Spekulationen über Spitzenkandidatur beim Bundestagswahlkampf 2017: AfD-Vize Gauland trotzig aus der zweiten Reihe
Berlin/Potsdam - An die angriffslustige AfD-Chefin Frauke Petry und den konzilianten Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen hat sich das Talkshow-Publikum inzwischen gewöhnt. Auch die gezielten Provokationen des Thüringer Fraktionschefs Björn Höcke sind fast schon zur Routine geworden.
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Berlin/Potsdam - An die angriffslustige AfD-Chefin Frauke Petry und den konzilianten Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen hat sich das Talkshow-Publikum inzwischen gewöhnt. Auch die gezielten Provokationen des Thüringer Fraktionschefs Björn Höcke sind fast schon zur Routine geworden. Doch wie geht man auf die Argumente von jemandem wie Alexander Gauland ein, der einfach so tut, als könne man die Zeit nicht nur anhalten, sondern die Uhr sogar zurückdrehen – zurück zur alten Bundesrepublik der frühen 60er-Jahre? Hätte Brandenburgs AfD-Chef das, was er am Sonntagabend bei „Anne Will“ gesagt hat, vor 50 Jahren in einer Fernsehsendung von sich gegeben, es hätte vermutlich niemand Anstoß daran genommen. In den Bäckereien der Bundesrepublik wurden damals „Mohrenköpfe“ verkauft. Wenn jemand etwas besonders Absurdes tat, hieß es, „man kann sich auch einen Ring durch die Nase ziehen“.
Heute servieren Frauen mit Nasenring in deutschen Bäckereien Chai-Latte mit Sojamilch. Das ist nicht das Deutschland, in dem sich Alexander Gauland wohlfühlt. Er sagt: „Ich möchte dieses Land behalten, wie wir es ererbt von unseren Vätern haben.“ Das könnte man jetzt abtun, als klassisches Gegrantel eines älteren Herrn, der mit der Moderne hadert. Doch damit hat man Gauland, die AfD und deren relativ junge Anhängerschaft noch nicht verstanden.
Zwar hat im Studio bei „Anne Will“ niemand Gaulands Äußerungen beklatscht. Doch bei seinen eigenen Anhängern dürfte Gauland dieser Talkshow-Auftritt nicht geschadet haben. „Er hat aus dieser Situation das Beste herausgeholt“, urteilt ein Parteifreund.
Wenn Gauland sagt, die Bundeskanzlerin wolle das deutsche Volk „ergänzen und ersetzen“, dann ruft das zwar bei vielen Zuschauern Kopfschütteln hervor. Doch viele AfD-Anhänger dürften sagen: „Genau so ist es.“ Gauland, wie immer im Tweed-Sakko mit Hundekrawatte, hat bei „Anne Will“ zwar vordergründig keine gute Figur abgegeben. Er musste sich vorwerfen lassen, einen Slogan aus der rechtsextremen Szene benutzt zu haben, als er sich bei einer Rede in Brandenburg auf den Satz berief: „Heute sind wir tolerant und morgen fremd im eigenen Land.“ Doch es ist ihm immerhin gelungen, einige Schlüsselsätze unterzubringen, die wichtig sind für das Selbstverständnis von AfD-Wählern, die sich für Opfer eines Mitte-Links-Establishments halten.
Gauland sagt: „Es ist halt lange Zeit üblich gewesen, diese Dinge totzuschweigen.“ Und: „Wir sind alle nicht gefragt worden.“ Damit holt er nicht nur Wähler ab, die gegen Zuwanderung und Veränderung sind, sondern ködert auch diejenigen, für die „political correctness“ ein Schimpfwort ist.
Gauland ist für viele Politiker der Bundestagsparteien noch schwerer zu ertragen als die Newcomer Petry und Höcke. Denn das langjährige CDU-Mitglied war früher einer von ihnen. Unter Ministerpräsident Walter Wallmann (CDU) leitete er einst die hessische Staatskanzlei.
1991 ging er als Herausgeber der „Märkischen Allgemeinen“ nach Potsdam, wo er das Image eines konservativen Intellektuellen pflegte. Bei der AfD hat sich Gauland lange mit der Rolle der Grauen Eminenz begnügt. Mit Blick auf sein fortgeschrittenes Alter kandidierte er immer nur für den Stellvertreter-Posten. Dass er jetzt aus der zweiten Reihe nach vorne tritt, bietet Anlass zu neuen Spekulationen über die Frage, mit welchem Spitzenkandidaten die AfD in den Bundestagswahlkampf 2017 gehen will.
Anne-Beatrice Clasmann
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