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Bundeskanzler Olaf Scholz verteidigt seine SPD rigoros.

© Imago/Emmanuele Contini

Würden Panzer einen „kalten Frieden“ gefährden?: Die ungeklärten Rätsel des Olaf Scholz

Dass Panzerlieferungen womöglich einen Atomkrieg auslösen könnten, wirkt wie ein gezieltes Angst-Argument des Kanzlers. Steckt anderes dahinter? Ein Kommentar.

Als Juso wetterte Olaf Scholz Anfang der 1980er Jahre gegen den Nato-Doppelbeschluss, der den damaligen SPD-Kanzler Helmut Schmidt an seiner eigenen Partei scheitern ließ. Heute ist er selbst Kanzler – und wieder gibt es in einer elementaren Rüstungsfrage Probleme mit der Partei. Das bringt Scholz in eine brenzlige Lage.

Er hat dem „Spiegel“ ein bemerkenswertes Interview gegeben. Am interessantesten ist darin die rigorose Verteidigung seiner Partei. Scholz spricht von Verleumdung, vergleicht die Kritik an der bisherigen SPD-Russlandpolitik mit der Hetze gegen die Sozialdemokratie in Adenauers Zeiten.

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Eine Aufarbeitung sei nicht nötig – und dass Nord Stream 2 ein Fehler war, will ihm auch nicht über die Lippen kommen. Das kommt an bei den Genossen. Scholz schließt gezielt die Reihen nach innen, um sich einen gewissen Handlungsspielraum als Kanzler zu bewahren.

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In der SPD gibt es teils große Bedenken gegen die Lieferung schwerer Waffen aus Deutschland, was aber auf keinen Fall mit einem zu russlandfreundlichen Kurs gleichgesetzt werden sollte. Ein Gerhard Schröder, der seine russischen Lobbytätigkeiten jetzt nochmal in der „New York Times“ verteidigte und sich erneut nicht von Wladimir Putin distanziert hat, ist weitgehend isoliert in der Partei.

Im Kanzleramt haben sie bei der Frage nach der Lieferung schwerer Waffen natürlich nicht nur die Stimmung in der SPD im Blick, sondern vor allem die im Volk. Und die ist mitnichten so klar, wie es im politischen Berlin den Anschein hat.

Dass Scholz nun aber besonderen Beifall auch von der AfD bekommt, sollte ihm zu denken geben. Er selbst sagt, dass er auf Umfragewerte in einer Lage, für die es kein Lehrbuch gebe, keinerlei Rücksicht nehmen könne. Das stimmt.

Dass er dennoch nicht entschlossener handelt, wird in der Ukraine und bei den westlichen Partnern aufmerksam registriert und dürfte den außenpolitischen Schaden noch vergrößern: Ein Kanzler der größten Nation in Europa, der zögert, bremst, schafft kein Vertrauen – zumal die Regierung, aus guten Gründen, auch einen sofortigen Stopp von russischen Gas- und Öllieferungen nicht für machbar hält.

Aber: Wenn man sich die Sache genauer anschaut, ist Deutschland bei den Waffenlieferungen bereits sehr aktiv und handelt im Einklang mit den Nato-Partnern. Berlin hat allerdings das Problem, dass die Bundeswehrreserven sehr gering sind.

Keine deutschen Kampfpanzer für die Ukraine?

Scholz argumentiert indirekt, dass Deutschland lieber keine deutschen Kampfpanzer liefern solle, um nicht das Risiko eines Atomkriegs mit Russland zu erhöhen. Das wirkt jedoch auch für Experten wie ein vorgeschobenes Angstmacher-Argument: Der Militärhistoriker Sönke Neitzel nennt es sogar schlicht „Quatsch“. Nach dieser Logik dürfte kein Nato-Staat schwere Waffen liefern – was aber nun gemeinsam in größerem Stil geplant wird. Im Zweiten Weltkrieg führten Waffenlieferungen vor allem der USA zur Niederlage Hitler-Deutschlands.

Slowenien etwa will T-72-Panzer an die Ukraine liefern und soll dafür den Schützenpanzer Marder und den Radpanzer Fuchs aus Deutschland bekommen. Warum dieser Ringtausch geht, es aber für die Ukraine bisher keine Panzer gibt, da die Bundeswehr blank sei, ist eins der ungeklärten Rätsel des Olaf Scholz.

Denn das Argument, dass die Panzer erst überholt werden müssen und Slowenien nur schrittweise als Ersatz geliefert werden, wird dadurch entkräftet, dass der Rheinmetall-Konzern jetzt den Antrag gestellt hat, der Ukraine zeitnah 100 generalüberholte Marder-Panzer plus 88 Leopard-Panzer liefern zu wollen – und zu können. Recht hat aber Scholz damit, dass bisher kein westliches Land eigene Kampfpanzer liefert.

Russlands Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzler Olaf Scholz im Kreml, neun Tage vor Kriegsbeginn.
Russlands Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzler Olaf Scholz im Kreml, neun Tage vor Kriegsbeginn.

© Mikhail Klimentyev/Russian President Press Office/Sputnik/dpa

Aber der Druck ist so groß, dass Deutschland dem Unternehmen Krauss-Maffei-Wegmann nun gestatten will, knapp drei Dutzend Gepard-Flugabwehrpanzer zu liefern – es könnte nicht die letzte Richtungsänderung des deutschen Kurses gewesen sein, siehe die Rheinmetall-Anträge für Panzerlieferungen an die Ukraine.

Was Scholz öffentlich nicht sagt, was aber vielleicht die hauptsächlichen Beweggründe für sein Zögern sind: Im Kanzleramt und der SPD lebt der Glaube fort, dass mit dem russischen Präsidenten trotz seines Krieges eventuell eine Art „kalter Friede“ verhandelt werden könne. Das soll heißen, dass Ukrainer und Russen unter anderem mit deutscher Vermittlung ein Abkommen schließen könnten.

Das Codewort in Berlin dafür lautet „Minsk minus“. Trotz aller Gegenwehr könnte die Ukraine am Ende womöglich die östlichen Gebiete im Donbass verlieren. Und es könnte zu einer russischen Landverbindung zur annektierten Krim kommen.

Aber der Kanzler betont, es werde niemals Verhandlungen über die Köpfe der Ukrainer hinweg geben. Deutschland will – so sein Ansatz – nur die Diplomatie mit Blick auf einen Waffenstillstand unterstützen.

Hofft man auf einen kalten Frieden, eine Art „Minsk minus“?

Will sich Scholz also in Tradition der Minsker Verhandlungen einen Spielraum erhalten, um auf Putin einzuwirken, damit ein Abkommen vermittelt werden kann, das den Krieg stoppt und die Rest-Ukraine dann vielleicht im weiteren Verlauf so hochgerüstet werden könnte, um einen weiteren Überfall zu vermeiden?

Gemäß dieser Logik wäre es kontraproduktiv, wenn 77 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in der Ukraine deutsche gegen russische Panzer rollen. Eine weitere, ganz andere Sorge ist, dass die Ukraine bei einer massiven Aufrüstung versuchen könnte, die östlichen Gebiete und die Krim zurückzuerobern – und dies dann zu einem Atomschlag Moskaus führen könnte.

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Doch Scholz irrt, wenn er noch an die Chance von Verhandlungslösungen glaubt – für die Kritiker seines Kurses ist es der fortgesetzte Grundirrtum der deutschen Russlandpolitik. Putin wird nicht Halt machen, wenn er nicht militärisch gestoppt wird. Keine Partei hat das in Deutschland so verstanden wie die Grünen, die immer wieder vor Putin und dem Konzept „Wandel durch Verflechtung“ gewarnt haben.

Dieses Konzept gipfelte in der Ostseepipeline Nord Stream 2, als die Krim schon annektiert war. Und rein völkerrechtlich wird man nicht Kriegspartei, wenn man auch direkt schwere Waffen liefert. Aber das dürfte Putin am Ende ohnehin für sich selbst definieren.

Scholz und sein außenpolitischer Berater Jens Plötner sind tief geprägt von dem Denken, dass es immer eine Verhandlungslösung geben kann, auch mit Verbrechern. Aber Putins wahres Gesicht schließt das eigentlich aus.

Die Freiheit Europas wird gerade von der Ukraine verteidigt. Es geht hier nicht nur um moralische Verantwortung, sondern um die Sicherheitsinteressen aller. Es geht darum, dass die Grenzen nicht gewaltsam von einem Neoimperialisten verschoben werden.

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Die rote Linie definiert Putin, nicht der Kanzler

Und keiner weiß, wo Putins rote (Atom-)Linie ist. Die definiert er ohnehin selbst. Deshalb könnte es müßig sein, sich von solchen Überlegungen zu stark leiten zu lassen.

Zwar stellt sich FDP-Chef Christian Lindner demonstrativ hinter den abwägenden Kurs von Scholz, zudem soll ein Antrag der Union auf die Lieferung von deutschen Panzern im Bundestag durch einen eigenen Antrag der Ampel-Koalition gekontert werden. Aber die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), verschärft ihre Kritik am Kanzler weiter – und der große Beifall für sie beim FDP-Parteitag sollten Scholz und der SPD eine Warnung sein.

„Nach wie vor muss man das Kanzleramt treiben. Ich bedauere das, weil es besteht keine Zeit mehr“, sagte sie in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“. Indirekt stellt sie Scholz' Kanzlerfähigkeiten infrage: Ein so großes Land wie Deutschland müsse in dieser Situation führen. Wer diese Rolle nicht annehmen wolle, sei möglicherweise im falschen Moment am falschen Platz.

Ein Schützenpanzer der Bundeswehr vom Typ Marder, die Ukraine hätte sie gerne in großer Zahl.
Ein Schützenpanzer der Bundeswehr vom Typ Marder, die Ukraine hätte sie gerne in großer Zahl.

© picture alliance/dpa

Der Antreiber in Sachen Lieferung schwerer Waffen in der Bundesregierung ist Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne). Scholz bewegte sich – auch wegen des Drucks von Grünen und FDP – zuletzt Stück für Stück: Noch vor Ostern war so etwas wie der Ringtausch kaum denkbar.

Die Ukraine will auch Marder- und Leopard-Panzer

Klar ist, dass die östlichen Nato-Partner nur begrenzt Panzer wie das T-72-Modell sowjetischer Bauart an die Ukraine liefern können. Wenn für die slowenischen Soldaten eine Marder-Ausbildungszeit von sechs bis acht Wochen veranschlagt wird, stellt sich die Frage: Warum nicht jetzt schon in Deutschland oder Polen ukrainische Soldaten an Marder-Panzern ausbilden und parallel versuchen, schnellstmöglich nicht im Einsatz befindliche Marder wieder fit zu machen?

Der Rheinmetall-Konzern hat in Niedersachsen jene rund 100 ausrangierten Marder-Panzer stehen. Über eine Lieferung an die Ukraine muss nun der Bundessicherheitsrat entscheiden, ebenso über die Lieferung von 88 Leopard-Panzern.

Und das bringt Scholz richtig in die Bredoullie: Spätestens hier wird der Kanzler bekennen müssen, ob er auch zur Lieferung von Kampfpanzern bereit ist. Das Ganze ist hochkomplex, einfache Antworten gibt es nicht. Das fängt schon damit an, dass die Schweiz – der Neutralität verpflichtet – offensichtlich die Ausfuhr der notwendigen Marder-Munition verweigert. Wird der Wunsch der Ukraine vom Kanzler abgelehnt, könnte es seine Koalition zerreißen. Wie Scholz sagt: Für diesen Krieg und die daraus resultierenden Krisen gibt es kein Lehrbuch.

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