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Politik: Zurück zum Kern

Sollen die Verfassungsgegner die EU verlassen? – In Brüssel wächst der Unmut über die Quertreiber

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„Wir können es nicht wünschen“, sagt Elmar Brok, „aber wenn es nicht anders geht, dann werden wir dabei sein.“ Dabei sein wird Deutschland, da ist sich der Verfassungsexperte des Europaparlaments sicher, bei denen, die den neuen EU-Verfassungsvertrag am Ende unterzeichnen und die Reformen der EU notfalls alleine umsetzen – auch ohne Polen, Tschechen oder Briten, die sich gegen eine Vertiefung der europäischen Integration sperren. Wenn der von Angela Merkel am Wochenende angestoßene zweite Anlauf zum Verfassungsvertrag scheitert, wenn sich die 27 EU-Mitgliedstaaten nicht auf einen neuen Text einigen können, dann werde sich, meint der Christdemokrat, alles auf die Frage zuspitzen: Verfassung oder Kerneuropa?

Je länger die Verfassungskrise der EU schwelt, desto offener wird in Brüssel und Straßburg wieder über die Idee eines Kerns von integrationswilligen Staaten diskutiert, die auf dem Weg der Einigung den anderen, zögernden EU-Mitgliedstaaten vorangehen. Jacques Delors, der ehemalige Präsident der EU-Kommission, hat schon vor Jahren über ein „Europa mit variabler Geometrie“ und das „Europa der konzentrischen Kreise“ nachgedacht – alles Modelle, die Großbritannien im großen europäischen Binnenmarkt halten und auch die Teilnahme an der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik erlauben würden. Gleichzeitig würde so den Staaten, die dazu bereit sind, der Weg zur zügigen politischen und wirtschaftliche Integration geebnet.

Schließlich existiert das „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ schon längst: Die Wirtschafts- und Währungsunion mit den 13 Euro-Staaten und auch das Schengen-Abkommen mit den offenen Grenzen – beides eine Art Kerneuropa. An beiden „Gemeinschaften in der Gemeinschaft“ nehmen die Briten nicht teil.

Der ehemalige Präsident des Europaparlaments Klaus Hänsch geht noch weiter: Den EU-Staaten, die am Ende nicht für einen veränderten Verfassungsvertrag stimmen wollen, „sollte man nahelegen auszutreten,“ sagte er dem Tagesspiegel. Er sei aber optimistisch: Die Chancen für eine Einigung stünden bei „mehr als fünfzig Prozent“. Hänsch hatte zuvor der Berliner Zeitung gesagt, die britische Regierung müsse den Wählern klarmachen, dass es nicht nur um eine Verfassung gehe, sondern darum, ob Großbritannien „drinnen oder draußen“ sein wolle.

Für den Vorsitzenden der CSU- Gruppe im Europaparlament, Markus Ferber, ist die Frage „rein oder raus“ allerdings zu scharf gestellt. Schließlich brauche Großbritannien ja Europa und umgekehrt. Über kurz oder lang müssten die Bewohner der Insel sich aber darüber klar werden, was sie wollen. „Offenbar wissen die Briten immer noch nicht so richtig, ob sie Männlein oder Weiblein sind.“

Unmut wachse auch über das Verhalten der Regierungen in Warschau und Prag. „Beide Regierungschefs haben am Wochenende die ,Berliner Erklärung‘ mitgefeiert. Doch kaum wieder zu Hause, kam von ihnen Störfeuer“. In beiden EU-Mitgliedstaaten sei die Mehrheit der Bevölkerung inzwischen eindeutig für eine EU-Verfassung – ganz im Gegensatz zu ihren Regierungen, die sich hartnäckig gegen die Reform der EU wehren.

Von einem Austritt der Nein-Sager sollte dennoch noch nicht die Rede sein, meint der CSU-Politiker. In den bestehenden Verträgen ist ein Austritt auch gar nicht vorgesehen. Das Wiener Abkommen, so geben Völkerrechtler allerdings zu bedenken, sehe durchaus vor, dass internationale Verträge von einzelnen Staaten gekündigt werden können. Wer also europamüde und nicht mehr bereit ist, auf dem Weg zur Einigung mitzuziehen, der kann umkehren – die Tür ist offen.

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