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Brandenburg: „Agrarministerium fehlt rechtlicher Sachverstand“ Affäre um pro agro könnte weitreichende Folgen für die Förderpraxis im Land Brandenburg haben

Potsdam - Jörg Vogelsänger wurde immer stiller, je länger die Sitzung des Haushaltskontrollausschusses des Landtags dauerte. Zu Beginn war Brandenburgs Agrarminister noch reichlich bemüht, alle Zweifel in der Förderaffäre seines Hauses um dem Verband pro agro zu zerstreuen.

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Potsdam - Jörg Vogelsänger wurde immer stiller, je länger die Sitzung des Haushaltskontrollausschusses des Landtags dauerte. Zu Beginn war Brandenburgs Agrarminister noch reichlich bemüht, alle Zweifel in der Förderaffäre seines Hauses um dem Verband pro agro zu zerstreuen. Stattdessen warf er neue Fragen auf. Und am Ende sah sich der Präsident des Landesrechnungshofes, Christoph Weiser, zur Aussage genötigt: „Wir vermissen den rechtlichen Sachverstand im Ministerium.“ Wie berichtet drohen dem Lobbyverband laut Rechnungshof Rückforderungen in Millionenhöhe – wenn die Europäische Union die Vorgänge prüft. Und das, weil das Ministerium bei der Fördermittelvergabe geschlampt hat.

Konkret geht es um zwei Fälle. Der erste reicht zurück ins Jahr 2005. Es ist fraglich, wie es damals zu einem Zuschuss von 250 000 Euro kam. Der Landesrechnungshof stellte in einem Prüfbericht fest, es habe sich um einen Zuschuss auf Zuruf gehandelt, ohne dass ein Antrag vorgelegen habe. Damit sollte eine Finanzierungslücke beim Verband überbrückt werden für zu erwartende Fördergelder. Vogelsänger erklärte, der Bescheid sei erst ergangen, nachdem pro agro einen Antrag gestellt hatte. So sei es im elektronischen Vorgangssystem verzeichnet. Dass der Bescheid ein Datum trägt, das zwei Tage vor Eingang des Antrags liegt, erklärte Vogelsänger mit einem angeblichen „Behördenfehler“. Zudem brachte er eine E-Mail von pro agro ins Spiel, die zuvor mit „Unterlagen zur Prüfung“ beim Ministerium eingegangen sei. Nur: In dem Prüfverfahren des Rechnungshofes, das zwei Jahre dauerte, hatte das Ministerium diese E-Mail nie vorgebracht. Vogelsänger will diese dem Ausschuss nun nachreichen.

Der CDU-Abgeordnete Sven Petke bemerkte süffisant: „Was Vogelsänger hier macht, ist nur Nebel. Man könnte den Eindruck haben, Brandenburg sei ein EU-Beitrittskandidat.“ Brandenburgs Behörden seien nicht dafür bekannt, „dass sie in Überschallgeschwindigkeit arbeiten, aber hier wurden in wenigen Stunden 250 000 Euro zur Verfügung gestellt“.

Das Problem a m Zuschuss: Der Zweck war viel zu unbestimmt, laut Rechnungshof fehlte „jede Grundlage einer rechtlich tragfähigen Gestaltung“. Obendrein sind dem Land möglicherweise Zinsen entgangen, laut dem Grünen-Abgeordneten Axel Vogel in Höhe von 80 000 Euro. Denn entgegen rechtlichen Vorgaben musste pro agro den Vorschuss nicht bis Ende 2005 zurückzahlen, sondern begann damit erst 2011, im Jahr 2014 floss die letzte Rate. Dass kein Zins erhoben wurde, könnte von der EU laut Rechnungshof als Beihilfe gewertet werden, weil pro agro damit – anders als andere – begünstigt wurde. Zudem sei nicht nachvollziehbar, wofür das Geld ausgegeben worden sei.

Ebenso könnten die jährlichen Fördergelder des Agrarministeriums für den Verband, der als Dienstleister des Landes für die Förderung der Agrarwirtschaft auftritt, von der EU als „rechtswidrige Beihilfe“ aufgefasst werden. Seit 2009 waren es pro Jahr fast 375 000 Euro ohne Ausschreibung. Mit der Summe wurden die laufenden Kosten für Personal und Verwaltung bei pro agro beglichen – über eine Projektförderung, obwohl es kein Projekt war –, es hätte als Dauerförderung im Haushalt verbucht werden müssen.

Agrarminister Jörg Vogelsänger (SPD) entgegnete, auf eine in diesem Jahr erfolgte Ausschreibung für die Aufgaben von pro agro habe sich nur ein Bewerber gemeldet. „Das zeigt, dass es dafür keinen Markt gibt“, meinte Vogelsänger. Daher sieht der Minister keine unzulässige Bevorzugung von pro agro gegenüber Mitbewerbern. Rechnungshof-Vizepräsidentin Sieglinde Reinhardt entgegnete, für den Verstoß gegen Beihilferecht reiche es, dass die Leistungen auch von anderen Anbietern potenziell erfüllt werden könnten. „Im schlimmsten Fall müssen die Gelder zurückgefordert werden“, sagte sie.

Immerhin dürfte die Affäre Konsequenzen haben. Vogel und Rechnungshofpräsident Weiser schlugen vor, Vogelsänger solle bei der EU den Fall besser prüfen lassen. Vogelsänger sagte dazu nichts. Der SPD-Abgeordneter Ralf Holzschuher warnte: „Damit weckt man nur schlafende Hunde. Das löst etwas aus, das nicht im Interesse des Landes ist.“ Die SPD-Abgeordnete Klara Geywitz war da weitsichtiger und deutete an, dass die Förderaffäre viel weitreichender ist. Zu klären sei ein Grundproblem, wie die jahrelange Landesförderung für Vereine und Verbände auf das strenge Beihilferecht abgestimmt werden könne. „Die Gefahr ist gegeben, dass vieles, was wir als Förderung verstehen, für die EU eine Beihilfe ist.“ Vogel schlug vor, die Förderung für die sinnvolle Arbeit von pro agro müsse nun auf eine rechtlich saubere Grundlage gestellt werden – und das schon beim Nachtragshaushalt. Alexander Fröhlich

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