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Zeit, dass sich was dreht. Mit gut 100 000 Unterschriften in knapp vier Wochen radelt der Volksentscheid voran. Lediglich 20 000 Unterstützer wären für die erste Phase erforderlich gewesen.

© Maurizio Gambarini/dpa

Brandenburg: Ampelmännchen und Alphamännchen

Die Aktivisten für den Berliner Fahrrad-Volksentscheid agieren enorm professionell – und deshalb so erfolgreich: Innerhalb von dreieinhalb Wochen kamen 105 425 Unterschriften zusammen

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Berlin - Auch Ampelmänner gehen manchmal fremd – wenn ein Kampagnero wie Heinrich Strößenreuther sie verführt. Der hatte mit seiner Initiative für den Berliner Fahrrad-Volksentscheid am Dienstag ins Ampelmann-Restaurant am Hackeschen Markt geladen, um das Ergebnis der Unterschriftensammlung fürs avisierte Radverkehrsgesetz zu verkünden und die unterschiedlichen Folgekostenschätzungen – die Initiative rechnet mit 320 Millionen Euro binnen acht Jahren, der Senat mit mehr als 2,1 Milliarden – zu sezieren.

Aber zuerst war Markus Heckhausen, Chef des Ampelmann-Imperiums, dran. Drei radelnde Mitarbeiter seien in plötzlich geöffnete Autotüren gekracht, eine Kollegin ein halbes Jahr in der Reha gewesen, nachdem ein Abbieger sie erwischt habe. Und aus Ampelmannperspektive fügte er hinzu: „Auch Fußgängern kommt es zugute, wenn Radfahrer nicht mehr auf den Gehweg ausweichen müssen.“

Nachdem der oberste Ampelmann gesprochen hatte, startete Strößenreuther seine Präsentation mit dem Titel „Mathe- und Zählergebnisse“. Innerhalb von nur dreieinhalb Wochen seien 105 425 Unterschriften für ihr Anliegen gesammelt worden, so der Initiator. Nötig waren in diesem ersten Stadium 20 000 binnen sechs Monaten. Strößenreuther selbst sprach von „Berlins schnellstem Volksentscheid“. Allein bei der Fahrradsternfahrt am 5. Juni seien 15 000 Unterschriften gesammelt worden. Weitere 20 000 seien allein am vergangenen Freitag eingegangen.

Sofern das Abgeordnetenhaus den von der Initiative vorgelegten Gesetzentwurf nicht annimmt, wären im nächsten Schritt 180 000 Unterschriften für einen Volksentscheid notwendig. Zunächst stehen allerdings Gespräche der Initiative mit dem Senat an. Nach Auskunft von Strößenreuther sei für den 18. Juli ein Treffen mit Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel und seinem Staatssekretär Christian Gaebler (beide SPD) geplant, die dem Anliegen der Initiative bislang kritisch gegenüberstehen – unter anderem, weil sie von völlig anderen Kosten ausgehen, die im Fall eines Erfolges auf das Land Berlin zukommen.

Die von den Initiatoren des Volksentscheids errechneten Kosten setzen sich zusammen aus 392 Millionen Euro Ausgaben, denen 135 Millionen Euro Einsparungen gegenüberstehen. Die Differenz plus 25 Prozent Puffer für Kostensteigerungen ergeben die bekannten 320 Millionen Euro. Kosten entstehen vor allem beim geforderten Bau der Radwege an Hauptstraßen (136 Millionen Euro), der 100 Kilometer Radschnellwege (85 Millionen) und Abstellanlagen (60 Millionen). Die Einsparungen ergäben sich durch Mengeneffekte bei Ausschreibungen (40 Millionen), durch zusätzlich akquirierte Fördermittel dank mehr Personal in den Verwaltungen (24 Millionen), durch schnellere BVG-Busse (39 Millionen), die nicht mehr hinter Radfahrern herschleichen und sich um Falschparker schlängeln müssen, sowie durch höhere Bußgeldeinnahmen (24 Millionen), weil Falschparken konsequenter geahndet werde.

Dann zerlegte ADFC-Vorstand Evan Vosberg im Ampelmann-Restaurant die mehr als sechsmal so hohe Kostenschätzung des Senats. Zunächst habe die Verwaltung die Größe des Hauptstraßennetzes verdoppelt – eine Frage der angelegten Kriterien. An zwei Dritteln der Hauptstraßen gebe es bereits Radverkehrsanlagen, von denen die Hälfte bereits dem im Gesetz geforderten Standard entspreche. Kernforderung ist eine Breite von zwei Metern. Obwohl sich Senat und Initiative in diesem Punkt einig seien, habe die Verwaltung einen Zuschlag von 30 Prozent angesetzt. Noch größer falle der 75-prozentige „Buddelzuschlag“ für großflächige Umbauarbeiten aus, deren Notwendigkeit die Initiative bezweifelt. Bereinige man diese Punkte, kämen die Kalkulationen der Initiative und des Senats auf nahezu identische Beträge. Strößenreuthers süffisantes Fazit: „Wir wären mit einer Drei-Sterne-Fahrradstadt zufrieden. Der Senat plant die Fünf-Sterne-Variante. Das kann er gern tun, aber das hat dann nichts mit unserem Volksentscheid zu tun.“ Stefan Jacobs

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