zum Hauptinhalt

Förderaffäre in Brandenburg um Verband pro agro: Agrarministerium verstieß systematisch gegen Förderrecht

Der Landesrechnungshof sieht die Förderung des Lobbyverbands pro agro durch die Landesregierung als systematischen Verstoß gegen Förderrecht. Die rot-rote Koalition fürchtet nun Zahlungsstopp, Rückzahlung und Tiefenprüfungen.

Stand:

Potsdam - Brandenburgs rot-rote Landesregierung steht vor einer neuen Fördermittelaffäre. Der Landesrechnungshof Brandenburg hat nach Recherchen der PNN die Vergabe von Fördermitteln in Millionenhöhe an den Lobbyverband pro agro als systematischen Verstoß gegen grundlegende Regeln des Zuwendungsrechts kritisiert. Das zuständige Ministerium ist aus Sicht des Rechnungshofes, wie rot-rote Koalitionsmitglieder bestätigten, fahrlässig und sorglos mit Fördergeldern des Landes und der Europäischen Union umgegangen. Konsequenzen nach dem Wettbewerbs- und Beihilferecht der EU werden nicht mehr ausgeschlossen.

Der Rechnungshof hat demnach grundlegende Zweifel daran, dass die Förderung für den eng mit der Landesregierung verbundenen Lobbyverband pro agro, der faktisch als externer Wirtschaftsförderer für die Landesregierung auftritt, rechtmäßig war. Spätestens seit 2009, so belegen es die vom Landesrechnungshof geprüften Zahlen aus dem von Jörg Vogelsänger (SPD) seit 2010 geführten Agrarministerium, habe das Land dem Verband damit eine staatlich gestützte Monopolstellung verschafft, obwohl es für die Angebote von pro agro – die Förderung des ländlichen Raums mit Argarmessen, Vernetzung von Unternehmen und Tourismus – auch andere Anbieter und damit einen Markt gibt.

Mehrere Millionen Euro flossen an pro Agro - offenbar zu Unrecht

Insgesamt geht es um eine Summe von mehreren Millionen Euro, die seit 2009 ausgezahlt wurden.  Pro Jahr flossen 1,3 Millionen Euro an Fördergeldern von EU und Land an den Lobbyverband. Entsprechende Recherche bestätigte der Rechnungshof auf PNN-Anfrage. Allein an EU-Geldern, die vom Land nochmals kofinanziert werden müssen, gingen pro Jahr 850 000 Euro an pro agro. Nur an Landesgeldern, die ohne Kofinanzierung von EU-Geldern gezahlt wurden, waren es bis 2012 pro Jahr knapp 375 000 Euro.  Der Rechnungshof verlangt nun vom Ministerium eine Prüfung, ob die Gelder zurückgefordert werden müssen.

Wie berichtet gehen selbst die Fachleute in der rot-roten Koalition von einer Förderaffäre mit Sprengkraft aus. Der Prüfbericht ist unter Verschluss, nach Angaben des Rechnungshofes muss das Ministerium der Freigabe erst zustimmen. Am heutigen Dienstag befasst sich der Haushaltskontrollausschuss des Landtags mit dem Fall. Und die Formulierungen in dem Bericht sollen weitaus schärfer sein als bislang durch die offiziellen Verlautbarungen bekannt.

Rot-Rot fürchtet weitreichende Maßnahmen der EU

Auf PNN-Anfrage erklärte der Rechnungshof etwa lediglich, das Agrarministerium habe es „versäumt zu prüfen, ob die Förderungen von pro agro einen EU-rechtlichen Beihilfetatbestand erfüllen“. Dafür habe es Anhaltspunkte gegeben. Weil eine fehlende Beihilfeprüfung weitreichende Folgen – laut Rechnungshof auch die Rückforderung von Fördergeldern – haben könnte, habe der Landesrechnungshof das Ministerium um Prüfung gebeten. Wäre die Förderung für pro agro nach EU-Recht eine Beihilfe, dann hätte Brandenburg dafür ein Notifizierungsverfahren bei der EU-Kommission starten müssen, was aber nicht geschah. Deshalb könnte Brüssel dann auch ein Vertragsverletzungsverfahren in Gang setzen, in der rot-roten Koalition werden auch ein Zahlungsstopp und eine weitreichende Tiefenprüfung durch die EU befürchtet, bei der noch weitaus mehr Probleme auch bei anderen Vereinsförderungen zutage treten könnten.

Das Problem an der Dauerförderung ist: pro agro finanzierte mit Geldern zur Projektförderung seine Sach- und Personalkosten zu rund 70 Prozent. Daher war es nach Ansicht des Rechnungshofs eine institutionelle, auf Dauer angelegte Förderung für bestimmte Aufgaben – und damit eine staatliche Beihilfe. Die aber hätte von der EU in einem Notifizierungsverfahren genehmigt werden müssen - andernfalls hätte die Leistung europaweit ausgeschrieben werden müssen. Der Rechnungshof kritisiert obendrein schwerwiegende Mängel im Förderverfahren: Das Ministerium habe entgegen geltenden Rechts die Finanzsituation des Verbands überhaupt nicht geprüft.

Agrarministerium ging ungeprüft davon aus, dass es keinen Markt gibt

Das Ministerium selbst konnte auf eine am vergangenen Freitag gestellte Anfrage nicht erklären, welche Summen pro agro in den vergangenen zehn Jahren an Fördergeldern bekam. Zudem räumte ein Sprecher indirekt ein, dass das Ministerium gar nicht geprüft hat, ob es sich bei der Förderung um eine Beihilfe nach EU-Recht handelt, die Brüssel hätte genehmigen müssen. Das Ministerium sei nur davon „ausgegangen, dass es für die durch pro agro erbrachten Leistungen am Markt keine Wettbewerber gibt“, sagte der Sprecher. Unter diese Annahme würde es bei dem Verband um eine „nichtwirtschaftliche Tätigkeit“ und damit bei der Förderung um keine Beihilfe nach EU-Recht gehen. Dies werde nun weiter geprüft, ein Ausschreibungsverfahren solle nun zeigen, „inwieweit diese Annahme gerechtfertigt war“. Doch der Rechnungshof hat bei der Prüfung genau das Gegenteil festgestellt. Demnach gibt es neben pro agro eine ganze Reihe von Anbietern in Deutschland und Europa – also auch einen Markt.

Diesen Markt hat das Agrarministerium nach Ansicht des Rechnungshofes entgegen EU-Recht einfach umgangen – und Aufgaben, die im Landdesinteresse sind, auf nur einen einzigen Verband dauerhaft übertragen. In anderen Bundesländern übernehmen etwa Landeswirtschaftskammern als öffentlich-rechtliche Körperschaften, also semi-staatliche Institutionen, diese Aufgaben.

Rechungshof widerspricht Staatskanzlei von Regierungschef Woidke

In der Affäre geht der Rechnungshof zudem auf Konfrontationskurs zur Staatskanzlei von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Der Hintergrund: Das Agrarministerium gewährte - nach Ansicht des Rechnungshofs ein Rechtsverstoß, weil das Geld gewährt wurde, obwohl gar kein Antrag vorlag. Es war laut Rechnungshof eine Förderung auf Zuruf, Notwendigkeit und Zweck waren nicht klar. Das damals von Woidke geführte Ministerium erteilte laut Rechnungshof pro agro am 17. Mai 2005 einen Zuwendungsbescheid, obwohl noch gar kein Förderantrag von pro agro vorlag. Der kam erst am 19. Mai 2005.

Damals war das Förderregime auf das sogenannte Erstattungsprinzip umgestellt. Die Empfänger sollten in Vorleistung gehen und dann ihre förderfähigen Projekt abrechnen. Pro agro aber erklärte dem Ministerium, nicht in der Lage zu sein, Projekte vorzufinanzieren. Woidkes Regierungssprecher Andreas Beese erklärte nun auf PNN-Anfrage, im elektronischen Aktensystem sei vermerkt, dass der Zuwendungsbescheid am 17. Mai zwar erstellt, aber erst am 26. Mai endgültig vom haushaltsverantwortlichen Referatsleiter im Agrarressort abgezeichnet worden sei. Daher sei die Zuwendung doch nicht antragslos erteilt worden. Auf PNN-Anfrage blieb der Rechnungshof jedoch bei seiner Darstellung: Die Behörde „kann anhand einer Kopie belegen, dass der Zuwendungsbescheid vom 17. Mai 2005 datiert“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })