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Brandenburg: Äpfel mit Charakter

REGIONALE ERZEUGER Brandenburg entdeckt seine Streuobstwiesen neu, Manufakturen kreieren ausgezeichnete Obstweine. Die heißen zum Beispiel „Königin von Biesenbrow“, „Schöner von Boskoop“ oder einfach gleich: „Rausch“

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Der Sommer war sehr groß – und verspricht nach zwei mageren Jahren auch wieder eine reiche Ernte von Äpfeln und Birnen. Kleiner werden die Früchte diesmal ausfallen, wegen der Trockenheit, die auch in der Uckermark Spuren hinterlassen hat. Florian Profitlich ist das ganz recht, denn kleinere Früchte bringen einen hohen Extraktgehalt und mehr Gerbstoffe mit. Äpfel, Birnen und Quitten von Streuobstwiesen treffen nach und nach auf dem Gutshof Kraatz ein. Alte Sorten, die längst aus den Regalen der Supermärkte verschwunden sind. Früchte, die aromatischer, fester und auch herber sind als modernes Tafelobst. Früchte, die man gekonnt verarbeiten muss, um ihr Potenzial zu erschließen. In Kraatz, ganz am äußersten Zipfel Brandenburgs, unweit der Feldberger Seenplatte, wird aus ihnen Saft und Wein.

Als Profitlich und seine Frau Edda Müller nach einem Wochenendhaus auf dem Land suchten, ahnten sie nicht, dass sie einmal auf einem Hof mit glucksenden Gärbehältern leben würden. Die Cutterin und der Architekturfotograf suchten Erholung – bis Kraatz sie fand. Inzwischen haben sie nicht nur ihre kleine Stadtwohnung aufgegeben, auch aus ihren Berufen haben sie sich gelöst. Heute betreiben Müller und Profitlich eine Mosterei und Kellerei, vermieten schön restaurierte Ferienwohnungen im denkmalgeschützten Gutsensemble und öffnen den Gutsausschank für hungrige und natürlich durstige Gäste. Angefangen hat es mit einer gebrauchten Obstpresse, die irgendwann in der Scheune des Gutshofs landete. Und mit der Erkundung der Landschaft, um deren eiszeitliche Hügel sie Obstwiesen fanden, viele davon seit Jahrzehnten nicht gepflegt. Um Kraatz herum fallen dem Wanderer Früchte förmlich auf den Weg, niemand schert sich um die alten Birnbäume, die die Straßen säumen.

Noch immer entdeckt Profitlich Sorten, die er erst einmal bestimmen und dafür auch schon mal Pomologen zu Rate ziehen muss. Bei der letzten Ernte waren erstmals die Französische Goldrenette und Harberts Renette dabei. Ihr Most ist über den Winter zu Wein geworden, und Profitlich vermählt beide Sorten in der Cuvée „Zwei Schwestern“. Die Ideen für neue Weine gehen nicht aus, wenn man sich durch die vergessene Obstvielfalt kostet. Ihr Duft breitet sich ab September in der Wirtschaftsscheune aus, wenn die ersten Äpfel gewaschen und zermahlen werden. Der Fruchtbrei geht, von Hand in Tücher geschlagen, auf die Presse. Zu Beginn der Ernte wird hier vor allem Saft gewonnen. Dann kommen die spät reifenden Sorten mit ihrer kräftigen Säure und den deutlichen Gerbstoffen auf den Hof. Sie bringen alles mit, was es für einen charaktervollen Wein braucht.

Es ist seine sechste Ernte, die Profitlich diesen Herbst einbringt. Bevor es losging in Kraatz, ist er quer durchs Land gefahren und hat sich angeschaut, wie es andere machen: Jörg Geiger bei Göppingen, Hans-Jörg Wilhelm in Hohenlohe, Andreas Schneider bei Frankfurt. Charakterköpfe, die bewiesen haben, dass aus Mostobst große Weine entstehen können, auf deren Geschmack man sich einlassen muss. Da nur der natürliche Fruchtzucker zu Alkohol vergärt, erreichen die Weine gerade mal fünfeinhalb bis acht Prozent. Das ist angenehm erfrischend, füllt den Mund aber zarter als ein Wein aus Trauben mit deutlich mehr Alkohol. Und dann ist da die Säure, die dem Wein Rückgrat verleiht, dazu die Gerbstoffe, mit denen die alten Mostsorten nicht geizen. Sie konservieren auf natürliche Weise und lassen den Wein fein am Gaumen haften. Wer mehr Süße will, kann ja zu Profitlichs Säften greifen.

Mit dem, was alljährlich Anfang Mai beim Werderaner Baumblütenfest ausgeschenkt wird, haben die Kraatzer Weine wenig gemein. Die Obstweine auf der Havelhalbinsel werden aus Johannisbeeren, Erdbeeren, Himbeeren, Kirschen und vielen anderen Aromengebern zubereitet. Dabei wird das pürierte Obst mit Wasser und Zucker versetzt und dann mithilfe zugegebener Hefe vergoren. Die Werderaner Obstweine erreichen so deutlich höhere Alkoholwerte und schmecken trotzdem noch fruchtig-süß. Die stärkere Umdrehung bleibt dabei gut kaschiert und wird meist erst bemerkt, wenn es zu spät ist. Dann erinnert man sich plötzlich wieder daran, dass die Großeltern davon erzählten, wie die berauschten Berliner in offenen Güterwaggons zurück in die Stadt transportiert wurden.

Auf die Baumblüte folgt der Kopfschmerz, jede Saison aufs Neue. Es sei denn, man kostet so beherrscht wie Toni Geißhirt. Der 18-jährige Schüler aus Werder experimentiert schon lange im elterlichen Keller mit Obstweinen und verkauft seine Erzeugnisse auf dem Baumblütenfest. Letzte Saison erhielt er die Goldene Kruke für seine schwarze Johannisbeere. Von den Weinen, die er früher von Erwachsenen verkosten ließ, trinkt Toni auch heute höchstens ein Gläschen. High macht ihn die faszinierende Verwandlung von Frucht in Wein.

Aus brandenburgischen Äpfeln kann man mit viel Fingerspitzengefühl und Zeit auch feine Schaumweine gewinnen. André Zibolsky, der Potsdams beste Weinhandlung „In Vino“ betreibt, kreiert mit seinem „Rausch“ einen ursprünglichen Schaumwein aus den Apfelsorten Kaiser Wilhelm, Erwin Baur und Breuhan, die auf einer Streuobstwiese bei Raben im Fläming reifen. Ohne jegliche Zusätze wird der Most vergoren und für mindestens ein Jahr in druckfesten Flaschen gelagert. Es kann aber auch länger dauern, bis die Hefe aus den Flaschen entfernt wird; beim ausgetrunkenen Jahrgang 2012 waren es ganze 16 Monate. Von der nächsten Charge gibt’s noch ein paar Flaschen im Regal. Da werden sie nicht lange bleiben, denn Zibolskys „Rausch“ ist ebenso rar wie begehrt.

Auch in der Landmanufaktur „Königin von Biesenbrow“ bei Angermünde entsteht aus Äpfeln schäumender Obstwein nach der Methode, wie Champagner bereitet wird. Zuerst lassen Yvonne und Mathias Tietze sortenreinen Most zu stillem Apfelwein vergären, dann folgt in der Flasche die zweite Gärung. Sie kommt durch Zusatz von Zucker und Champagnerhefen in Gang, wandelt Zucker in Alkohol um und setzt Kohlendioxid frei. Aus der verschlossenen Flasche kann es nicht entweichen und bindet sich während der Lagerdauer im Wein. Der erste Jahrgang der „Königin von Biesenbrow“ stammt von der Ernte 2013. „Champagner“ darf nicht auf der Flasche stehen, die Bezeichnung ist für flaschenvergorenen Schaumwein aus Trauben reserviert, die in der Champagne wachsen. Also steht „Crémant“ auf dem Etikett und der Zusatz „Brut nature“: Der neue Edel-Apfel-Schäumer ist durchgegoren und nicht nachgesüßt.

Auch Florian Profitlich experimentiert mit flaschenvergorenen Schaumweinen. Die ersten Versuche in selbst ausgetrunkenen Sektflaschen verlaufen vielversprechend. Mit der nächsten Lieferung wird auch eine Palette druckfester Flaschen auf den Gutshof Kraatz geordert, denn an Rohstoff für Obstweine mangelt es nicht in Brandenburg. Welche Klasse sie haben können, davon weiß die Fachwelt inzwischen. Bei der internationalen Apfelweinmesse in Frankfurt am Main hat Profitlich bereits mehrere „Pomme d’Or“-Auszeichnungen gewonnen.

Erfolg und Anerkennung kehren irgendwann vielleicht auch zurück in die Uckermark, und es finden sich Menschen, die sie dauerhaft bewirtschaften, die Kulturlandschaft Streuobstwiese mit ihren Schätzen an alten Apfelsorten. Im Gutshof Kraatz ist ihre Ernte hoch willkommen. Diese Saison hat Florian Profitlich erstmals drei regionale Zulieferer für alte Apfelsorten gewinnen können – und muss nicht mehr alles selber ernten. Das wird gefeiert: auf dem Apfelweinfest am Samstag, den 24. September, ab 15 Uhr.

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