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Horst Köhler auf einem Foto aus dem Jahr 2007.

© Imago/Photothek/Thomas Koehler

Zum Tod von Altbundespräsident Horst Köhler: Er war ein politischer Mensch, aber kein Politiker

Gerade erst. Vor Kurzem noch. Jedenfalls schnurrt so die Zeit zusammen angesichts der Nachricht: Der frühere Bundespräsident Horst Köhler ist tot. Er starb im Alter von 81 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit.

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Gerade erst wirkte er fit, rege, vital, in jeder Hinsicht. Hörte zu, dachte mit, sortierte die Zeitläufte, national wie international. Und sorgte nebenbei für Wasser und Wein. Ein Gastgeber, wie er im Buche steht. Er verstand sich auf Benimm.

Vor Kurzem noch entstieg er dem Schlachtensee nach morgendlichem Schwimmen mit seiner Frau Eva Luise, freundlich grüßend, fröhlich. Ein Mann in schwarzer Badehose. Ein Präsident? Ach ja. Aber er bestand nicht darauf. Bescheidenheit war seine Zier. Er verstand sich doch auf Benimm.

Horst Köhler war am 23. Mai 2004 zum Staatsoberhaupt gewählt und fünf Jahre später im Amt bestätigt worden. Am 31. Mai 2010 trat er überraschend zurück. Warum? Auch weil andere den Benimm vermissen ließen, ihn stehen ließen, als er dachte, sie gingen an seiner Seite.

Vorwürfe trafen Köhler schwer

Ein Rücktritt mit sofortiger Wirkung nur ein Jahr nach der Wiederwahl – das hatte es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben. Auslöser war ein Interview im Deutschlandradio Kultur, das Köhler auf dem Rückflug nach einem Besuch deutscher Soldaten im afghanischen Masar-e-Scharif gegeben hatte.

Köhler begründete dabei Auslandseinsätze der Bundeswehr auch mit der Wahrung deutscher Wirtschaftsinteressen. Viele gingen ihn deshalb sehr hart an. Es wurden ihm Anflüge einer Kanonenbootpolitik wie unter Kaiser Wilhelm vorgeworfen und er habe so auch den Afghanistan-Einsatz gerechtfertigt.

Das hat ihn sehr getroffen. Köhler widersprach, wartete auf eine glasklare Verteidigung durch die Regierung. Und wartete nicht länger. Er sah durch die Kritik sich und das Amt beschädigt; er ging. An seiner Seite Eva Luise.

Berlin, 31. Mai 2010: Zusammen mit seiner Frau Eva Luise gibt der damalige Bundespräsident Horst Köhler im Schloss Bellevue seinen Rücktritt bekannt.

© dpa/Wolfgang Kumm

Benimm war das eine, das er bot und erwartete und das ihn bestimmte. Das andere war seine, ja doch, Empfindlichkeit. Und „ehrenkäsig“ war er, wie der Schwabe sagt, der Köhler geworden war.

Geworden war, weil seine Jugend von Flucht und Neubeginn geprägt wurde. Das siebte von acht Kindern eines bessarabischen Bauern kam über Polen, Leipzig und West-Berlin ins Lager nach Backnang und fand dann seine Heimat in Ludwigsburg. Man hörte es.

Auf Ehre bedacht – und ein politischer Mensch, aber kein Politiker, schon gar kein ausgefuchster Parteipolitiker. Das war eine neue Mischung, ungewohnt für die selbst ernannte politische Klasse, aber auch für ihn. Alles war plötzlich hochpolitisch, und er als Figur ebenso.

Der Wirtschaftswissenschaftler hatte Erfahrung, nur eben von einer anderen Warte. Er war Beamter, 1990 Staatssekretär im damals von Theo Waigel geführten Bundesfinanzministerium. Köhler wurde sehr wichtig in der Deutschen Einheit – er handelte unter anderem den Maastricht-Vertrag über die Europäische Währungsunion aus.

1993 dann der Wechsel: zunächst als Präsident des Sparkassen- und Giroverbandes, dann als Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London, zuletzt als Chef des Internationalen Währungsfonds.

Nachfolger von Johannes Rau

Dass Köhler als Nachfolger von Johannes Rau neunter Bundespräsident wurde, war dennoch Parteipolitik. Die FDP unter Guido Westerwelle wollte Wolfgang Schäuble nicht – Angela Merkel kam das zupass. Schäuble mit seiner Gabe der Rede wäre ihr politisch zu mächtig geworden.

Ein solcher Redner war Köhler nicht, und eine politische Hausmacht fehlte ihm. Aber er war eben doch politisch, mehr als der Regierungskoalition bisweilen lieb war.

Köhler weigerte sich 2006 erst das Gesetz zur Privatisierung der Luftraumüberwachung zu unterzeichnen, dann das Verbraucherschutzgesetz, das ihm nicht ausreichte. Und 2005 löste Köhler den Bundestag auf, Kanzler Gerhard Schröder hatte das betrieben, was auch bei Weitem nicht jedem passte.

Es waren vor allem seine Zugewandtheit, sein ansteckendes Lachen und sein Optimismus, es waren sein Glaube an die Stärke unseres Landes und an die Energie und die Kreativität seiner Menschen, die ihn so viele Herzen gewinnen ließen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über Horst Köhler

Köhlers Nachfolger Frank-Walter Steinmeier würdigte den Gestorbenen nun aber in einem Kondolenzschreiben an seine Frau Eva Luise Köhler als „einen Glücksfall für unser Land“. Er habe „diesem Land viel gegeben“.

Das galt auch für die Zeit nach dem Amt. Köhler, international hoch angesehen, wurde von den UN immer wieder angefragt, war zuletzt Sonderbeauftragter für den Westsahara-Konflikt von 2017 bis 2019.

Überhaupt: Afrika! Auf allen seinen Stationen war dieser Kontinent ihm nahe. Wie Horst Köhler dafür warb, Afrika zu wertschätzen, als wahren Partner fernab aller kolonialer Denkweise zu behandeln – das war so überlegt und weitsichtig wie ans Herz gehend.

Der damalige Bundespräsident Horst Köhler steht 2009 im Schloss Bellevue während der Vorstellung der Kampagne „Dein Tag für Afrika“.

© dpa/Alina Novopashina

Innenpolitisch hat er nur noch einmal ein größeres Zeichen gesetzt, als er die Schirmherrschaft für den ersten bundesweiten Bürgerrat für Klimapolitik übernahm.

Diese Zurückhaltung gehörte zu seiner Vorstellung von gutem Benehmen, gerade auch nach seiner Zeit als erster Diener des Staates. Dabei war Horst Köhler klar und nicht bequem. Er konnte auch wohl heftig werden, wenn etwas nicht so lief. Diese Form der Leidenschaft hat ihn gewiss all die Jahre begleitet.

Aber es waren „vor allem seine Zugewandtheit, sein ansteckendes Lachen und sein Optimismus, es waren sein Glaube an die Stärke unseres Landes und an die Energie und die Kreativität seiner Menschen, die ihn so viele Herzen gewinnen ließen“, wie Steinmeier an Eva Luise Köhler schrieb.

Ach ja, gerade erst. Vor Kurzem. Aber weil es auch der christliche Glaube war, der ihn geleitet hat, liegt darin Trost. Denn für den Christen Horst Köhler endet ja doch nur das irdische Leben.

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