Neuer Streit: Alter Ärger wegen neuer Zahlen
Wenn der Großflughafen öffnet, gibt es deutlich mehr Starts und Landungen als vorausgesagt Mehrere Kommunen fühlen sich getäuscht und erwägen juristische Schritte.
- Alexander Fröhlich
- Sabine Beikler
- Klaus Kurpjuweit
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Schönefeld - Am Himmel wird es häufiger laut – und auch am Boden nimmt der Krach zu. Nachdem Ende vergangener Woche bekannt geworden war, dass es bei den künftigen Flugrouten wesentlich mehr Flüge geben wird als im Januar offiziell festgelegt, fordern Anwohner, die Routen neu zu prüfen. Besonders betroffen sind Stahnsdorf, Teltow und Kleinmachnow im Südwesten Berlins. Hier waren bisher 48 Überflüge pro Tag angegeben; nun sollen es 83 werden.
Die bisherigen Zahlen seien Prognosen gewesen, die sich im Sommer 2011 am damaligen Flugplan orientiert hätten, sagte der Sprecher der Deutschen Flugsicherung (DFS), Axel Raab. Die DFS habe die neuen Zahlen auch erst jetzt erhalten. Der Flugplan für den künftigen Betrieb stehe erst seit Ende Januar fest. Die Routenvorschläge habe die DFS aber im vergangenen Sommer bei der Genehmigungsbehörde, dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung, vorlegen müssen. Dort war am Montag niemand für eine Stellungnahme zu erreichen. Flughafen-Sprecher Ralf Kunkel bestätigte aber, dass die Flughafengesellschaft die von den Airlines bereits im November angemeldeten Bedarfe im Dezember an das Bundesamt weitergereicht habe. „Dort wurde in voller Kenntnis der Zahlen die Entscheidung“ über die Routen und die Überflüge getroffen, sagte er. Das war Ende Januar.
Raab betonte, die neuen Zahlen zu den Flügen änderten nichts an den festgesetzten Routen. Auch in den kommenden Jahren werde es Änderungen geben, je nachdem, ob der Verkehr zu- oder auch abnehme. Eine Höchstgrenze für Überflüge gebe es nicht.
„Wir waren selbst überrascht“, sagte Staatssekretär Rainer Bretschneider aus dem Infrastrukturministerium in Potsdam dieser Zeitung. Bretschneider warnte aber, „jetzt eine neue Glaubwürdigkeitskrise zu konstruieren“. In den nächsten Jahren würden sich die Routen mehrfach und je nach Bedarf ändern. Zumal der neue Flughafen BER nach der Eröffnung am 3. Juni noch lange nicht seine volle Kapazität erreicht habe. Erst im Jahr 2026 würden die zugelassenen 360 000 Flugbewegungen pro Jahr erreicht, im erste Betriebsjahr seien es nur rund 240 000, dann würden die Routenführung aber überprüft. In Tegel und Schönefeld waren es 2011 mit 243 000 sogar etwas mehr. BER-Sprecher Kunkel sagte, die vorgesehene Kapazität werde für Jahrzehnte reichen. Er nannte die neue Aufregung um die Flugrouten einen „Sturm im Wasserglas“.
Stahnsdorf, Kleinmachnow und Teltow erwägen nun, vor das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zu ziehen. Der Berliner Anwalt der Gemeinde, Remo Klinger, dessen Kanzlei zu den führenden bei planungsrechtlichen Großverfahren und als „Bürokratenschreck“ gilt, rechnet fest mit Klagen. Die zuständige Behörde müsse die Routen sachgerecht abwägen. Das dafür vorliegende Material wie Flugprognosen müsse realistisch und dürfe nicht veraltet sein. Jetzt sei aber die Wannseeroute viel stärker betroffen, als es bei der Routenentscheidung im Januar berücksichtigt worden sei. Das Bundesaufsichtsamt „hätte wissen müssen, dass neue Zahlen auf dem Tisch liegen“.
In Berlin und Potsdam lösten die nach oben korrigierten Zahlen für die Wannseeroute Empörung aus. Der Umweltexperte der Grünen im brandenburgischen Landtag, Michael Jungclaus, kritisierte, dass das Infrastrukturministerium, aber auch der Flughafen, stets betonten, dass die Lärmhöchstwerte erst in einigen Jahren erreicht würden. „Die neuen abweichenden Zahlen machen deutlich, auf welch dünnem Eis sich der Staatssekretär bewegt“, sagte Jungclaus. Linke-Verkehrsexpertin Kornelia Wehlan, im Gegensatz zum Koalitionspartner SPD BER-skeptisch, sagte, „jetzt wird auch noch getrickst, was das Zeug hält“. Die Anwohner müssten jetzt willkürlich vorgenommene Veränderungen des Bundesaufsichtsamtes ausbaden. „Mit Tranparenz und Offenheit hat das nichts aber auch gar nichts mehr zu tun.“
Für die Grünen in Steglitz-Zehlendorf sind die Wannseeroute und die gestiegene Zahl von Überflügen „inakzeptabel“, sagten die Kreischefs Annika Schmidt und Norbert Schellberg. Die Route würde nah am Forschungsreaktor vorbeiführen, der gegen Flugzeugabstürze nicht gesichert sei. Jetzt müsse das Votum der Fluglärmkommission und des Umweltbundesamtes umgesetzt werden: Der Berliner Ballungsraum sowie Potsdam müssten durch eine außenliegende Route umflogen werden. Jutta Matuschek von der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus fordert, dass „alle technischen Varianten“ bei den eingesetzten Flugzeugen und bei der Belegung der nördlichen und südlichen Start- und Landebahnen geprüft werden, um die Belastung der Anwohner so gering wie möglich zu halten. Andreas Baum, Fraktionschef der Berliner Piraten, fordert die „für die Bewohner erträglichste Lösung“ und fragt sich, wie oft sich die Pläne noch ändern.
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