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Imam mit Gläubigen.

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Islam und Islamismus in Deutschland: Wer nicht unterscheidet, ist Teil des Problems

Viele Deutsche schaffen es immer noch nicht, zwischen einer Religion und einer menschenverachtenden Ideologie zu trennen. Das hat verheerende Folgen.

Sebastian Leber
Eine Kolumne von Sebastian Leber

Stand:

Seit dem Anschlag in Magdeburg häufen sich die rassistischen Übergriffe auf Migranten. Im Durchschnitt wird dort jeden Tag ein Migrant körperlich angegriffen oder schwer bedroht – vor allem solche, die für arabisch oder muslimisch gehalten werden.

Unbekannte werfen auch anonyme Drohschreiben in Briefkästen ein. „Deutschland den Deutschen“, steht da und darunter in arabischer Sprache: „Kehren Sie in Ihr Heimatland zurück!“

Dass es sich beim mutmaßlichen Täter Taleb al Abdulmohsen gar nicht um einen Muslim, sondern um einen fanatischen Islamhasser handelt, spielt dabei keine Rolle oder wird schlicht geleugnet.

Im Gegenteil verbreiten Aktivisten den Verschwörungsglauben, al Abdulmohsen sei in Wahrheit ein Islamist, der sich lediglich als Islamhasser getarnt habe, um seine Ziele zu erreichen. Was als krude Behauptung in der Bubble der Rechtsextremen begann, hat es inzwischen bis in den Mainstream geschafft, und zwar auch außerhalb Sachsen-Anhalts.

Das zeigt ein weiteres Mal, wie weit verbreitet, ja allgegenwärtig die Ressentiments gegen den Islam und gegen Muslime in Deutschland sind. Laut Bertelsmann-Stiftung ist jeder zweite Bundesbürger islamfeindlich eingestellt. Jeder Dritte möchte, dass Muslime ihren Glauben in Deutschland nur eingeschränkt ausüben dürfen.

Islamophobie und Muslimfeindlichkeit haben diverse Ursachen. Eine, die gern übersehen wird, ist das jahrzehntelange Versagen der deutschen Mehrheitsbevölkerung, zwischen Islam und Islamismus zu trennen.

Auf einen Islamisten kommen 185 Muslime

Beim Islamismus handelt es sich um eine aggressive, menschenverachtende und freiheitsraubende Ideologie, die Demokraten zu Recht ablehnen. Spielarten dieser Ideologie rechtfertigen den Einsatz von Gewalt, was bereits zu zahlreichen Morden führte und Mitbürger in Lebensgefahr bringt. Der Islamismus stellt eine Gefahr für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung dar, und selbstverständlich muss der Rechtsstaat diesen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen. Laut Verfassungsschutz hängen landesweit etwa 27.000 Menschen islamistischen Weltbildern an.

Beim Islam handelt es sich dagegen um eine Religion, an die in Deutschland mehr als fünf Millionen Menschen glauben. Sie ist genauso kraftspendend, haltgebend und tröstlich wie zum Beispiel das Christen- oder das Judentum. Natürlich auch genauso streit- und kritisierbar.

Auf einen Islamisten kommen in Deutschland 185 Muslime, die mit Islamismus überhaupt nichts zu tun haben und auch nichts zu tun haben wollen.

Wer Schuld an der Unschärfe hat

Leider werden Islam und Islamismus trotz der fundamentalen Unterschiede immer wieder in einen Topf geworfen. Ich kenne in Deutschland keinen Muslim, der sich nicht schon gegen den Verdacht wehren musste, verkappter Islamist zu sein. Für viele gehört dieser Verdacht zum Alltag. Das ist so, als würde man jeden Motorradfahrer für einen Hells Angel halten und jeden Sportler für einen Dopingsünder.

Schuld an dieser Unschärfe sind einerseits die Populisten und Rechtsradikalen. Sie wollen Ängste in der Mehrheitsbevölkerung schüren und die Gefahr, der Islamismus könne sich in Deutschland ausbreiten, bewusst stark überzeichnen.

Gleichzeitig haben aus meiner Sicht auch viele Bürgerliche, Linksliberale und Linke zur Unschärfe beigetragen. Sie scheuten sich lange, Islamismus als die menschenverachtende Ideologie zu benennen, die er nun einmal ist. Oft geschah dies aus einer – in diesem Fall völlig unangebrachten – Sorge heraus, Religionsfreiheit einzuschränken. Diese falsche Toleranz gegenüber der Intoleranz hat Schaden angerichtet.

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Hinzu kommen die vielen Ignoranten, die es einfach nicht besser wissen und kein Interesse zeigen, sich zu informieren. Man erkennt sie zum Beispiel daran, dass sie behaupten, der Islam sei per se mit einer Demokratie unvereinbar. Das ist unwahr und eine Unverschämtheit.

Nun glauben Christen, Muslime und Juden bekanntlich an denselben Gott, nämlich jenen, der erstmals im Judentum beschrieben wurde. Nehmen wir aber als Gedankenexperiment einmal an, es würde sich um drei unterschiedliche Götter handeln. Dann wäre klar, dass im Laufe der Menschheitsgeschichte sehr viel mehr Verbrechen im Namen des christlichen Gottes begangen wurden als im Namen Allahs (am wenigsten übrigens im Namen des jüdischen Gottes). Die meisten Entrechtungen, Diffamierungen und Morde geschahen also im Namen des Christengotts. Auch diese Wahrheit wird gern übersehen, wenn Mehrheitsdeutsche über den Islam geifern.

Ein beliebtes Hobby islamophober Deutscher ist das Zitieren brutaler Koranstellen. Meist kennen diese Leute die Bibel nicht. Oder glauben, man müsse die Bibel ja nicht wörtlich auslegen, den Koran aber schon.

Wer Menschen aufgrund ihrer Religion diskriminiert, verdient Verachtung und massiven Widerspruch. Und er stellt sich letztlich – genau wie die Islamisten – gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung.

Leider kommen viele Täter damit durch. Sie wissen: Angegriffenen Muslimen eilt im Zweifel niemand zur Hilfe. Das muss sich ändern. Denn nehmen wir unsere eigenen Werte ernst, ist es unsere Aufgabe, Muslime vor Diskriminierung zu schützen und aktiv Partei für sie zu ergreifen.

Druck aus verschiedenen Richtungen

Schutz benötigen die Betroffenen übrigens nicht nur vor den Islamhassern, sondern auch vor Islamisten. Denn Letztere bedrohen demokratische Muslime, schauen auf sie herab, versuchen diese zu manipulieren und auf ihre Seite zu zwingen.

Unterstützung verdienen auch muslimische Initiativen, die das Problem des Islamismus offensiv benennen und in der eigenen Community aufklären. Besonders couragiert und furchtlos tut dies etwa der Verein „Alhambra Gesellschaft“. Es ist schwer zu begreifen, dass seine Gründungsmitglieder Eren Güvercin und Murat Kayman nicht längst mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurden.

Und vor allem: warum sich solche Zusammenschlüsse von einer Mini-Projektförderung zur nächsten hangeln und ansonsten ehrenamtlich arbeiten müssen. Gerade sie verdienen eine Strukturförderung, zum Beispiel durch das Innenministerium, damit sie eine langfristige Perspektive bekommen.

Bezeichnenderweise werden sogar Initiativen wie die „Alhambra Gesellschaft“ mit bizarren muslimfeindlichen Verschwörungstheorien überzogen. Etwa der Behauptung, sie tarnten sich bloß, um heimlich dem Islamismus Vorschub zu leisten.

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