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Brandenburg: Abenddämmerung im Fahrradfahrerparadies
Noch bewerten Touristen den Zustand von Brandenburgs Radwegen als gut bis sehr gut. Doch viele Strecken benötigen mittlerweile eine grundhafte Sanierung
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Berlin/Potsdam - Meist ist er zu zweit unterwegs, legt durchschnittlich 40 Kilometer zurück und sitzt, Pausen einberechnet, viereinhalb Stunden im Sattel. Um bis zu fünf Prozent hat der Radtourismus im Land Brandenburg Experten zufolge in den vergangenen zwei Jahren zugelegt. In der Beliebtheitsskala der Freizeitradler liegt das Land laut des aktuellen Länderrankings des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs (ADFC) nach Bayern und Mecklenburg-Vorpommern an dritter Stelle. Allein auf dem Spree-Radwanderweg, einem von insgesamt 20 Radfernwegen, die durch Brandenburg führen, wurden im vergangenen Jahr 15 800 Radfahrer gezählt. Dem Projekt Radverkehrsanalyse zufolge, dass seit 2009 jedes Jahr die Radtouristen an mehr als 100 Standorten landesweit zählt und befragt, wurde 2012 durch die Radwanderer entlang der Spree eine regionale Wertschöpfung von 1,8 Millionen Euro erwirtschaftet.
Landesweit geht das Projekt Radverkehrsanalyse, an dem die Tourismus-Marketing-Brandenburg GmbH, die Ingenieursgesellschaft Stolz aus Neuss und das Berliner Büro für Tourismus und Radverkehr Radschlag beteiligt sind, von einer landesweiten Wertschöpfung in Höhe von mehr als 28 Millionen Euro aus. Der aktuellen Untersuchung zufolge geben die Radfahrer im Schnitt knapp 37 Euro am Tag für die Unterkunft, gut 14 Euro in der Gastronomie und 5,40 Euro für den Lebensmitteleinkauf aus. 3,40 Euro schlagen für Freizeitaktivitäten zu Buche.
„Das ist für uns ein Wirtschaftsfaktor“, bestätigt auch Kerstin Möbes, Sprecherin des Amtes Burg-Spreewald. Das beliebte Ausflugsziel Burg im Spreewald (Spree-Neiße) liegt am Spreeradwanderweg. Allein zu Pfingsten 2012 wurden dort an nur einem Tag 2780 Radfahrer gezählt. „Wir gehen davon aus, das jeder Radtourist im Schnitt rund 67 Euro in der Region lässt“, so Möbes. Überwiegend handele es sich um Deutsche, aber auch Niederländer seien immer öfter unterwegs, meint die Amtssprecherin. „Die Zahl der Radwanderer nimmt aber generell zu.“ Längst hätten sich die Gastronomen und Händler in Burg auf die rollenden Gäste eingestellt. „Für ein Dorf haben relativ viele Fahrradläden und viele Gaststätten sind bereits als fahrradfahrerfreundlich zertifiziert“, berichtet die Amtssprecherin.
Insgesamt umfasst das Radwegenetz in Brandenburg mehr als 7000 Kilometer. Laut der jüngsten Umfrage von Radverkehrsanalyse aus dem vergangenen Jahr beurteilen 80 Prozent der befragten Radler die Qualität der Radwege als gut bis sehr gut. Doch viele der Strecken wurden in den späten 90er Jahren angelegt und bedürfen in absehbarer Zeit einer Sanierung. Beim brandenburgischen Infrastrukturministerium geht man von einer durchschnittlichen Lebensdauer von 15 Jahren aus. Bereits vor knapp vier Jahren bezifferte das Ministerium die notwendigen Mittel auf Radwege entlang Bundesstraßen auf etwa 6,1 Millionen Euro und entlang Landestraßen auf etwa 6,7 Millionen Euro. Dazu kommen die Erhaltungsmaßnahmen an Radwegen in kommunaler Trägerschaft. Eine aktuelle Schätzung des Investitionsbedarf gibt es nicht.
Bereits in der Vergangenheit haben der weitere Ausbau und die Instandhaltung von Radwegen für Streit zwischen Land und Kommunen gesorgt. Vor allem in kleineren Gemeinden entlang von Radfernwegen fragt man sich, warum man Schlaglöcher stopfen soll, wenn doch die Radler ohnehin in der Regel nicht im Ort halten, sondern nur durchradeln. Nicht überall lässt sich der volkswirtschaftliche Mehrwert des Radtourismus so gut darstellen wie etwa in Burg im Spreewald. Dazu kommt nach Ansicht von Karl-Ludwig Böttcher, Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg, dass einige Kommunen finanziell gar nicht in der Lage sein werden, die anfallenden Sanierungskosten zu stemmen. „Das wird sehr schwierig. Einige Kommunen kann das an den Rand der finanziellen Möglichkeiten bringen. Die werden den Zustand ihrer Radwege nicht halten können“, glaubt Böttcher. Deshalb sieht der Städtebundchef auch das Land in der Pflicht – Trägerschaft hin oder her. „Man kann kein Landestourismuskonzept auflegen und dann den Kommunen beim kommunalen Finanzausgleich zu wenig Luft lassen, um ihre Verpflichtungen zu erfüllen“, so Böttcher.
Aber auch vom Land ist nicht allzu viel zu erwarten. Auch dort ist das Geld künftig noch knapper als sonst, nicht zu letzt, weil Brandenburg ab 2014 weniger EU-Fördermittel zur Verfügung stehen. Nicht mal an den eigenen Radwegen sieht man sich in der Lage alle Schäden zu beseitigen. Die jährlichen Mittel im Landeshaushalt in Höhe von einer Million Euro würden den Bedarf nicht abdecken, heißt es in einem vergangenes Jahr vorgelegten Bericht. „Wir kommen jetzt in eine Phase, in der zunehmend Wurzeln durch die Oberflächen brechen oder Frost die Fahrbahnen zerstört“, bestätigt Jens-Uwe Schade, Sprecher im Infrastrukturministerium. Das Problem werde allen Beteiligten immer bewusster. „Geeignete Finanzierungsmodelle müssen gefunden werden. Es wird aber sicherlich nicht für jeden Fall eine Lösung geben, einfach weil das Geld nicht da ist“, räumt Schade ein. Der Radwegebau stehe schließlich in Konkurrenz zu allen anderen Haushaltstiteln.
Volkswirtschaftlich gerechtfertigt sind Investitionen in das Radwegenetz aber allemal, meinen die Projektpartner von Radverkehrsanalyse. Auf Grundlage der Umfrageergebnisse zum Ausgabeverhalten und der aktuellen Kosten für Streckenneubau und Erhalt haben die drei Partner errechnet, dass selbst bei erheblicher Neubautätigkeit der Umsatz der Radtouristen die notwendigen Kosten für die Strecken um ein Vierfaches übertrifft.
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