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Brandenburg: „Alltagsrassismus“

Ausländer und Linke werden in Brandenburg regelmäßig Opfer von Übergriffen/Berlin bangt ums Image

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Potsdam/Berlin - Das Brandenburger Aktionsbündnis gegen Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus sieht in dem rassistischen Angriff auf einen 37-jährigen gebürtigen Äthiopier in Potsdam keinen Einzelfall. Seit vielen Jahren gebe es in Brandenburg Probleme mit rechtsextremistisch motivierten und rassistischen Gewalttaten, sagte ein Sprecher gestern in Potsdam. Mehrere Fälle hätten überregional Schlagzeilen gemacht. Andere fänden ihren Ausdruck im Alltagsrassismus und drohten dabei in den Hintergrund zu geraten.

Der politischen und zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit müsse weiterhin hohe Priorität eingeräumt werden, forderte der Sprecher. Das sei nicht nur eine gesellschaftliche Querschnittsaufgabe, sondern auch eine Zukunftsaufgabe.

Immer wieder kommt es in Brandenburg zu gewalttätigen Übergriffen von Rechtsextremisten gegen Ausländer oder auch deutsche Jugendliche aus dem linken Milieu. Besonders in Potsdam eskalierte jüngst die Gewalt, in Rheinsberg wurden vermehrt Geschäfte und Lokale von Ausländern angegriffen. 2005 ordnete die Polizei 97 Gewaltstraftaten der rechten Szene zu.

Der Verein „Opferperspektive“ in Potsdam zählt im laufenden Jahr bereits 22 rechtsextrem motivierte Attacken mit vielen Verletzten. Der Mordversuch an dem 37-Jährigen sei daher „ein Fall, wie er immer wieder vorkommt“, betonte Sprecher Ole Weidmann. Viele Opfer hätten dabei bloß Glück gehabt, dass sie keine schwereren Verletzungen erlitten. Überfälle auf Ausländer seien der „schreckliche Alltag“ in Brandenburg, so Weidmann.

Nicht nur Ausländer, auch Linke und Behinderte wurden in Brandenburg immer wieder Opfer von Rechter Gewalt. In der Nacht zum 13. Juli 2002 etwa, misshandelten drei junge Männer im Alter von 17 bis 23 Jahren in Potzlow in der Uckermark den 16-jährigen Marinus Schöberl mehrere Stunden lang schwer, bevor sie ihn umbrachten. Seine Leiche vergruben sie in einer Jauchegrube. Nach Einschätzung des Landgerichts Neuruppin spielte dabei die „rechte Einstellung“ der Täter eine Rolle.

Erst im März dieses Jahres bestätigte der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil gegen fünf Mitglieder der rechtsextremen Kameradschaft „Freikorps Havelland“. Die Gruppe sei eine terroristische Vereinigung gewesen. Vor dem Oberlandesgericht (OLG) hatten die jugendlichen Angeklagten unter anderem neun Brandanschläge auf von Ausländern betriebene Imbissstände und Restaurants in Nauen und Umgebung zugegeben.

Die Situation für „fremd erscheinende Menschen“ sei gefährlich und schwierig, betont der Leiter des Brandenburgischen Instituts für Gemeinwesenberatung, Wolfram Hülsemann. Er spricht für ganz Ostdeutschland von einem „Verlust der humanen Alltagskultur“.

Das erste Todesopfer ausländerfeindlicher Gewalt im vereinten Deutschland war im Dezember 1990 Amadeu Antonio. Der Angolaner erlag seinen schweren Verletzungen, nachdem er im brandenburgischen Eberswalde aus einer Gruppe von 50 Skins und Heavy-Metal-Anhängern heraus zusammengeschlagen worden war (siehe Kasten rechts).

Die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, Anetta Kahane, sieht in dem Überfall auf den Deutsch-Äthiopier in Potsdam ein Beispiel für eine „neue Strategie der rechtsextremen Gewalt“. „Wir beobachten, dass die Gewalt vermehrt vom Land in die Innenstädte getragen wird, um die Menschen zu verunsichern“, sagte Kahane gestern in Berlin. Das Signal der Schläger laute, dass es keine städtische Parallelwelt gebe, in der man sich sicher fühlen könne. Die Qualität der Gewalt ist nach Ansicht Kahanes insgesamt jedoch gleich geblieben. In den vergangenen Jahren seien immer wieder Personen von Rechtsextremen schwer verletzt worden. Auch wenn Übergriffe wie in Potsdam nicht verhindert werden könnten, dürfe man auf Präventivarbeit nicht verzichten, sagte Kahane. Sie sehe jedoch die Gefahr, dass aufgrund von Budgetkürzungen diese Arbeit in Zukunft schwieriger werden könnte. „In den neuen Bundesländern sollen die Opferberatungsstellen von Ende des Jahres an nicht mehr finanziert werden“, monierte Kahane. Die Projekte seien daher verstärkt auf private Unterstützung angewiesen.

Die in Berlin ansässige Stiftung ist nach dem angolanischen Vertragsarbeiter Amadeu Antonio Kiowa benannt, der in der Nacht zum 25. November 1990 von einer Gruppe rechtsextremer Skinheads im brandenburgischen Eberswalde zusammengeschlagen worden war und zwei Wochen später an den Folgen der Verletzungen starb.

Unterdessen befürchten Tourismusexperten nach dem brutalen Überfall in Potsdam einen Imageschaden auch für Berlin. Im Ausland würden Berlin und Potsdam als ein Großstadtgebiet gesehen, sagte Christian Tänzler von der Berlin Tourismus Marketing GmbH (BTM) gestern in Berlin. Auch außerhalb Deutschlands werde es nach dem Mordversuch an dem 37-jährigen Familienvater mit deutschem Pass eine negative Resonanz geben. Wichtig sei, die Täter schnell zu ermitteln und vor Gericht zu stellen. Im Ausland werde genau beobachtet, ob und wie rasch die Täter verurteilt werden. dpa/ddp/pet

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