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Brandenburg: „ dann wählen wir die Linkspartei“

Lausitzer Dörfer wehren sich gegen Tagebaue / Auch in Orten, die nicht abgebaggert werden sollen, formiert sich Widerstand

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Mulknitz/Proschim - „Gegen Abbaggerung und Vertreibung“ ist auf Plakaten an fast jedem Haus in Mulknitz in der Lausitz zu lesen. Obwohl das 93-Einwohner-Dorf vorerst nicht auf der Braunkohleabbauliste des Energiekonzerns Vattenfall steht, sind die Bewohner skeptisch. „Wir trauen dem Frieden nicht“, sagt Einwohner Helmut Fleischhauer. Die Menschen haben sich deshalb zusammengeschlossen und kämpfen für den Erhalt ihres Dorfes und auch für die Dörfer, die auf der Abbaggerungsliste des schwedischen Staatskonzerns Vattenfall stehen. Dabei führen sie nicht nur ökologische, sondern auch wirtschaftliche und kulturelle Gründe an – die Lausitz ist schließlich auch Heimat der slawischen Minderheit der Sorben und Wenden, deren Siedlungsgebiet seit Jahrzehnten von Braunkohlebaggern abgetragen wird.

So formiert sich der Widerstand gegen die Kohlepläne der Landesregierung eben nicht nur in den Dörfern Atterwasch, Grabko, Kerkwitz und Proschim, die für drei neuen Tagebaue weichen sollen. Auch in Klingmühl, Sallgast, Forst, Gosda und in vielen anderen Orten der Lausitz werden Unterschriften für die vor einer Woche von Umweltverbänden, Kirchenvertretern, Linkspartei und Wendischer Volkspartei gestartete Volksinitiative gegen neue Tagebaue gesammelt. Am vergangenen Sonntag trafen sich in Gosda bei Forst mehr als 100 Vertreter aus 41 Lausitz-Dörfern. Sie verabschiedeten eine gemeinsame Erklärung gegen neue Tagebaue und für die Volksinitiative. Titel der gemeinsamen Erklärung: „Wer Heimat weiter antastet, ist für uns nicht mehr wählbar!“

Mit einer Unternehmensstudie versuchen der Kaufmann Matthias Geigk und der Physiotherapeut und Dozent Leander Hirthe die These zu belegen, dass Regionen, die vom Tagebau betroffen sind, mit steigender Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben. Eine Befragung unter 41 regionalen Firmen mit 187 Mitarbeitern ergab, dass 75 Prozent direkte negative Ausstrahlungseffekte auf das eigene Unternehmen befürchten, falls die Tagebaue Forst-Hauptfeld und/oder Jänschwalde-Süd in Betrieb gehen. Das Handwerk ist besonders pessimistisch, alle Befragten aus dieser Branche sehen sich in ihrer Existenz bedroht.

Vor allem mittelständische Unternehmen rechnen mit rückläufigen Umsatzzahlen, weil sich das Einzugsgebiet verringert und die Kaufkraft demzufolge nachlässt. „Die arbeitstätigen Einwohner von Mulknitz fürchten deshalb auch um ihre wirtschaftliche Existenz“, sagt der 60-jährige Fleischhauer. Derzeit gebe es in dem Dorf keinen einzigen Arbeitslosen. Doch wenn der Tagebau näher rückt, könnte sich das schnell ändern. „Überall auf der Welt, wo Tagebau betrieben wird, ist die Arbeitslosigkeit am höchsten – das ist kein Zufall“, fügt Fleischhauer hinzu.

Um ein Zeichen zu setzen, wechselten kürzlich fast 80 Prozent der Mulknitzer Haushalte zu einem ökologischen Stromanbieter. Die Kritik der Mulknitzer an der weiteren Braunkohleabbaggerung in der Lausitz gründet sich auch auf die kulturellen Folgen. „Unser Ort hat eine lange Geschichte und eine Seele, die es zu schützen gilt“, sagt Fleischhauer. Der sorbischen Kultur drohe das Aus. „Ihr natürlicher Lebensraum wird ihr weggenommen, denn Umsiedlungen zerstören die über Jahrhunderte gewachsenen Strukturen.“ Selbst der lange Zeit als Folkloreverein verspottete Dachverband der Sorben, die Domowina, unterstützt seit der Vorwoche die Volksinitiative.

Die Mulknitzer haben nicht nur Angst vor der kompletten Abbaggerung ihres Ortes, auch ein aktiver Tagebau in unmittelbarer Nähe bedeutet für sie „eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität“. Der tägliche Lärm sei auf Dauer nicht zu ertragen, ist Fleischhauer überzeugt.

Der „Aufklärungsinitiative“, wie Fleischhauer die Bewegung des Dorfes nennt, haben sich auch drei andere Orte aus der Nachbarschaft angeschlossen. Inzwischen bestehen Fleischhauer zufolge Kontakte zu vielen Orten der Region bis hin zu der Bürgerinitiative in den Ortsteilen Rohne und Mulkwitz der sächsischen Gemeinde Schleife.

Und so, wie sich in der Lausitz der Unterschied zwischen den Dörfern, die abgebaggert werden sollen und jenen, die stehen bleiben dürfen, aufhebt, so gelten auch Parteigrenzen vielerorts nicht mehr viel. Sogar in Teilen der SPD und der CDU herrscht vor Ort eine tiefe Unzufriedenheit mit der rot-schwarzen Landesregierung von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU), die die Tagebaupläne von Vattenfall unterstützt. Die CDU-Landtagsabgeordnete Monika Schulz hat bereits ihre Unterschrift für die Volksinitiative gegeben und der gesamte CDU-Ortsverband von Proschim lässt aus Protest gegen Junghanns“ Politik die CDU-Mitgliedschaft für ein Jahr ruhen. Und Ortsbürgermeister Erhard Lehmann (eigentlich CDU) kündigt an: „Wenn unser Dorf bei der Landtagswahl 2009 noch immer auf der Todesliste von Vattenfall steht und die Landesregierung nichts zur Rettung unseres Dorfes unternimmt, dann wählen wir die Linkspartei!“

Wie viele andere fühlen sich auch die Proschimer CDU-Politiker von den Landespolitikern verraten. Zumal der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) bei der Abbaggerung des bis zuletzt umkämpften Dorfes Horno noch versprochen hatte: „Horno wird das letzte Dorf sein, das für die Kohle abgebaggert wird.“

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