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Brandenburg: An Schulen kommt DDR-Geschichte und Wende zu kurz
Enquete-Kommission beriet neues Gutachten: Lehrpläne gut, aber Defizite in Praxis
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Potsdam - Die jüngste deutsche Geschichte wird an brandenburgischen Schulen bisher nur unzureichend vermittelt. Das ergaben ein Gutachten und eine Anhörung der Enquetekommission des Landtages zur Aufarbeitung der Nachwendejahre am Freitag in Potsdam. Vielfach werde in der 7. und 8. Klasse gar keine Politische Bildung unterrichtet, sagte der Landesvorsitzende der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung, Dieter Starke. „Das ist nicht zulässig.“ Auch eine Lehrerin des Fürstenwalder Geschwister-Scholl-Gymnasiums beklagte Defizite. Als Gründe nannte sie den Vorrang für Naturwissenschaften und den hohen Altersdurchschnitt der Pädagogen. So hätten manche, die schon zu DDR-Zeiten Staatsbürgerkunde erteilten, ein Glaubwürdigkeitsproblem, erläuterte die Lehrerin für Politische Bildung, Uta Tornow. Denn wenn jetzt eine Lehrerin plötzlich etwas über DDR-Geschichte, die friedliche Revolution und Wiedervereinigung sage, kommentierten Eltern von Schülern dies womöglich mit Blick auf ihre Vergangenheit: „Ausgerechnet - die hat es nötig.“ Auf diese Weise fühlten sich die Lehrer persönlich angegriffen, mieden die Themen entweder oder hielten sich nur an gesicherte Fakten.
Hier sollten Fortbildungsveranstaltungen - anders als jetzt - verpflichtend werden, betonte der Verfasser des Gutachtens, Ingo Juchler. Gerade Lehrkräfte spielten bei der Vermittlung des Unterrichtsstoffes eine wichtigere Rolle als Rahmenlehrpläne, an denen es oft wenig auszusetzen gebe. In diesem Zusammenhang kritisierte der Potsdamer Professor, es sei nicht akzeptabel, dass Pädagogen Unterricht in Geschichte und Politischer Bildung erteilen, die dafür nicht ausgebildet wurden, wie etwa Sportlehrer. Dies komme häufiger im ländlichen Raum vor.
„Sehr im Argen“ lägen zudem schulinterne Lehrpläne (Curricula) für Politische Bildung, die oftmals ganz fehlten. „Dann muss sich jeder Lehrer allein durchschlagen.“ Juchler warb dafür, schon in der Grundschule die DDR-Geschichte und Wiedervereinigung zu behandeln. Unverständnis äußerte er über die reduzierte Zahl von Pflichtbesuchen in Gedenkstätten oder anderen „außerschulischen Lernorten“ während der Sekundarstufe 1. Laut Gutachten sieht der Rahmenlehrplan Geschichte für die Sekundarstufe 1 nur noch zwei statt wie früher drei Besuche an historischen Stätten vor. „Die Rahmenbedingungen stimmen nicht“, stellte der Vorsitzende des Landesverbandes der Geschichtslehrer Deutschlands, Günter Kolende, fest und sprach von „gravierenden, fatalen Folgen“. Nach Darstellung des Sachverständigen Starke haben viele nach der Wiedervereinigung ausgebildete Politik-Lehrer mangels Einstellungsperspektiven Brandenburg den Rücken gekehrt. Leider fielen Fächer wie Politische Bildung und Geschichte allgemein in der Stundentafel „hinten runter“, sagte der Hamburger Erziehungswissenschaftler Tilman Grammes und sprach von einer „Dilemma-Situation“.
Seit fast einem Jahr arbeitet die Enquetekommission des Landtages, die sich mit der Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und dem Übergang in einen demokratischen Rechtsstaat beschäftigt. Ein Themenschwerpunkt ist die Behandlung der DDR-Geschichte und des Einheitsprozesses im Schulunterricht. Verschiedene Studien hatten erhebliche Defizite im Wissen brandenburgischer Schüler über die DDR festgestellt.
Ronald Bahlburg
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