zum Hauptinhalt
Kaiser, Platzeck.

© ddp

Brandenburg: Attacken von innen und außen

Rot-Rot mit Schleuderkurs: Justizminister-Kandidat der Linken und SPD-Chef Platzeck in der Kritik

Stand:

Von Thorsten Metzner

Potsdam - Die Bildung des rot-roten Bündnisses in Brandenburg löst wenige Tage vor der geplanten Wiederwahl von Ministerpräsident Matthias Platzeck weiter Unruhe aus. Zwar sind Irritationen zwischen den Koalitionären um den als Linke-Justizminister vorgesehen Verfassungsrichter Volkmar Schöneburg ausgeräumt, der wegen Kritik an den Mauerschützenprozessen unter Beschuss der CDU-Opposition steht. „Die Vorwürfe sind haltlos: Er ist eben kein stalinistisches Monstrum, zu dem ihn Gegner von Rot-Rot machen wollen“, sagte Generalsekretär Klaus Ness am Sonntag. Unabhängig davon verschärft sich in der Landes-SPD, die am Mittwoch auf einem Parteitag den Koalitionsvertrag verabschieden will, die Debatte um Rot-Rot.

Gegenüber den PNN übte die heutige Vize-SPD-Bundestagsfraktionschefin Dagmar Ziegler, bisher Sozialministerin im Platzeck-Kabinett und früher Vize-Parteichefin im Land, scharfe Kritik an Rot-Rot und am Führungsgebaren Platzecks. Ihr Ansatz seien nicht Wunden aus der DDR-Vergangenheit, sondern das für die Zukunft ungeklärte Verhältnis zwischen SPD und Linken, sagte Ziegler. „Mir geht es darum, dass es ein Hineinstolpern in eine neue politische Konstellation gibt, ohne dass man vorbreitet ist, ohne dass man die Partei, die Basis vorbereitet hat“, sagte Ziegler. „In der Partei hat vor der Landtagswahl diese Option niemand ernsthaft in Betracht gezogen.“ Sie erinnerte daran, dass Platzeck noch vor einem Jahr auf einem Programmparteitag Rot-Rot eine Absage mit dem Argument erteilt habe: „Ihr seid noch nicht dran.“ Zwar rechnet selbst Ziegler damit, dass der rot-rote Koalitionsvertrag auf dem Landesparteitag am Mittwoch – Platzecks Wahl im Landtag ist Freitag geplant – verabschiedet wird. „Aber die Stimmung in der Partei ist nicht gut. Die Basis ist nicht ausreichend mitgenommen worden. Es gibt kaum jemanden, der keine Bauschmerzen hat.“ Man koaliere mit einer Linken, deren Geschäftsgrundlage man nicht genau kenne, „ohne tiefgründige Analyse“.

Ziegler sieht sich in ihrer Haltung auch deshalb bestätigt, weil sie als offene Gegnerin von Rot-Rot den Bundestagswahlkreis in der Prignitz klar gewonnen hatte. Angesichts der ungekärten Grundfrage, prophezeite Ziegler, dass in der SPD bei der „kleinsten Irritation im Regierungsgeschäft alles wieder aufbrechen wird.“ In der Debatte um die Linke-Ministerriege, um den designierten Justizminister Volkmar Schöneburg, teilt Ziegler allerdings die Linie der Landesspitze. „Wenn man früher keine Kritik an der Wahl zum Verfassungsrichter geübt hat, kann man jetzt nicht damit anfangen.“

Der Streit um Schöneburg geht trotzdem weiter. „Er rechtfertigt das SED-Unrechtsregime“, sagte CDU-Generalsekretär Dieter Dombrwoski. Daher sei er als Justizminister „nicht geeignet“. Es wäre eine „Zumutung und eine Schande“ für das Land, wenn es dazu käme, so Dombrowski. Und der Direktor der Berliner Stasiopfer-Gedenkstätte, Hubertus Knabe, sieht in einem Linke-Justizminister Schöneburg, der Todesschüsse an der Mauer für legal halte, „eine Gefahr für den Rechtsstaat in Brandenburg.“

„Ich halte ihn für integer und werde dies in die Partei hinein so kommunizieren“, sagte Rainer Speer, Platzecks graue Eminenz und Chef-Unterhändler für die Bildung der Koalition, am Samstagabend den PNN. Zuvor hatte er sich am Samstagabend mit Schöneburg zu einem Krisengespräch getroffen. Beide seien sich einig darin, sagte Speer, dass dieser in den strittigen Publikationen „weder das Grenzregime der DDR gerechtfertigt“ habe, „noch die Tatsache, dass in der DDR das Recht ausschließlich zum Instrument der Politik gemacht wurde, relativiert wird“. Schöneburg hatte in einem Aufsatz 2002 die Mauerschützenprozesse kritisiert und die Klassifizierung als „Unrechtsstaat“ – einer „unwissenschaftlichen, moralisierenden Verdrängungsvokabel“ abgelehnt.

Deshalb fordert die CDU von Platzeck einen Verzicht auf die Ernennung Schöneburgs, und auch in der SPD herrscht Aufregung. Die hatte bei den Linken informell auch die Möglichkeit eines Rückzugs Schöneburgs sondiert – ohne Erfolg. „Die Vorwürfe treffen nicht zu: Es gibt dafür keinen Grund“, erklärte Fraktionschefin Kerstin Kaiser. „Er ist ein vom Landtag gewählter Verfassungsrichter, ein aufrechter Demokrat“, sagte Parteichef Thomas Nord.

Schöneburg war auch mit Stimmen der CDU, in der er sich vorstellte, 2006 zum Verfassungsrichter gewählt worden. Der CDU-Fraktionsführung war der umstrittene Aufsatz zu den Mauerschützenprozessen bekannt. Schöneburg selbst erinnert sich daran, dass er in der Fraktion vom damaligen Innenminister Jörg Schönbohm zum „Unrechtsstaat“ befragt wurde. Er habe geantwortet, dass er Kategorien wie „Unrechtsstaat“ oder „Siegerjustiz“ ablehne, sagte Schöneburg. „Ich habe mir nichts vorzuwerfen.“ Er habe den Missbrauch der Justiz durch die SED immer gegeißelt. Zum neuen Rechtsstaat gehöre auch die Freiheit der Wissenschaft. „Ich werde mir nicht nehmen lassen, Mauerschützenprozesse zu kritisieren – wie andere Strafrechtler auch.“

DOKUMENTIERT:

„Westdeutsche mediale Kampagne“

Auch der Generalsekretär der brandenburgischen SPD, Klaus Ness, hat sich am Wochenende in einer Geschichtsdebatte zu Wort gemeldet. In einem Zeitungsbeitrag nannte Ness, einer der wichtigsten Berater von Regierungschef Matthias Platzeck (SPD), die Berichterstattung über die Stasi-Verstrickungen des märkischen Ministerpräsidenten, Manfred Stolpe (SPD), in den 1990er Jahren eine „westdeutsche mediale Kampagne“. Damals hatten alle großen deutschen Medien, besonders das Nachrichtenmagazin der Spiegel aber auch allen großen Tageszeitungen investigativ über Stolpes engste Kontakte zum DDR-Geheimdienst berichtet. Stolpe hatte danach nur das zugegeben, was dank der Medien nicht mehr zu leugnen war. Bis heute bestreitet er, inoffizieller Mitarbeiter (IM) des MfS gewesen zu sein. Ness reagierte mit seinem Beitrag in der Märkischen Allgemeinen auf einen Artikel von Innenminister Jörg Schönbohm (CDU). Der hatte, wie schon zuvor auch in den PNN, Schweigegebote und kollektives Beleidigtsein beklagt, wann immer offen Gespräch über die Folgen von 40 Jahren Sozialismus in der DDR diskutiert werde.

Ness schreibt nun:

„Dass das Zusammenleben (im wiedervereinten Deutschland; d.R.) bisher nicht so gut funktioniert, (…) hat damit zu tun, dass viele Westdeutsche mit ihrer Sichtweise versuchen, ein Deutungsmonopol des Lebens in der DDR durchzusetzen. Wir in Brandenburg haben dies in der ersten Hälfte der 90er Jahre im Zusammenhang mit der Diskussion um Manfred Stolpe erleben müssen. Eine westdeutsche mediale Kampagne versuchte damals, einen beliebten Ministerpräsidenten wegen seiner Rolle in der DDR aus dem Amt zu drängen. Die Brandenburger spürten, dass diese Sichtweise nichts mit ihren Erfahrungen zu tun hatte. Deshalb scheiterte diese Kampagne am ostdeutschen Eigensinn der Brandenburger. Aus vielen Diskussionen mit westdeutschen Journalisten weiß ich, dass diese Nichtdurchsetzung eines Deutungsmonopols als „Niederlage“ empfunden wird. Verarbeitet wird diese „Niederlage“ mit der immer wiederkehrenden Etikettierung Brandenburgs als vermeintliche „kleine DDR“.“pet

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })