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Abgesperrt. In dieser Villa an der Bertramstraße in Reinickendorf traf sich der Arzt Garri R. am Samstag mit zwölf Patienten zu einer psychotherapeutischen Sitzung und verabreichte die teils tödlichen Substanzen. Garri R. hatte das Gebäude unweit der Grenze zum brandenburgischen Glienicke mit seiner Frau vor einem halben Jahr bezogen.

© dpa

Von Tanja Buntrock und Claus-Dieter Steyer: Arzt gesteht Einsatz von Drogenmix

50-jähriger Mediziner wird dem Haftrichter wegen zweifachen Mordes vorgeführt

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Berlin - Zwei Tote nach einer mysteriösen Gruppentherapiesitzung und ein Teilnehmer, der im Koma liegt: Die Nachricht hatte sich unter den Nachbarn in der Bertramstraße im gut situierten Ortsteil Hermsdorf in Berlin-Reinickendorf am nächsten Morgen längst herumgesprochen. Immer wieder blieben Neugierige vor dem großen Einfamilienhaus stehen, in dem der tatverdächtige Arzt und Psychotherapeut Garri R. lebt und auch seine Praxis betreibt.

Nachdem die Ermittler der 2. Mordkommission erste Erkenntnisse zusammengetragen hatten, erscheint langsam etwas klarer, was sich hier am Sonnabend abgespielt haben soll: Demnach hatte sich der als Arzt zugelassene Mediziner Garri R. mit seiner Frau und zwölf Teilnehmern bereits am Morgen zu einer „psychotherapeutischen Sitzung“ in seiner Praxis getroffen. Die Patienten – zwischen 26 und 59 Jahre alt – bekamen von ihm während der mehrstündigen Sitzung laut Polizei „Drogen beziehungsweise Substanzen“ verabreicht. Nach Informationen dieser Zeitung soll es sich um einen Mix aus Amphetaminen handeln, die sich beispielsweise auch in anderer Zusammensetzung in der Partydroge Ecstasy befinden. Einigen Teilnehmern wurde dann übel, sie erbrachen sich. Als ein 59-Jähriger kollabierte, rief ein Gruppenmitglied den Notruf der Feuerwehr. Diese rückte mit einem größeren Aufgebot an Rettern und Ärzten an. Ein Notarzt versuchte den Mann wiederzubeleben – doch der 59-Jährige starb noch in der Praxis. Ein 28-jähriger Teilnehmer erlag dann in der Nacht zu Sonntag den Folgen des Drogenmixes im Krankenhaus. Derzeit liegt ein 55-jähriges Mitglied der Gruppe noch im Koma. Die anderen Patienten wurden stationär in verschiedenen Krankenhäusern behandelt und sind teilweise wieder nach Hause entlassen worden. Bei der Vernehmung hatte Garri R. gestanden, den Patienten „unterschiedliche Substanzen“ verabreicht zu haben. „Die Leute bekamen alle verschiedene Drogenmixe. Genaueres muss die Obduktion ergeben“, sagte ein Ermittler. Der Mediziner wurde gestern unter anderem wegen zweifachen Mordes einem Haftrichter vorgeführt.

Ein naher Verwandter des 28-jährigen Opfers, der anonym bleiben möchte, versuchte gestern die Tragödie zu verstehen. Er sei in tiefer Trauer und „völlig ratlos, wie das passieren konnte“. Er habe gewusst, dass der 28-Jährige sich an Garri R. gewendet habe. Seines Wissens biete der Mediziner eine Therapie mit „niedrig dosierten Substanzen, darunter Amphetaminen“ an, die beispielsweise in der Schweiz erlaubt sei, in Deutschland jedoch nicht. „Bei dieser Therapieform werden traumatische Erlebnisse näher an die Oberfläche gebracht und können so verarbeitet werden“, sagte der Angehörige. Er wies entschieden zurück, dass es sich bei der Sitzung um ein „Sektentreffen“ gehandelt habe. Garri R.s Therapieform gehe auf die Lehre des Tschechen Stanislav Grof, der sich in der psychedelischen Psychotherapie einen Namen gemacht habe, sowie auf den Schweizer Psychiater Samuel Widmer zurück. Nach deren Lehre werden seelische Probleme auch mit Hilfe psychedelischer Substanzen behandelt (siehe Seite 2).

Dem 28-Jährigen, der seit längerem bei Garri R. in Behandlung war, sei es durch die Therapie viel besser gegangen. Zum Behandlungsplan hätten „reguläre Sitzungen unter der Woche“ gehört und „etwa zweimal im Jahr besondere Gruppentreffen wie dieses“ – Probleme habe es nie gegeben. „Ich kann mir nicht erklären, wie es zu so einem Unfall gekommen ist.“ Er gibt eher der „Illegalität dieser Therapieform“ als dem festgenommenen Arzt die Schuld: „Dadurch ist es schwer, die Substanzen zu beschaffen. Möglicherweise ist da ein Import aus China dabei gewesen, der dann anders zusammengesetzt war.“

Während die Nachbarn vor dem Haus des Mediziners in der Bertramstraße über die Ursachen der Tragödie rätseln, geht ein Detail auf dem Bürgersteig vor dem dreigeschossigen Haus fast unter. Neben der Eingangstür zum wenig gepflegten Garten steht ein gelber Kinder-Plastikstuhl. Unter dem Sitz liegt eine Einwegspritze. Im Laufe des Nachmittags sichern Kriminaltechniker den Fund, der möglicherweise bei der Aufklärung der vom Therapeuten verabreichten Substanzen helfen kann. Die Eingangstür ins Haus war von der Polizei gleich nach dem Verlassen der Gerichtsmediziner am späten Samstagabend versiegelt worden. Die Ermittler der 2. Mordkommission waren am Sonntag vor allem damit beschäftigt, weitere Patienten und Angehörige zu befragen und Spuren nachzugehen.

Im gutbürgerlichen Hermsdorf fielen das Paar und seine Kinder wohl auch wegen anderer Äußerlichkeiten auf. „Die Frau machte voll auf öko, und der Mann war stets in Eile“, gab eine Anwohnerin ihre Beobachtungen kund. Von regelmäßig stattgefundenen Sitzungen habe sie nichts bemerkt.

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