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Bundeskanzlerin Angela Merkel (l, CDU) verlässt ihren Platz neben Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD, nachdem sie im Bundestag bei der Regierungsbefragung die Fragen der Bundestagsabgeordneten beantwortet hat. Ein Hauptthema sind die Oster- und Lockdown-Beschlüsse der Bund-Länder-Konferenz zu der Corona-Pandemie.

© Kay Nietfeld/dpa

Zu wenig Mut und Autonomie: Die Methode Merkel ist gegen die Wand gefahren

Einen solchen Auftritt der Kanzlerin hat die Republik noch nicht gesehen. Der Tag offenbart die Hilflosigkeit der Verantwortungsträger. Ein Kommentar.

Es kocht im Land, es ist genug. Die Empörung hat selbst die Bedächtigsten erfasst – und die Kanzlerin hat es in letzter Sekunde erkannt. Und gehandelt. Nun ist zwar die Stimmung erst recht am Boden, der sarkastische Spott über das Hin und Her der Regierenden treibt noch buntere Blüten. Aber wenigstens eine Fehlentscheidung wurde prompt korrigiert, eine veritable Osterunruhe vermieden.

Ist es der bessere Weg? Ja, es ist besser, Fehler schnell zu bereinigen, als aus Prinzip an Entscheidungen festzuhalten. Insofern war dieser Mittwoch auch ein Crashkurs für ein Land, das nicht gerade von einer gesunden Fehlerkultur geprägt ist.

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Merkels Vier-Minuten-Rückzieher verdient also Respekt. Einen solchen Auftritt der Kanzlerin hat die Republik noch nicht gesehen. Und doch offenbart der Tag auf erschütternde Weise die Hilflosigkeit der politischen Verantwortungsträger. Auch darin liegt etwas Historisches. Denn an das Grundproblem der deutschen Pandemiebekämpfung wagen sich die Kanzlerin und der sie stützende Apparat immer noch nicht heran.

Angela Merkel und die Ministerpräsidenten verlaufen sich im Mikromanagement

Ein Fehler war nicht allein die nächtliche Einführung von zwei neuen Ruhetagen, ohne die Konsequenzen durchdacht zu haben. Der fundamentale Fehler liegt vielmehr in einem Regierungshandeln, das am Mittwoch gegen die Wand gefahren ist: die Methode Merkel.

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Es ist eine Führung, die gleichzeitig zu viel und zu wenig will, die gleichzeitig zu groß und zu kleinkariert denkt. Die das Land mit groben Maßnahmen vor der größten Bedrohung seit dem Krieg retten will und sich doch immer wieder im Mikromanagement verläuft. Eine Methode, die Entscheidungen verlangsamt, Risiken scheut und die Sicherheit in einer Bürokratie sucht, die immer neue Verordnungen ausspuckt.

Und dabei auf fatale Weise die Prioritäten der Pandemiebekämpfung vernachlässigt hat: den Schutz der Alten, die rasche Beschaffung von genügend Impfstoff und eine wirksame Teststrategie.

Noch immer geht es in den Bund-Länder-Konferenzen um das Klein-Klein des Öffnungsmanagements statt um eine große nationale Anstrengung zum Impfen und Testen. Noch immer gibt es keine klaren Vorgaben für die Tests in den Schulen. Noch immer gibt es keine Unterstützung täglicher Tests für Betriebe, die sich das nicht leisten können. Und noch immer wissen Hausärzte nicht, wie sie an den Stoff herankommen, den sie in wenigen Tagen verimpfen sollen.

Es fehlt der Mut zur Autonomie, zum Experimentieren mit ungewöhnlichen Maßnahmen

Diese Pandemie ist nicht allein durch rigide Vorgaben aus Berlin zu bewältigen, sondern mit dem Mut zur Autonomie, zum Experiment und zu ungewöhnlichen Maßnahmen, wie etwa in Tübingen oder Rostock.

Dazu gehört auch der Wille, den Kreisen mehr Freiheit zu erlauben, die Erfolge beim Pandemiemanagement vorzuweisen haben. Ebenso wenig ist die Krise allein durch den Staat zu bewältigen. Israel und die USA machen vor, wie beim Impfen Staat, Pharmakonzerne und privates Impfmanagement zusammenwirken.

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Die Methode Merkel dagegen ist die Gewöhnung eines ganzen Landes an mangelnde Selbstständigkeit. An ein staatliches Fürsorgeprinzip, das so nicht gelingen kann. An einen bürokratischen Verhau, in dem man sich nur verheddern kann. Dies begünstigt zu haben, ist der eigentliche Fehler der Kanzlerin: Vor allem dafür müsste sie sich entschuldigen. Bei aller Achtung für ihren Auftritt am Mittwoch.

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