen gut belegt: Je älter ein Covid-19-Patient ist, desto größer sein Risiko, schwer zu erkranken und zu sterben. Und je länger eine Infektionswelle läuft, desto mehr Alte trifft sie.

Doch mit der Gesamtzahl der Todesfälle steigt natürlich auch die Zahl der Jüngeren, die schwere Infekte nicht überleben. Durchschlagend wirksame Medikamente gibt es nach wie vor nicht, auch wenn die Forschung daran weltweit kaum weniger intensiv vorangetrieben wird als die Suche nach Impfstoffen. Hoffnungsträger wie Remdesivir erwiesen sich als weniger wirksam als gedacht.

Um so lauter vernehmbar war das Aufatmen selbst in der nüchternen Wissenschaftsszene, als das Pharma-Duo Biontech aus Mainz und Pfizer aus den USA als erste einen Durchbruch mit ihrem Impfstoff meldete. Inzwischen sind zwei weitere Präparate offensichtlich auf der Zielgeraden.

Impfen von Millionen Menschen dauert

Eine zweite gute Nachricht ging dabei fast unter. Es mehren sich Studien, die nahelegen, dass man gegen das Virus für längere Zeit immun werden kann. Das ist alles andere als selbstverständlich. Nach einer Impfung gegen das Aids-Virus HIV sucht die Forschung noch nach Jahrzehnten vergeblich.
Doch bis so viele Menschen geimpft sind, dass Sars-Cov-19 keine neuen Opfer mehr findet, vergehen Monate. Und vorher erlischt die Pandemie nicht.

Eine Million Infizierte sind viele. Für eine Herdenimmunität reicht der Anteil derer, die wahrscheinlich jetzt immun sind, bei 80 Millionen Deutschen trotzdem noch lange nicht aus.

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