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Brandenburg: 1000 und ein Arbeitsplatz

Vor drei Jahren ist in Frankfurt an der Oder ein Traum geplatzt. Jetzt gibt es doch noch ein Happy End

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Frankfurt (Oder) – Vom Bahnhof Frankfurt an der Oder sind es fast vier Kilometer bis zur Chipfabrik im Stadtteil Südring, eine Fahrt von zehn Minuten. „Ist gut, dass da draußen mal was passiert“, sagt der freundliche Taxifahrer, „ich meine, nach der Pleite damals.“

Es war einmal eine Chipfabrik, in der Tausende Arbeitsplätze entstehen sollten. So beginnt das traurigste Volksmärchen Brandenburgs, an dessen Ende bislang der Blick auf ein Grab mit Millionen-Investitionen fiel. Damals, im Herbst 2003, war in der Oder-Stadt der Traum vom deutschen Silicon Valley zerplatzt. Drei Jahre später gibt es jetzt vielleicht doch noch ein Happy-End: Das Hamburger Solarunternehmen Conergy AG will ab Juni 2007 in der Frankfurter Chipfabrik Solarmodule herstellen. 1000 Arbeitsplätze sollen hier entstehen. Die Pressekonferenz gestern ließ sich auch Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) nicht entgehen.

Dort wo einst das VEB Halbleiterwerk Frankfurt (Oder) mit 8000 Mitarbeitern der größte Mikroelektronikhersteller der DDR stand, wollte ein Betreiberkonsortium um den US-Chiphersteller Intel damals 3,1 Milliarden Mark in eine Chipfabrik mit dem Namen „Communicant“ investieren. Rund 1500 Jobs waren in der Fertigung veranschlagt, weitere 2000 bei regionalen Zulieferern und in der örtlichen Wirtschaft. Die Boulevardpresse jubelte „Chip, Chip, Hurra!“

Doch der große Deal platzte, kaum dass sich die ersten Kräne in Bewegung gesetzt hatten. „Unwirtschaftlich“ sei das Konzept, so das niederschmetternde Urteil aus Berlin. Damals stellte Frankfurts Oberbürgermeister Martin Patzelt (CDU) ein Schild an die nahe gelegene Autobahnausfahrt. „Hier stirbt der Aufschwung Ost!“ war darauf zu lesen. Und: „Vielen Dank, Herr Bundeskanzler!“

Patzelts Schild ist längst verschwunden, doch die Bautafel der „Communicant“ steht noch da. Ein älterer Wachmann weist die Journalisten, Fotografen, Kameraleute und Ehrengäste zu den Shuttle-Bussen der Conergy AG. Dieser Montag ist auch für ganz Brandenburg ein Feiertag, so scheint es. Auf dem Weg zu dem Teil der Chipfabrik, in dem in Rekordzeit neue Verwaltungsräume entstehen sollen, ist die Stimmung gelöst. Schwindelerregende Zahlen werden genannt: Von 250 Millionen Euro Investitionssumme, 1000 neuen Jobs und bald noch mehr, hatte das Unternehmen im Vorfeld gesprochen.

Über 23 000 Menschen, etwa ein Drittel seiner Bevölkerung, hat Frankfurt seit 1990 verloren. Die Arbeitslosenquote liegt seit Jahren unverändert bei fast 20 Prozent. Doch drinnen in der Chipfabrik, wo Conergy-Mitarbeiter die kahlen Wände und Böden mit blauen Stoffen und Teppichen bedeckt haben, ist vielen wieder nach Feiern zumute. „The sun comes up“, hallt es aus den Lautsprechern. Es ist der eigene Song des Hamburger Solarunternehmens, der die Gäste im kühlen Rohbau auf bessere Zeiten einstimmen soll.

Vom sterbenden Aufschwung Ost ist bei Oberbürgermeister Patzelt nun nicht mehr die Rede. Vergessen scheint auch der vergangene Donnerstag, an dem braune Vandalen einen Gedenkstein für die jüdischen Opfer der Reichspogromnacht beschmierten. „Die Sonne tritt aus den Wolken des wirtschaftlichen Niedergangs heraus“, sagt Patzelt pathetisch. Die Vorstellung, dass nebenan im kommenden Juni die Produktion von Solarmodulen anläuft, lässt den Oberbürgermeister strahlen. „Sie ermöglichen es den Menschen in der Region, wieder ihr selbst verdientes Brot zu essen“, sagt Patzelt und schaut dabei Conergy-Vorstand Hans-Martin Rüter an. „Das wird das soziale Verhalten der Menschen hier wieder auf die rechte Bahn zurückbringen.“

Rüter seinerseits ist voll des Lobes für die „unbürokratische Unterstützung“ der Stadt Frankfurt und des Landes Brandenburg. „Nur unsere schnelle Einigung hat es ermöglicht, dass hier demnächst 500 Jobs entstehen können“, sagt er. Weitere 500 Arbeitsplätze sollen bis 2008 auf dem Gelände geschaffen werden. Conergy denke sogar schon über den Bau einer neuen Fertigungshalle nach.

Conergy wächst und wächst: 1998 von Rüter als GmbH gegründet und seit März 2005 börsennotiert, ist das Unternehmen binnen weniger Jahre zum umsatzstärksten Konzern für regenerative Energien in Europa gewachsen. Doch dem Geschäft mit der Sonne droht Überhitzung: Bislang profitierten Solarunternehmen in Deutschland vom staatlich subventionierten Inlandsgeschäft. Doch die Förderung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz schrumpft Jahr für Jahr. „Nur wenn wir auf dem Weltmarkt weiter erfolgreich sind“, sagt Rüter, „können wir den neuen Standort Frankfurt an der Oder sichern.“

Flexibilität, Internationalität und die Qualität der Produkte würden Conergy auszeichnen, lobt Brandenburgs Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU). Und Platzeck spricht vom „wichtigsten Tag für Frankfurt an der Oder seit der Wende“. Es dürfte auch ein entscheidender in der zweiten Amtszeit des Ministerpräsidenten werden: Schwer lasten finanzielle Fehlentscheidungen seines Amtsvorgängers Manfred Stolpe wie der Lausitzring, der Cargolifter oder die Chipfabrik auch auf seinen Schultern. Sollte das Conergy-Projekt scheitern, steht womöglich auch sein eigener Arbeitsplatz auf dem Spiel.

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